Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 11.09.2006

Dieser Barock eignet sich nicht für Folklore

Interview mit Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Am 15. September öffnet das Historische Grüne Gewölbe in Dresden nach jahrelanger Restauration seine Pforten für Besucher. Was kann uns ein "barockes Gesamtkunstwerk" mit auf den Weg geben? Sehr viel mehr als Gold und Glitzer, sagt Professor Martin Roth, der seit 2001 Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist. Der 51-Jährige kam 1991 als Direktor des Deutschen Hygiene-Museums nach Dresden. Er ist auch Kuratoriumsmitglied beim UNESCO-Welterbe Dresdner Elbtal.

Das Parlament        Die Wiedereröffnung des Historischen Grünen Gewölbes wird von Superlativen begleitet: Als "bedeutendstes Museumsprojekt" Europas oder dessen "größte Schatzkammer" wurde es bezeichnet. Was macht diese Präsentation so einzigartig?

Martin Roth         Wir können, wie nirgendwo sonst in Europa, ein Gesamtkunstwerk bestaunen. Ein Begriff, der sehr strapaziert ist; für diesen Schatz hat er aber wirklich seine Gültigkeit: Denn zu ihm gehören nicht nur der Ort, also das Schloss, sondern die Einrichtung, die Gesamtatmosphäre, die Materialien, das Design und dann natürlich die Objekte. Wirklich alle Details stimmen und fügen sich zu einer einzigartigen Gesamtqualität zusammen.

Das Parlament        Inwiefern hat man trotzdem moderne museale Konzepte der Präsentation berücksichtigt?

Martin Roth         Tatsächlich neu sind die Absperrungen vor den einzelnen Wänden. Balustraden gab es zwar früher auch, aber diese sind nun in ein gegenwärtiges Design gekleidet worden. Doch das ist das Einzige. Es ging auch nicht darum, ein auf alt gemachtes neues Museum zu schaffen: Das Grüne Gewölbe ist tatsächlich in seiner Originaldimension zu sehen. Es ist eine absolute Rekonstruktion. In bestimmten Bereichen ist es nicht einmal das, weil sich dort teilweise alles so erhalten hat, dass man es nach der Renovierung wieder einbauen konnte. Wir haben jetzt im Prinzip eine sehr große, begehbare Vitrine. Möglich macht diese Optik unendlich viel, sehr gut verborgene Technik. Wir benötigen zum Beispiel extrem gute Luft im Grünen Gewölbe. Wenn man sieht, wie die Objekte so offen und frei dastehen, muss man wissen, dass das nur möglich ist, weil es einen gigantischen technischen Apparat dahinter im Verborgenen gibt.

Das Parlament        Die Rede vom "barocken Gesamtkunstwerk" impliziert eine Vollkommenheit aber auch eine Abgeschlossenheit nach außen. Wo finden die Besucher Brücken, die über das Kunstwerk hinausweisen, in die Zeit, in der es entstanden ist?

Martin Roth         Es geht nicht einfach nur um die Inszenierung eines barocken Kunstwerkes. Der Barock in Dresden eignet sich nicht zur folkloristischen Darstellung. Für viele mag es vor allem um Pomp gehen, da kommt man dann auch nicht ran. Aber das Grüne Gewölbe ist eine Kammer der Metaphorik und der Symbolkraft! Hier finden sie die Interpretationen der Welt jener Zeit. Das alles kann man in den Objekten und den Symbolen entdecken, in den Materialien, in der Technik. Egal, ob es Nautilusmuscheln oder Silberarbeiten sind, ob es das Wappenzimmer ist oder die Schmuckanteile: Überall finden sie wirklich durchdachtes Weltwissen! Das ist, um Hubert Burda zu zitieren, als würden sie Google heute eingefrieren und dann in 400 Jahren wieder anschauen.

Das Parlament        Worin liegt für die Menschen von heute der kulturelle Mehrwert einer solchen Sammlung? Wir leben ja in einer Zeit, die vielleicht als das große Spar-Zeitalter in die Geschichte eingehen wird. Im Grünen Gewölbe aber geht es nicht zuletzt um die Ausstellung von Reichtum und Luxus.

Martin Roth         Dresden lebt von dieser Einzigartigkeit der Qualität. Ob Grünes Gewölbe, die Alten Meister oder die Porzellansammlung: Es gibt nirgendwo auf der Welt Sammlungen, die durchgängig von so exquisiter Qualität sind. Wenn das in die Zukunft gerettet werden soll, und das ist ja meine Aufgabe, geht es nur, indem weiter auf diesem Niveau gearbeitet wird. Wenn man hier nicht mit dieser ersten Qualität weitermacht, dann braucht man gar nicht weiterzumachen. Womit ich nicht gerechnet hätte, ist, dass Dresden innerhalb von 15 Jahren zu einem    Luxusstandort wird. Es gibt Firmen, die ihre Inneneinrichtungen weltweit exportieren, die an die Tradition von damals anschließen, aber auf einem Luxusniveau. Also: Es ist nicht nur die Kunst als tradiertes Element, sondern auch die Wirtschaft drum herum. Diesen Standort müssen wir pflegen.

Das Parlament        Vor dem Hintergrund des aktuellen Streits um die Waldschlösschenbrücke: Für wie wichtig halten Sie den Status des Elbtals als Weltkulturerbe?

Martin Roth         Es geht nicht so sehr um den Status Dresdens als Weltkulturerbe. Wir brauchen das alles nicht: Wir brauchen kein Unesco-Welterbe, keinen ADAC. Aber es gibt internationale Konventionen. Und es gibt auch in einem gesellschaftlichen Gefüge so etwas, wie ein Sich-aufeinander-Beziehen. Da entstehen manchmal schwierige Situationen, die man nur meistern kann, indem man sich aufeinander einlässt. Was mich in dem Zusammenhang viel mehr stört, ist dieses Sich-selbst-schlecht-Machen. Natürlich habe ich es viel lieber, wenn wir Weltkulturerbe sind, keine Frage. Aber ich habe den Eindruck, dass es sehr viele Verantwortliche in dieser Stadt gibt, die es im Prinzip eher schrecklich finden, dass Dresden so etwas Besonderes ist. Die es lieber hätten, dass die Stadt etwas x-Beliebiges wäre. Diese grandiose Tradition, auch die gebrochene Tradition mit den Zerstörungen des Krieges, ist eine Bürde für viele hier.

Das Parlament        Die Nachrichten von einem gigantischen Kunst-raub aus der Petersburger Eremitage ließen die Kunstszene kürzlich aufhorchen. Ist so etwas in Deutschland auch denkbar?

Martin Roth         Ja, natürlich. Niemand kann das kontrollieren. In der Öffentlichkeit ist niemandem so richtig bewusst, was für große Unternehmen wir leiten! Die drei Generaldirektoren in München, Berlin und Dresden repräsentieren zusammen 32 Museen. Das sind riesige Betriebe mit einem riesigen Schatz! Deshalb plädieren wir für oder betteln fast regelmäßig um Gelder für diese Provenienzforschungen. Nur so kann jedes Objekt entsprechend verortet werden. Es ist wichtig, auf Fingerdruck überprüfen zu können, ob das gesuchte Objekt da ist oder nicht. Aber dafür benötigen die Museen Geld. Vielen Politikern ist dieser Aspekt unserer Arbeit nicht bewusst, auch wenn sie die repräsentativen Anlässe dort genießen.

Das Interview führte Claudia Heine.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.