|
|
Bert Schulz
Sex als Sicherheitsrisiko
Damals... vor 20 Jahren am 20. Januar: Der
Verteidigungsausschuss untersucht "Affäre
Kießling"
Wie sich eine Gesellschaft verändert, zeigt sich auch
daran, welche Gruppen sie als Minderheiten begreift und wie sie mit
ihnen umgeht. Der Skandal um die vermeintliche Homosexualität
des Viersternegenerals Günter Kießling etwa, der vor 20
Jahren die Republik erschütterte, entpuppt sich im
Rückblick als peinliche Posse. Vor zwei Jahrzehnten sahen
Bundeswehr und Geheimdienste in der "sexuellen Abnormalität"
wegen der vermeintlichen Erpressbarkeit ein kaum zu kalkulierendes
Sicherheitsrisiko. Inzwischen bezeichnen sich Regierungschefs von
sich aus als schwul und beurteilen das selbstbewusst als "gut so".
Wenige Wähler stören sich daran. Und der Untergang des
Abendlandes ließ bisher auch noch auf sich warten.
Was später als einer der wenigen politischen Sex-Skandale
der Bundesrepublik in die Geschichte eingehen wird, beginnt mit
einer knappen Bekanntmachung des Verteidigungsministeriums. Am 4.
Januar 1984 verkündet die Hardthöhe, dass der
59-jährige Kießling, seit April 1982 Stellvertreter des
Obersten Alliierten Befehlshabers in Europa, bereits zum 31.
Dezember des just beendeten Jahres in den vorzeitigen Ruhestand
versetzt worden sei - ohne Angaben von Gründen. Dies war rein
rechtlich möglich.
Bis dahin ist wenig über den gebürtigen Frankfurter,
einer von drei deutschen Viersternegenerälen, bekannt gewesen.
Angesichts der auffällig dezenten Ausmusterung blühen
aber rasch die Spekulationen. Anfangs ist die Rede von Differenzen
mit dem NATO-Oberkommandierenden, Bernard Rogers. Doch schon zwei
Tage nach der Bekanntmachung des Ministeriums wird öffentlich
geargwöhnt, der Junggeselle sei aufgrund des Verdachts der
Homosexualität aus dem Verkehr gezogen worden. Stichhaltige
Beweise für diese Unterstellung habe der Militärische
Abschirmdienst (MAD) geliefert.
Der General selbst geht daraufhin zum Gegenangriff über:
Kießling, der bereits ein Disziplinarverfahren gegen sich
beantragt hat, um die Vorwürfe klären zu lassen,
bestätigt in mehreren Interviews mit der Presse den
offiziellen Grund seiner Entlassung. Zugleich gibt er sein
Ehrenwort, nicht schwul zu sein. Verteidigungsminister Manfred
Wörner (CDU) hält, unter Bezug auf die Informationen des
MAD, dagegen. Jener habe "eindeutige" Nachweise vorgelegt, "Irrtum
ausgeschlossen": Unter anderem sei Kießling von einem Besucher
einer Schwulenkneipe in Köln identifiziert worden als der
"Günter von der Bundeswehr", der sich häufig in dem Lokal
aufhalte und auch Kontakt mit Strichern habe. Zudem wird
Kießling vorgehalten, dass er die "eindeutigen" Vorwürfe
bestreitet und sich rund 200 Tage im Jahr nicht an seinem Dienstort
aufhielt - verdächtig, verdächtig.
Indes kommt in den ersten Januarwochen heraus, dass die
MAD-Erkenntnisse regelrecht zusammengeschustert wurden: Der
"Günter" entpuppt sich als "Jürgen", andere Zeugen als
völlig unbrauchbar, teils sind die Ermittlungen in einer
Manier durchgeführt worden, die an billige Fernsehkrimis
erinnert. Und neben dem MAD steht nun auch der
Verteidigungsminister am Pranger, über dessen Rücktritt
spekuliert wird. Wörner bietet ihn später auch an,
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) lehnt dies aber ab. Ein taktisch
kluger Schachzug: In München bringt sich bereits Franz Josef
Strauß als Nachfolger Wörners selber ins Gespräch.
Kohl will aber eine Rückkehr des CSU-Vorsitzenden, der
früher schon einmal Verteidigungsminster war, auf die
bundespolitische Bühne unbedingt verhindern.
Um den General zu rehabilitieren beantragen ausgerechnet die
nicht gerade als Freunde der Bundeswehr bekannten Grünen eine
Aktuelle Stunde im Bundestag. Am gleichen Tag, dem 20. Januar,
konstituiert sich der Verteidigungsausschuss als
Untersuchungsausschuss, um in 18 Sitzungen bis Anfang Juni die
Affäre zu klären. Der Verteidigungsausschuss hat laut
Grundgesetz auf dem Gebiet der Verteidigung die Rechte und die
alleinige Zuständigkeit eines Untersuchungsausschusses. Im
Verlauf der Sitzungen wird insbesondere die dubiose Arbeitsweise
des MAD bloß gestellt.
Der Skandal endet schließlich damit, dass Wörner eine
Ehrenerklärung abgibt zu Gunsten des Generals und jener wieder
eingestellt wird - bis zu seiner ohnehin vorgesehenen Entlassung
Ende März des gleichen Jahres. Im Gegensatz zum ersten,
unrühmlichen Dienstende in Wörners Büro in zivil
wird das zweite mit allen militärischen Ehren begangen:
Kießling wird am 26. März 1984 mit einem Großen
Zapfenstreich in den Ruhestand verabschiedet. Wörner wird 1988
NATO-Generalsekretär.
Zurück zur
Übersicht
|