Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006
Jörg von Bilavsky

Ohne zündende Pointe

Witz für Witz: Das "Dritte Reich"

Wer sind die schlechtesten Skatspieler? Die Sozialdemokraten. Sie haben bis 33 gereizt und hätten bei 18 aussteigen sollen." Über Witze dieses Kalibers dürfte Hitler herzlich gelacht haben. Natürlich auch über die harmlosen Filmschwänke mit Heinz Rühmann, Willy Fritsch oder Grete Weiser, die ihm Goebbels auf den Obersalzberg schickte. Die von ihm beschworene "Volksgemeinschaft" hingegen amüsierte sich nach 1933 lieber auf seine Kosten.

In der Kneipe, an der Werkbank oder am Küchentisch kursierten zahllose Witze, die Hitler und sein Terrorregime mehr oder minder derb verspotteten. Die meisten Scherze sind ihm wohl nie zu Ohren gekommen. Waren doch des "Führers" Wutanfälle gefürchtet, kam auch nur die leiseste Kritik an ihm und seinen Entscheidungen auf. Privatsekretär Martin Bormann und andere getreue Paladine wussten darum. Sie behielten die von Denunzianten erlauschten und der Gestapo protokollierten Witze lieber für sich und ließen ihre Urheber stillschweigend abstrafen.

Gleichwohl überdauerten die Späße den Untergang des "Tausendjährigen Reiches". In Witzbrevieren der Nachkriegszeit und natürlich in den Köpfen der Zeitgenossen sind sie konserviert. Der "Nachgeborene" Rudolph Herzog hat die humoristische Hinterlassenschaft der NS-Zeit nun als Regisseur und Historiker kritisch unter die Lupe genommen. Mit seinem Sach-buch und der gleichlautenden Fernsehdokumentation "Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler" will er gleich mit einer ganzen Latte von Legenden aufräumen.

Dass es im "Dritten Reich" nichts zu lachen gab und nazikritische Spaßmacher reihenweise verurteilt wurden, entlarvt er als gezielt gepflegtes Gerücht von Mitläufern, die ihre Tatenlosigkeit nachträglich rechtfertigen wollten. Herzogs Erkenntnis ist jedoch keineswegs neu. Haben doch Historiker in Berichten des Sicherheitsdienstes und in Gestapo-Akten längst entdeckt, dass die "Flüsterwitze" lauter erzählt, weiter getragen und milder bestraft wurden als gemeinhin vermutet. Überdies weiß sich Herzog mit der Forschung darin einig, dass staatsfeindlicher Humor nicht Widerstand symbolisierte, sondern ein wichtiges Ventil für den angestauten Volkszorn war. Und auch seinen Thesen wohnt das dialektische Diktum Adornos zum politischen Witz inne: "Gelacht wird darüber, dass es nichts zu lachen gibt."

Dennoch meint der historisch beschlagene Autor mit Buch und Film ein unbekanntes Kapitel der NS-Geschichte aufschlagen zu können. "Was die Menschen des untergegangenen ‚Tausendjährigen Reichs' wirklich dachten", soll seine sich von Witz zu Witz, von Ereignis zu Ereignis hangelnde Analyse verraten. Aber was dachte der "Volksgenosse" wirklich, wenn er solche Witze erzählte: "Womit soll sich das deutsche Volk im Zeichen des Vierjahresplans wärmen, wenn auch das Holz für wichtigere Dinge gebraucht wird? Sehr einfach, mit Stoffen, hergestellt aus Hitlers Hirngespinsten, Goebbels Lügengeweben und dem Geduldsfaden des deutschen Volkes." Herzog gibt darauf jedenfalls keine Antwort. Solange er nicht klären kann, wer die Witze erdacht, wer sie wem in welcher Situation und Stimmung erzählt hat, solange kratzt er lediglich an der Oberfläche des Phänomens. In dieser Hinsicht fehlt dem Buch analytischer Tiefgang und dem Film atmosphärische Dichte. Weder die Interviews mit den Kabarettisten Dieter Hildebrandt und Fritz Muliar noch die von mittelmäßigen Comedians inszenierten Witze vermögen dies zu leisten.

Obgleich Herzog sein ehrgeiziges Ziel verfehlt - die Fieberkurve des politischen Humors im "Dritten Reich" zeichnet er äußerst exakt nach. An den historisch eindeutig verorteten Witzen ist genau abzulesen, wie der Humor nach der Machtübernahme immer bissiger und bitterer wurde und sich im Lichte der drohenden Niederlage schwarz färbte. Der flott formulierte, an positiver wie negativer Witzkritik nicht geizende Abriss besticht aber vor allem durch spannende Exkurse zum Kabarett, zur Filmkomödie oder zum Leben und Sterben regimetreuer wie regimefeindlicher Künstler. Nur die zündende Pointe, die groß angekündete Deutung des NS-Alltags, die bleibt leider aus.

 

Rudolph Herzog: Heil Hitler, das Schwein ist tot! Lachen unter Hitler - Komik und Humor im Dritten Reich. Eichborn Verlag, Frankfurt a. Main 2006; 267 S., 19,90 Euro.


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