Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 26.06.2006
Karl-Otto Sattler

"Sam" und andere Geheimnisse

Polit-Krimi: Ausschuss befragt Entführungsopfer El-Masri

So jemanden darf man einen Star nennen. Stundenlang warten Kameraleute in einer Anzahl, wie man dies sonst beim Erscheinen hochrangiger Regierungsmitglieder vermutet, auf den sich verzögernden Auftritt des Zeugen. Allerdings fehlt Khaled El-Masri jedwede Fähigkeit zur Inszenierung. Der Deutsch-Libanese wirkt eher schüchtern und zurück-haltend, als er sich mit meist leiser Stimme vor dem BND-Untersuchungsausschuss bohrenden Fragen der Abgeordneten stellt: Sie interessiert, ob deutsche Stellen in irgendeiner Weise in die Verschleppung des fälschlicherweise unter Terrorverdacht geratenen El-Masri von Mazedonien nach Afghanistan durch die CIA verwickelt waren.

Das muss als offen gelten. Die Aufklärung dieses Falls verspricht jedenfalls, zu einem politischen Krimi zu werden. Gewiss, Max Stadler (FDP), Wolfgang Nescovic (Linkspartei) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) vermögen bislang die Position der Bundesregierung nicht zu widerlegen, wonach Berlin von der Entführungsaktion erst nach deren Abschluss Ende Mai 2004 erfuhr; wobei zudem Ex-Innenminister Otto Schily auf merkwürdige Weise von US-Botschafter Daniel Coats ins Vertrauen gezogen wurde und dies lange Zeit für sich behielt. Nach der Vernehmung der mit diesem Fall befassten Münchner Staatsanwälte können die Obleute der Koalitionsfraktionen, Hermann Gröhe (CDU) und Thomas Oppermann (SPD), auch zufrieden erklären, für eine Mitwisserschaft oder gar Beteiligung deutscher Behörden am Kidnapping El-Masris gebe es bisher keine Belege.

Aber die Opposition punktet ebenfalls und fügt in ihre Indizienkette so manches Puzzle, das die Glaubwürdigkeit der offiziellen Version doch ernsthaft hinterfragt. Plötzlich tauchen Zeugen auf, die in Mazedonien von der Festnahme des Deutsch-Libanesen Silverster 2003 schon zu Jahresbeginn 2004 Kenntnis erhalten hatten. Vor allem: Wer ist der in wessen Auftrag agierende ominöse "Sam", der als deutschsprechende Person in den Schlussakten des Dramas um El-Masri mitgemischt hat und der nach dessen Überzeugung ein Mitarbeiter deutscher Behörden gewesen sein muss? "Sam" hat alle Chancen, im Berliner Politikbetrieb zu einem der meistgenannten, wenn auch unbekannten Figuren zu werden.

Es stachelt die Neugier an, dass im Ausschuss immer dann die Klappen runtergehen, wenn es spannend wird: So dürfen Oberstaatsanwalt August Stern und Staatsanwalt Martin Hofmann stets dann nichts sagen, wenn Vorgänge oder Dokumente als geheim, Verschlusssache oder für den Dienstgebrauch bestimmt deklariert werden - wobei es sich immer um eine mögliche Beteiligung deutscher Stellen dreht. Nescovic kritisiert das als "massive Behinderung" der Recherchen. Der Zwischenruf "Das ist eingestuft!" ist von Vertretern der Bundes- und bayerischen Regierung als Stoppsignal häufig zu hören, und "Sam".

Immerhin kann als gesichert gelten, dass die widerrechtliche Entführung El-Masris, der nach seinen Worten Anfang der 80-Jahre im Libanon kurzzeitig einer bewaffneten Gruppe angehört hatte, von seiner Festnahme an der mazedonischen Grenze über seine Inhaftierung in Afghanistan bis zu seiner Freilassung in Albanien tatsächlich stattfand. Laut Hofmann existieren keinerlei Anhaltspunkte, dass die Angaben El-Masris nicht stimmen. Dessen Schilderungen seien im Kern "glaubwürdig", so Stern. Aber machten deutsche Stellen mit? Oder wussten sie etwas und taten trotzdem nichts für den Bürger aus Neu-Ulm?

Laut El-Masri redete "Sam" bei Vernehmungen in Afghanistan und während des Rückflugs einwandfreies Deutsch in einem Tonfall, der nicht schwäbisch oder bayerisch war, auch sein Aussehen sei "deutsch" gewesen. Der Zeuge erinnert sich an Sätze "Sams" wie diese: Er müsse "Rücksprache mit Deutschland halten". "Wir haben einen neuen Bundespräsidenten." Er habe von "den Amerikanern" und "den Mazedoniern" gesprochen - was El-Masri in dem Sinne verstand, dass sich "Sam" nicht zu den Amerikanern oder Mazedoniern zähle. "Sam" sei zudem viel besser als die US-Vernehmer über seine Lebensumstände zu Hause informiert gewesen, selbst den Standort der Gefriertruhe im Neu-Ulmer Multikulturhaus habe er gekannt. Aus Sicht des Deutsch-Libanesen handelt es sich bei "Sam" um einen Beamten des Bundeskriminalamts (BKA), den er zunächst auf einem Internet-Bild und später bei der Polizei auf einem Foto identifizierte. Bei einer persönlichen Gegenüberstellung war er sich dann noch "zu 90 Prozent sicher". Auch will El Masri "Sam" auf einem im Libanon gedrehten Videofilm zusammen mit dem dortigen Regierungschef erkannt haben. Die Abgeordneten sehen sich diesen Streifen demnächst an.

Indes erklären die Münchner Staatsanwälte, nach ihren Recherchen verschiedener "Sam-Varianten" sei davon auszugehen, dass diese Person kein Mitarbeiter des BKA oder anderer deutscher Behörden sei. Man arbeite jedoch an weiteren Spuren, eine führe "in Richtung CIA", so Stern. Diese Möglichkeit erwähnt auch SPD-Obmann Oppermann. Die Opposition äußert freilich Zweifel an dem Alibi des BKA-Beamten und an der Aussagekraft der Gegenüberstellung El-Masris mit dem betreffenden Polizisten.

Die Koalitionsabgeordneten dürfen es auf ihrem Konto verbuchen, dass sich laut Staatsanwaltschaft bislang keine Hinweise fanden, wonach deutsche Stellen in der Zeit der Verschleppung El-Masris zwischen Silvester 2003 und Ende Mai 2004 etwas von dieser Entführung wussten. Allerdings merkt Hofmann an, man sei "von den Ereignissen der vergangenen Wochen eingeholt" worden.

Gemeint ist etwa dies: Vor dem Ausschuss führt ein damals in Mazedonien tätiger Telekom-Manager aus, er habe Anfang 2004 von der Verhaftung eines Deutschen erfahren - der Name El-Masri fiel nicht - und dies telefonisch der deutschen Botschaft mitgeteilt, wobei ihm bedeutet worden sei, diese Sache sei bekannt. Laut Außenministerium kann sich niemand in der Botschaft an einen solchen Anruf erinnern. In dieser Woche soll ein BND-Mitarbeiter vernommen werden, der im Januar 2004 in einer mazedonischen Kantine etwas von der Festnahme El-Masris mitbekam, dies aber nicht nach Pullach gemeldet haben will.

Ob die Proteste Stadlers, Nescovics und Ströbeles gegen die Deklarierung zahlreicher brisanter Dokumente als "eingestuft" Wirkung zeigen, steht dahin. Interessant wäre es schon, dieses und jenes zu enthüllen. Was hat es etwa mit der "anonymen Notiz" und dem "Non-Paper" Skopjes auf sich, worin laut Stadler die mazedonische Regierung ihre Sicht der Verschleppungsaktion darlegen soll? Nichts Näheres wird unter anderem auch mitgeteilt zur Frage, ob US-Dienste Anfragen zu El-Masri an eine mit Ermittlungen im islamistischen Umfeld befasste süddeutsche Polizeieinheit gerichtet haben. Oder ob eine Medienmeldung zutrifft, wonach ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ein Dossier über den Deutsch-Libanesen an die CIA übergeben haben soll.

Nichts wird bejaht, nichts verneint. Das ist schlecht für die öffentliche Aufklärung des Falls, beflügelt indes die kriminalistische Phantasie.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.