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Siegfried Löffler
Der blutige Bruderkrieg zwischen Rot und
Weiß
Finnland 1918: Sowjetisch oder
unabhängig?
Sechseinhalb Jahrhunderte lang war Finnland ein Teil Schwedens,
bevor es 1809 an Russland fiel. Neun Jahrzehnte ging das gut, weil
der Zar den Finnen weitgehende Autonomie und Sonderrechte
gewährte. Als aber Ende des 19. Jahrhunderts eine
Russifizierungspolitik einsetzte, erinnerten sich die Finnen der
Worte ihres berühmten Philosophen und Staatsmanns Johan
Wilhelm Snellman: "Schweden sind wir nicht mehr, Russen wollen wir
nicht werden, wir müssen Finnen sein." Kurz nach der
russischen Oktoberrevolution erklärten die Finnen am 6.
Dezember 1917 ihre Unabhängigkeit.
Über die richtige Staatsform kam es im Frühjahr 1918
zum Streit zwischen Sozialdemokraten, Kommunisten und sozial
Schwachen, deren "Rote Garde" von russischen Soldaten
unterstützt wurde, und den Bürgerlichen, deren
"Weiße Garde" der spätere Marschall und
Staatspräsident Carl Gustav Emil Mannerheim befehligte. Dazu
gehörten in Deutschland ausgebildete finnische
Jägeroffiziere, schwedische Freiwillige und die deutsche
Ostseedivision.
Der am 28.Januar 1918 begonnene Krieg von Finnen gegen Finnen -
von den einen als Freiheits-, von den anderen als Bürgerkrieg
empfunden - dauerte sechs Monate und kostete 35.000 Menschenleben.
Als Mannerheim in einem Tagesbefehl den Sieg der "Weißen"
verkündete, sprach er von einem "Sieg der Kultur über die
russischen Bolschewisten und ihre weltumstürzenden,
zivilisationszerstörenden Lehren", erwähnte allerdings
mit keinem Wort, dass primär Finnen gegen Finnen gekämpft
hatten. Da bei einem Sieg der "Roten" Finnland eine Sowjetrepublik
geworden wäre, betrachteten die "Weißen" die Unterlegenen
als Landesverräter; diese wurden deshalb zu Tausenden
standrechtlich erschossen. Von den 70.000 gefangenen Rotgardisten
starben über 10.000 an Hunger und Krankheiten in den
Lagern.
Die harte Auseinandersetzung zwischen "Weiß" und "Rot"
hatte fast ein halbes Jahrhundert lang Einfluss auf das
Wahlverhalten der Kinder und Kindeskinder der Beteiligten. Da half
es auch nichts, dass während der beiden Kriege gegen die
Sowjetunion (1939/40 und 1941-44) auch die ehemaligen "Roten" als
nationalbewusste Finnen gegen die Russen kämpften und viele
von ihnen fielen. Auch bei der Forschung zu diesem Abschnitt der
finnischen Geschichte gab es jahrzehntelang eine Spaltung in
Freiheitskriegs- und Klassenkampfliteratur. Auf unparteiische
Untersuchungen und eine Gegenüberstellung von roten und
weißen Terror musste man lange warten.
Schlacht um Tampere
Bei der Schilderung der entscheidenden Schlacht um Finnlands
zweitgrößte Stadt Tampere, die 22 Tage dauerte und an der
30.000 Kämpfer beteiligt waren, schont der Autor keine der
beiden Seiten. Er wollte weder eine "weiße Heldenlegende"
fortschreiben noch die roten Aufständigen rehabilitieren. Er
sieht nur dann eine Chance, unter das Jahr 1918 endlich einen
Strich zu ziehen, wenn "auch Taten aufgedeckt werden, die bisher
verschleiert wurden".
Ein Tabubruch ist nicht nur in Finnland, sondern auch in andern
Ländern schwer. Es ist aber Aufgabe von Historikern, ohne
Rücksicht auf Beifall und Widerspruch Gräueltaten als
solche zu bezeichnen, ganz gleich, wer sie beging. Unter diesem
Aspekt ist das mutige Buch als ein wichtiger Beitrag zur
Objektivierung des Geschichtsbildes weit über Finnland hinaus
zu begrüßen.
Heikki Ylikangas
Der Weg nach Tampere. Die Niederlage der Roten im finnischen
Bürgerkrieg 1918.
Berliner Wissenschaftsverlag (Berlin-Verlag Arno Spitz), Berlin
2002; 428 S., 49,90 Euro
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