Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 26.06.2006
Jarmila Bugala

"Fahnenflüchtige der Ehe"

Damals...vor 45 Jahren am 28. Juni 1961: Der Bundestag beschließt das "Familienrechtsänderungsgesetz"

Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Sie kann nur durch den Tod oder ein gerichtliches Urteil beendet werden. Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist." Das steht im Gesetz. Einigen sich die Eheleute nicht einvernehmlich nach einem Trennungsjahr, gilt eine Ehe nach geltendem Recht als gescheitert, wenn die Ehegatten drei Jahre getrennt leben und einer der Ehepartner die Scheidung einreicht. Soweit also die Rechtslage von heute.

Vor 45 Jahren sah das schon ganz ähnlich aus. Auch damals konnte die Scheidung infolge einer tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses beantragt werden, wenn die häusliche Gemeinschaft der Eheleute seit drei Jahren aufgehoben war. Das Gesetz stammte ursprünglich aus der NS-Zeit und galt nicht nur als Ausdruck einer sich wandelnden Weltanschauung. Es sollte auch dem nationalsozialistischen Bedürfnis nach rascher Vermehrung des deutschen Volkes Rechnung tragen. Eine mühelose Trennung von einem in die Jahre gekommenen Ehepartner sollte zeugungsfähigen Männern und gebärfreudigen Frauen ermöglichen, mit einem neuen Partner Kinder zu bekommen.

Nach 1945 wurde der Scheidungsparagraf 48 des Ehegesetzes unverändert übernommen. Absatz 2 gestand dem verlassenen Ehepartner zwar explizit ein Widerspruchsrecht zu, in der Praxis kam dieses Recht allerdings kaum zur Anwendung.

Das allerdings war Kirchenvertretern ein Dorn im Auge. Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling wertete das Gesetz sogar als "Zeichen des Verfalls des sittlichen Bewusstseins eines Volkes". Mit dem Familienrechtsänderungsgesetz wollte er den "Fahnenflüchtigen der Ehe" zu Leibe rücken. Der Widerspruch des "Treue haltenden unschuldigen Ehegatten" sollte künftig von den Gerichten als Scheidungshindernis anerkannt werden - es sei denn, er stelle sich als Rechtsmissbrauch dar. Mit anderen Worten: Konnte eine Ehefrau, deren Mann sich nach dreijähriger Trennung scheiden lassen wollte, dem Gericht glaubhaft versichern, dass sie ihren Mann immer noch liebt und gern weiter mit ihm zusammenleben würde, so sollte die Ehe nicht geschieden werden können. Die Beteuerungen der Frau sollten nur dann als Rechtsmissbrauch gewertet werden, wenn der scheidungswillige Partner eindeutig nachweisen kann, dass der Widerspruch der verlassenen Frau durch Hass, Rache oder andere niedere Absichten ausgelöst wurde.

Die Änderung von Paragraf 48 war höchst umstritten. Fürsprecher von CDU/CSU bezeichneten das Gesetz als fortschrittlich, weil es dem Schutz der Familie diene. Man werde so auch sozialen Notständen gerecht, die sich in der modernen Gesellschaft immer wieder für diejenigen älteren Frauen ergäben, die nach einer langdauernden Ehe alleingelassen würden. Redner der SPD warfen der Regierung hingegen vor, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen. Die Alterspräsidentin des Bundestages Marie-Elisabeth Lüders (FDP) sprach sogar von der "Einführung der gesetzlichen Zwangsehe", die der Zunahme an Konkubinaten und unehelichen Kindern Vorschub leiste. Nach sechsstündiger, leidenschaftlich geführter Debatte wurde die Novellierung schließlich mit den Stimmen der Regierungsfraktion CDU/CSU gegen die Stimmen der SPD und FDP beschlossen. Neben der Neuformulierung des Scheidungsgesetzes beinhaltete die Familienrechtsänderung auch eine Neuregelung der Ehelichkeitsanfechtung eines Kindes und des Adoptionsrechts. Außerdem sollte die Unterhaltspflicht von Vätern unehelicher Kinder fortan statt bis zum 16. bis zum 18. Lebensjahr gelten.

In der Bevölkerung dürfte der Beschluss zur Scheidung auf breite Zustimmung gestoßen sein. Eine Befragung im Jahre 1954 hatte ergeben, dass 63 Prozent der Bevölkerung eine Erschwerung des Scheidungsrechts befürworteten, lediglich 20 Prozent hingegen eine Erleichterung.

Heute sähen die Zahlen vermutlich anders aus. Etwa jede dritte Ehe wird mittlerweile geschieden. Und auch rechtlich hat sich einiges geändert. Das Schuldprinzip wurde abgeschafft, seit der großen Familienrechtsreform von 1997 gilt das wertfreie Zerrüttungsprinzip. Zuletzt machten Pläne der amtierenden Justizministerin Zypries Schlagzeilen, mit einer "Scheidung light" das bisherige Scheidungsrecht zu ergänzen. Kinderlose Ehepartner sollen sich demnach künftig vor einem Notar einigen können. Damit wäre nicht nur die Trauung bereits nach wenigen Minuten vollzogen, auch die Scheidung könnte blitzartig über die Bühne gehen - am Ende würde man kaum noch merken, dass man überhaupt verheiratet war.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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