Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 26.06.2006
Daniela Schröder

Zu wenige Frauen an den Schalthebeln der Macht

Tagung des Ausschusses für Frauenrechte und Gleichstellung des Europaparlaments

Macht ist Männersache in Europa. Obwohl eine wachsende Zahl von Frauen höchste politische Ämter auf dem Kontinent erobert, sind weibliche Politiker und Entscheidungsträger vor allem auf nationaler Ebene immer noch viel zu selten, kritisierten Europa-Parlamentarierinnen auf einer öffentlichen Anhörung am 22. Juni in Brüssel. "Die Sichtbarkeit von Frauen in der internationalen Politik hat in den vergangenen Jahren zugenommen, doch ein genauerer Blick auf die aktuellen Zahlen gibt keinen Grund zum Jubeln", sagte die portugiesische Abgeordnete Ana Gomes (SPE). Zwar haben die Regierungen der EU-Staaten das Thema Chancengleichheit zu einer der Prioritäten ihrer politischen Programme erklärt, doch Frauen müssen nach wie vor hart kämpfen, um politische Anerkennung zu erhalten, kritisierte Gomes. Rollenklischees, unausgewogene Einstellungs- und Beförderungssysteme sowie die Geschlechtertrennung in der Arbeits- und Bildungswelt hielten Frauen von der politischen Welt fern. "Die Glaswand zwischen Frauen und Politik bekommt zwar allmählich Risse, einen echten Durchbruch aber werden wir so schnell nicht erleben", so Gomes.

Frauen stellen zwar mehr als die Hälfte der europäischen Bevölkerung und der Wähler in Europa, doch an den Schalthebeln der politischen Macht sind sie deutlich unterrepräsentiert. Nur in den Regierungen Spaniens, Österreichs und Schwedens ist das Verhältnis der Geschlechter ausgeglichen. Im Durchschnitt sind nur 24 Prozent der europäischen Regierungsmitglieder und Parlamentsabgeordneten in den EU-Staaten weiblich. Die EU-Institutionen geben kein gutes Beispiel: Der Frauenanteil der Abgeordneten im Europaparlament liegt bei 30 Prozent, und in der EU-Kommission arbeiten unter Präsident José Manuel Barroso sieben Kommissarinnen, aber 17 Kommissare. "Europas Spitzenpolitiker müssen endlich in die Tat umsetzen, was sie schon so lange predigen", forderte Lena Sundh, schwedische Botschafterin und Beraterin des Außenministeriums in Stockholm. Denn schon wer das traditionelle Familienfoto der EU-Gipfel betrachtet, entdeckt dort nur selten eine Frau - Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt eine Ausnahmeerscheinung.

Um dieses Ungleichgewicht zu beheben, müssen die Regierungen mehr weibliche Bewerber für hohe politische Ämter benennen und bei Wahlen auf ein ausgewogenes Verhältnis der Kandidaten achten, forderte die Europa-Abgeordnete Gomes. Parteien sollten das Engagement von Frauen fördern, indem sie Quotenregelungen einführen und spezielle Trainingsprogramme für Neu-Politikerinnen anbieten. "Vor allem junge Frauen sind in der Politik deutlich unterrepräsentiert", sagte die italienische Wissenschaftlerin Pia Baccari. Infokampagnen könnten dabei helfen, mehr Frauen für das politische Leben zu gewinnen und ihnen ihre politische Rechte und Pflichten bewusst zu machen. Das größte Hindernis auf dem Weg in die Welt der Entscheidungsträger sei aber weiterhin die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, so Baccari. Gerade dieser Faktor sei "in den meisten europäischen Ländern nach wie vor fast ausschließlich eine Riesenhürde für Frauen". Ein weiteres Fazit der Brüsseler Konferenz: Dass auf Europas Korridoren der Macht kaum Frauen unterwegs sind, bedeutet für die Politik einen Verlust entscheidender Fähigkeiten. "Frauen räumen sozialen Themen weitaus größere Bedeutung ein als Männer", sagte die spanische EU-Abgeordnete Teresa Riera Madurell (SPE). "Sie regieren nicht mit Stärke, sondern mit Einfühlungsvermögen, das macht sie zum optimalen Konfliktlöser".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.