Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006
Johanna Metz

Gemeinsam gegen den Terror

Damals... vor 5 Jahren am 12. September 2001: Die Nato stellt den Bündnisfall fest

Es waren entsetzliche Bilder, die am 11. September 2001 weltweit die Menschen erschütterten. Am Morgen hatten Flugzeuge, von islamistischen Terroristen umfunktioniert zu kerosingetränkten Bomben und voll besetzt mit Passagieren, das World Trade Center in New York und Teile des Pentagons in Washington zerstört. Das Fernsehen übertrug die Apokalypse live - den Einsturz der brennenden Zwillingstürme im Herzen Manhattans, den Moment, als Tonnen von Staub und Asche die Skyline der Stadt verdunkelten und unter dem berstenden Stahl des Wolkenkratzers über 3.000 Menschen starben.

Es war nicht nur Amerika, das an diesem Tag getroffen wurde. Auch jenseits des Atlantiks wurde vielen bewusst, dass die Angriffe nicht nur einem einzigen Land, sondern vielmehr dem gesamten Westen und seinen Werten gegolten hatten. In London, Berlin und Paris verurteilten die Regierungen die Terrorakte als "Kriegserklärung an die westliche Welt" und knüpften an diese Einschätzung ein Versprechen: "Wir werden Amerika zu Hilfe eilen", versicherte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi dem US-Präsidenten George Bush. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte am 12. September im Bundestag, es bestehe "völlige Einmütigkeit darüber, dass diese außergewöhnliche Situation das Zusammenstehen aller Demokraten erfordert".

Wie weit dieses "Zusammenstehen" gehen sollte, zeigte sich noch am gleichen Tag. Kaum 24 Stunden nach den Anschlägen verkündete Nato-Generalsekretär George Robertson eine Botschaft von historischer Bedeutung: Erstmals seit ihrem über 50-jährigen Bestehen stellten die Mitgliedstaaten der Nato den kollektiven Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages fest. Das hieß: Da die Angriffe auf die Vereinigten Staaten vom Ausland aus eingeleitet wurden, bewertete die Nato die Anschläge als einen Angriff auf das gesamte Bündnis. Die Partnerstaaten verpflichteten sich, der angegriffenen Partei durch Maßnahmen, die sie für erforderlich halten, Beistand zu leisten. Ziel: "die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen" - wenn nötig auch mit Gewalt.

In Deutschland gab es gegen diese "Anti-Terror-Koalition" zunächst kaum Widerstand. Selbst die Grünen fassten den Beschluss, angesichts der terroristischen Angriffe "der Inanspruchnahme des Bündnisfalles nicht zu widersprechen". Bundeskanzler Schröder erklärte, er unterstütze den Beschluss des Nato-Rates, bezeichnete allerdings die Entscheidung darüber als eine "sehr schwere". Ausdrücklich wies er am 19. September im Bundestag darauf hin, dass die Bundesrepublik sich damit zwar zu Risiken, "auch militärischen", bereit erkläre, "aber nicht zu Abenteuern." Schröder: "Eine Fixierung auf ausschließlich militärische Maßnahmen wäre fatal. Wir müssen und wollen ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung des Terrorismus, zur Prävention und zur Bewältigung von Krisen entwickeln."

Einzig die PDS lehnte die Entschließung der Nato grundsätzlich ab. Der Abgeordnete Roland Claus warnte: "Wenn der globalisierte Terror den globalisierten Krieg zur Folge hätte, dann hätte nicht die Zivilisation, dann hätte der Terror gesiegt." Dem US-Präsidenten warf er "Kriegsrhetorik" vor. Seine Reden von der "Notwendigkeit eines Kreuzzuges" machten es schwer, kritisch solidarisch zu sein.

Nur einen Tag später erklärte George Bush vor dem amerikanischen Kongress: "Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet nicht dort. Er wird nicht enden, bis jede terroristische Gruppe von globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist." Was folgte, war am 7. Oktober 2001 der Beginn des Afghanistan-Krieges und die Beseitigung des Taliban-Regimes. Anderthalb Jahre später, am 20. März 2003, marschierten US- Truppen in den Irak ein.

Vielen Kritikern ging das zu weit: Bereits der Afghanistan-Feldzug hatte gezeigt, dass die USA, Bündnis hin oder her, den Krieg ohnehin lieber allein führten. 2002 erreichte die Krise ihren Höhepunkt, als einige europäische Staaten wie Deutschland und Frankreich in der Irak-Frage der Argumentation der Amerikaner, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen und unterstütze das Terrornetzwerk Al-Qaida, nicht folgen mochten. Sie lehnten einen Krieg und eine Beteiligung daran ab. Die vormals so geschlossene Anti-Terror-Koalition war tief gespalten, die Beziehungen normalisierten sich nur langsam wieder. Allen Dissonanzen zum Trotz sind die Nato-Staaten von ihrem Willen zum Beistand aber bis heute nicht abgerückt: Der Bündnisfall nach Artikel 5 besteht noch immer fort - auch fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.