Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 26 / 26.06.2006
Ralf Hanselle

Die auswärtige Kultur steht auf dem Prüfstand einer Kulturnation

Diskussion über die Zukunft des Goethe-Instituts

An der Dachauer Straße 122 in München ist der Sommer bereits seit Wochen schwer getrübt. Hier im Westen der bayerischen Metropole liegt die Zentrale des Goethe-Instituts. Seitdem dessen Präsidentin, Jutta Limbach, und ihr kaufmännischer Direktor, Jürgen Maier, auf einer Pressekonferenz im Mai von einem Finanzloch im laufenden Haushalt von gut 7 Millionen Euro berichten mussten, ist das Flaggschiff der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ins Gerede gekommen. Nur durch Haushaltsumschichtungen kann hier momentan der Betrieb noch aufrecht erhalten werden. Im Feuilleton und in der interessierten Öffentlichkeit macht man sich daher Gedanken. Während im Jahr 2001 die institutionelle Förderung durch das Auswärtige Amt noch 125, 6 Millionen Euro betrug, ist diese in diesem Jahr auf 109,1 Millionen Euro zusammengestrichen worden. Rechnet man Kostensteigerungen und Inflationsrate mit ein, so verliert das Institut jährlich sechs Prozent seiner finanziellen Substanz.

Diese Nachricht kommt zur Unzeit. Denn eigentlich hatte man in den letzten Monaten immer wieder davon gehört, dass die Politik noch Großes mit dem Kultur- und Bildungsinstitut nebst seinen 128 Auslandsniederlassungen vorhabe. Vor dem Hintergrund internationaler Krisen, die zunehmend eine kulturelle Sprache sprechen, und in Anbetracht von Kritikern, die vor einem "Clash der Kulturen" warnen, war man in München und Berlin seit geraumer Zeit damit beschäftigt, die Struktur und das Institutsnetz neu auszurichten. "Angesichts veränderter globaler Herausforderungen muss das Goethe-Institut über seine geografischen Schwerpunkte und adäquate Präsenzformen nachdenken", so Jutta Limbach auf der Pressekonferenz des Instituts Anfang Mai.

Im Klartext: Das internationale Zweigstellennetz soll zukünftig mehr institutionelle Knotenpunkte in den politisch wie ökonomisch attraktiven Regionen des Nahen Ostens und Asiens erhalten. Doch bei der gegenwärtigen Haushaltslage wird dies vermutlich nicht ohne Streichungen in anderen Bereichen vonstatten gehen können. Kritiker befürchten daher, dass man in der Münchner Zentrale und im Auswärtigen Amt bereits laut darüber nachdenkt, Institute in Europa noch weiter zu verkleinern oder gar ganz zu schließen. Zudem wird vermehrt der Vorwurf laut, man wolle mit einem Ausbau der Vertretungen in Asien die Kultur zunehmend ökonomischen Interessen unterordnen. In der Debatte ist also Zündstoff.

Nun nimmt sich auch der Bundestag der Angelegenheit vermehrt an. Nachdem in der 11. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien am 17. Mai bereits Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) detailliert auf besorgte Fragen von Ausschussmitgliedern zur Zukunft der auswärtigen Kulturpolitik antworten musste, hat nun der Unterausschuss Kultur im Ausschuss für Auswärtiges eine Expertenanhörung auf seine Tagesordnung gesetzt. Sieben Sachkundige aus Kultur und Wirtschaft hat man nach Berlin geladen, um einen möglichst facettenreichen Blick auf die gegenwärtige Problemlage des Instituts zu bekommen. Titel der Anhörung am 26. Juni: "Die Zukunft des Goethe-Instituts als Instrument der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik." Sprechen werden hier unter anderem der Historiker und Direktor des Deutschen Historischen Museums, Hans Ottomeyer, der Ökonom Heinz Dürr und der Literaturkritiker Thomas Steinfeld. Besonders Letzterer ist in den vergangenen Wochen immer wieder als vehementer Kritiker möglicher weiterer Kürzungspläne des Instituts in Europa aufgetreten. In einem Artikel für die "Süddeutsche Zeitung" hatte Steinfeld die aktuelle Diskussion mit den bissigen Worten kommentiert, dass Europa nicht aus der Nachkriegszeit entlassen würde, nur weil ein paar Buchprüfer des Goethe-Instituts das so wollten.

Auf Nachfragen dieser Zeitung erklärte Steinfeld, dass es besonders in der aktuellen Situation, in der die EU zunehmend gespalten sei, nicht zu verantworten wäre, wenn man die ohnehin schon unterfinanzierten europäischen Institute noch weiter schröpfe. Budgetstreichungen, wie sie etwa jüngst beim Goethe-Institut in Kopenhagen vorgenommen worden sind - hier ist ein neues Haus mit gut 30 Prozent weniger Fläche angemietet worden - verändern die Institute letztlich völlig. Selbst wenn komplette Schließungen verhindert werden könnten; was wäre ein großes europäisches Goethe-Institut ohne Bibliothek oder Auditorium?

In diese Richtung wird auch die Kritik zielen, die Thomas Steinfeld Ende Juni vor dem Unterausschuss zur auswärtigen Kultur vortragen wird. Er erwarte zudem von allen Beteiligten eine einheitlichere Zielsetzung. Bis dato, so Steinfeld, hätten das Präsidium des Goethe-Instituts, das Auswärtige Amt, der Kulturausschuss und der Auswärtige Ausschuss vollkommen unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Aufgaben ein deutsches Kulturinstitut im Ausland zu leisten habe. Zu oft gehe es da um primär Politisches oder Ökonomisches, zu selten schlicht um Kunst und Kultur.

Wie begründet diese Kritik ist, wird sich herausstellen. Steinfeld jedenfalls ist sicher nicht der Einzige, der die Sorge hat, ein Instrument auswärtiger Kulturpolitik könne schon bald als ein Instrument auswärtiger Politik betrieben werden. Indes: Die Meinungsverschiedenheiten verlaufen nicht nur entlang der Grenzen der Institutionen; auch in den politischen Parteien hat man zum Teil unterschiedliche Auffassungen. Monika Griefahn etwa, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien sowie im Unterausschuss auswärtige Kultur, hat die Verschiebung der Interessenschwerpunkte in die asiatische und islamische Welt in mehreren Interviews begrüßt. Im Deutschlandradio etwa meinte die SPD-Politikerin, dass es nicht verhältnismäßig sei, wenn man in Italien sieben Institute habe, in China aber nur eineinhalb.

Etwas anders sieht man das in Teilen der Opposition. Uschi Eid (Bündnis 90/Die Grünen) ist zwar ebenso der Auffassung, dass neue Weltregionen kulturpolitisch an Gewicht gewinnen; es dürfe aber keinen Ausbau geben, der durch Rückbau an anderer Stelle finanziert würde. "Der europäische Einigungsprozess", so Eid, "ist längst nicht mehr der Selbstläufer, der er vielleicht über viele Jahre hinweg gewesen ist." Zudem gäbe es in Teilen Europas noch immer ein Bild von Deutschland, das nach wie vor von den Schatten der NS-Zeit überlagert sei.

Dieses zu verändern, darin habe seit jeher eine der Kernkompetenzen der europäischen Institute bestanden. Uschi Eid, die zudem außerordentliches Mitglied in der Mitgliederversammlung des Goehte-Instituts ist, könne sich daher zwar vorstellen, dass das Institut logistisch mit europäischen Nachbarinstituten wie dem British Council oder dem Institut Français zusammenarbeitet, um so Strukturmittel einzusparen, Schließungen oder weitere Programmkürzungen lehnte sie aber ab. Jetzt sei es für sie vielmehr an der Zeit, das umzusetzen, was Außenminister Steinmeier vor einigen Wochen im Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" gefordert hatte: eine "Trendumkehr der in den letzten Jahren sinkenden Ausgaben für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik".

An der Dachauer Straße fordert man das schon lange. Nur so können die ehrwürdigen Institute in Europa langfristig gesichert werden und sich Palermo, Genua oder Turin gegen Indien, China und die arabische Halbinsel behaupten. Goethes Reise nach Italien ist seit gut 200 Jahren ein fester Topos europäischer Literaturgeschichte. Nun heißt es hoffen, dass seine "italienische Rückreise" auch in Zukunft noch ein biss-chen auf sich warten lässt.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.