Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 26.06.2006
Karl-Otto Sattler

An der Saar leben immer weniger Menschen

Schrumpfende Bevölkerung ist eine große Herausforderung

Einer Ausnahmesituation darf sich Daniela Schlegel-Friedrich erfreuen: Anders als die meisten Kreise und die Stadt Saarbrücken kann die von der CDU-Landrätin regierte Region Merzig-Wadern bis 2020 ihre Bevölkerungszahl halten, die Grenzorte Perl und Mettlach werden bis dahin sogar Zuwächse verzeichnen. Insgesamt muss das Saarland mit seinen momentan noch 1,05 Millionen Einwohnern in diesem Zeitraum nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung einen spürbaren Schwund hinnehmen. Schlegel-Friedrich stellt hingegen zufrieden fest, "dass eine steigende Nachfrage von Luxemburgern nach Grundstücken im Landkreis zu verzeichnen ist". Im Großherzogtum nebenan ist Wohnraum knapp und teuer. Der Kreis Merzig-Wadern profitiert von einem Sondereffekt, der die landesweit niedrige Geburtenrate und die zunehmende Abwanderung jüngerer Leute kompensiert. In Perl steigen wegen des Andrangs von Luxemburgern bereits jetzt die Immobilienpreise kräftig.

So hat sich denn die Landrätin für eine Revision des von CDU-Umweltminister Stefan Mörsdorf vorgelegten Siedlungsplans eingesetzt und etwa für Mettlach die Ausweisung von 250 neuen Bauplätzen gefordert - während im Konzept des Ministeriums eigentlich nur 100 vorgesehen waren. Manche Bürgermeister wie Klaus Bouillon (CDU) in St. Wendel, Nikolaus Jung (CDU) in Lebach oder Werner Laub (SPD) in Marpingen verlangen für ihre Gemeinden ebenfalls mehr Spielraum bei Baugrundstücken.

Allerdings müssen diese und zahlreiche andere Kommunen mit einem Einwohnerschwund rechnen. Mörsdorf betont, "dass wir die Siedlungsentwicklung mit den Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs auf einen Nenner bringen müssen". Angesichts der massiven Kritik hat der Minister die Restriktionen für Gemeinden bei der Ausweisung neuer Bauflächen in seinem Siedlungsplan-Entwurf etwas gelockert, die Vorlage durchläuft jetzt die parlamentarischen Beratungen.

Debatten über negative demografische Tendenzen konzentrieren sich gemeinhin auf Ostdeutschland und auf das Ruhrgebiet. Kaum registriert wird indes bisher, dass auch das Saarland von einem Minus heimgesucht wird. Die Saar zähle zu jenen Regionen, so Wirtschaftsforscher Tobias Just von der DB-Research der Deutschen Bank, "die vom Bevölkerungsrückgang am massivsten betroffen sein werden". Der Streit um den Siedlungsplan kann als Auftakt zu einer neuartigen politischen Auseinandersetzung gelte, die man an der Saar bislang gar nicht kannte.

Auch wenn sich die Prognosen von Statistikämtern und Forschungsinstituten im Detail unterscheiden, so weist der Trend doch eindeutig nach unten. Nach diversen Schätzungen wird die Zahl der Saarländer bis 2020 um fünf bis zehn Prozent schrumpfen. Bis 2050 dürften es, so der CDU-Baupolitiker Günter Heinrich, 20 bis 25 Prozent weniger sein. Bis 2016 werde die Region jedenfalls mehr als 50.000 Bewohner verlieren, prognostiziert der Abgeordnete. Drastisch mutet die Situation in Saarbrücken an: In der Hauptstadt verringerte sich die Bewohnerzahl von 214.000 im Jahr 1970 auf gut 181.000 im vergangenen Jahr. Lebten in Saarbrücken nicht rund 24.000 Ausländer (1989 waren es nur 15.000), sähe es noch schlechter aus.

Hauptproblem Geburtendefizit

Hauptproblem ist das Geburtendefizit. 1950 erblickten an der Saar 18.000 Babys das Licht der Welt, während 9.000 Menschen starben. 2005 hingegen wurden 12.300 Todesfälle erfasst, denen 7.500 Geburten gegenüberstanden. Seit neuestem kommt eine negative Wanderungsbilanz hinzu: 2005 zogen bis zum Herbst rund 1.000 Menschen mehr weg als zu - wobei vor allem 25- bis 35-Jährige einen Job jenseits der Grenzen suchen. Herwig Birg, Bevölkerungsforscher an der Uni Bielefeld: "Die besser Gebildeten verlassen überproportional stark das Land." Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat errechnet, dass die Saar unter allen Bundesländern den geringsten Anteil an 20- bis 39-Jährigen aufweist - und das sind jene, die Kinder zeugen.

Die Folgen des demografischen Umbruchs: Der Bedarf an Kindergärten, Schulen und Lehrern sinkt, Kaufkraft schwindet, Geschäfte machen dicht. Laut Maklerverband fallen die Immobilienpreise im ländlichen Raum schon jetzt. In einer Studie der saarländischen Arbeitskammer heißt es: "Viele saarländische Innenstädte und Dorfkerne leiden bereits heute unter einem hohen Leerstand im Bereich der Wohn- und Gewerbeimmobilien."

Dorfzentren sollen nicht aussterben

Minister Mörsdorf appelliert an die Kommunen, Schwimmbäder, Sportanlagen, Bibiliotheken und Kindergärten nicht mehr in jeder Gemeinde zu unterhalten, sondern öfter gemeinsam zu nutzen. Der umkämpfte Siedlungsplan zielt überdies auf eine Zäsur beim Wohnungsbau: Wegen rückläufiger Einwohnerzahlen sollen die Rathäuser vor allem Baulücken in den Ortskernen schließen und auf neue Häuser am Dorf- oder Stadtrand möglichst verzichten. Freilich will so mancher Bürgermeister gerade mit Bauplätzen auf der grünen Wiese im Konkurrenzkampf mit anderen Orten junge Familien anlocken. Heinrich kritisiert dieses Vorgehen: "Wir müssen darauf achten, dass nicht wie bisher immer weitere Wohngebiete an den Randlagen der Kommunen ausgewiesen werden, während die Dorfzentren aussterben."

Eine wesentliche Rolle beim Bevölkerungsschwund spielen auch die ökonomische Lage und die Chancen der Bürger auf verlässliche Arbeitsplätze. So attackiert denn die Opposition wegen der Abwanderung beruflicher Nachwuchskräfte die Wirtschaftspolitik von CDU-Ministerpräsident Peter Müller. "Junge Menschen sehen in unserem Land keine Perspektiven mehr für sich", klagt Cornelia Hoffmann-Bethscheider, Vize-Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion. Die Saar glänzte 2005 zwar mit der bundesweit höchsten ökonomischen Wachstumsrate. Doch die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse vermindert sich seit Jahren kontinuierlich, inzwischen sind es nur noch rund 335.000. Der DGB-Landesvorsitzende Eugen Roth bezeichnet besonders den Rückgang betrieblicher Lehrstellen als "skandalös". Hoffmann-Bethscheider: "Um für junge Leute attraktiv zu sein, ist ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen unerlässlich."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.