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Rüdiger Suchsland
Im Osten geht die Sonne auf
Die Sehnsucht nach dem Fremden: Die neue
Japanmode spielt nicht nur im Kino
Eine gute Mischung: Zen-Philosophie,
Kampftechnik, viel grüner Tee und noch mehr Spaziergänge
an frischer Luft sind nötig, damit der traumatisierte
Amerikaner wieder zu sich findet. Edward Zwicks Film "Last Samurai"
(seit 8. Januar im Kino) beschreibt einen ungewöhnlichen
Lernprozess - für den Hollywood-Mainstream sogar eine kleine
Sensation: Denn Tom Cruise ist in diesem Film kein Held, der
unglückliche Wilde der den "american way of life" lehrt,
sondern stellvertretend für sein Publikum lernt er selber
Neugier und Achtung vor einer zunächst schwer
verständlichen Kultur. Keine Selbstverständlichkeit in
Zeiten des "war against terror", in denen auch Hollywood in die
patriotische Pflicht genommen wird. Am Ende ist Cruise ein echter
Samurai geworden, der japanisch spricht und viele Werte des alten
Japans verinnerlicht hat. Nach Amerika wird er nicht
zurückkehren, er verachtet seine Landsleute, die in diesem
Film vor allem als korrupte Händler und Imperialisten gezeigt
werden und seine Verwandlung nur ratlos kommentieren: "Why do you
hate your people so much?"
Zumindest was die erwähnte Diät
angeht, ist Cruise durchaus repräsentativ für viele
seiner Landsleute und ganz allgemein viele Menschen in der
westlichen Moderne. Asien und besonders Japan sind chic wie selten:
Der Gang zum Sushi-Restaurant an der Ecke ist ebenso
selbstverständlich, wie das regelmäßige Training in
japanischem Kampfsport, oder die Übung in Zen-Meditation.
Viele Kids in westeuropäischen Metropolen haben Donald Duck
und Asterix längst mit fetzigen Manga-Büchern vertauscht,
ihre Eltern lesen derweil auf dem Futon den neuesten
Murakami-Roman, blättern in einem Bildband des Pop-Architekten
Yoshio Taniguchi oder schnippeln einfach geduldig am Bonsai auf der
Fensterbank. Längst ist
- von der Tütensuppe bis zum
Yamamoto-Bademantel - japanischer Lifestyle in unseren Alltag
integriert. Doch nun, das lässt sich unter anderem am Kino
ablesen, scheint sich auch die Wahrnehmung Japans zu ändern -
vom mit exotistischer Neugier skeptisch-fasziniert beäugten
Fremden wird Japan zur neuen Utopie, zur besseren Variante der
Moderne.
Zeitgleich mit "Last Samurai" startete auch
"Lost in Translation", das gefeierte zweite Werk von Sofia Coppola.
Coppola erzählt in zarten, hochsensiblen Bildern von zwei
Amerikanern, die in einem Luxushotel in Tokio gestrandet sind.
Während der Nächte, in denen sie vor lauter Jet Lag und
Melancholie nicht schlafen können, erkunden sie ein
hypermodernes Tokio, das in seiner chaotisch-undurchschaubaren und
doch faszinierenden Gestalt zum Spiegel ihrer inneren
Desorientierung wird. Dabei lehnt sich Coppola auch stilistisch an
ihren Schauplatz an: Die Bilder sind hell, irgendwie
verträumt, fragmentarisch. Damit erinnern sie an japanisches
Kino. Wie die Figuren driftet auch die Kamera durch die Nacht,
unterstützt von präzis gewählter Elektropop-Musik,
die alles in Trance zu tauchen scheint. Als ob die Bilder
schlafwandeln würden.
In Japans Kino verliebt hat sich
offensichtlich auch Quentin Tarantino. Erst vor wenigen Wochen kam
"Kill Bill No.1" ins Kino, der zweite Teil folgt im März. Hier
schickt er Uma Thurman als einsame Rächerin in ein
Zauberreich, das aus den Posen und Zeichen, Tagträumen und
Stilen des asiatischen, des japanischen Kinos zusammengesetzt
ist.
Keine Frage: Japan ist auch im Hollywood der
Gegenwart groß in Mode. Woher dieses plötzliche
Interesse? Und was bedeutet es? Dass man sich im Westen für
Asien interessiert, ist an und für sich nicht neu. So
zahlreich wie regelmäßig sind die Wellenbewegungen, in
denen das Land Mode wurde. Doch lange Zeit blieb solches Interesse
vor allem durch "Orientalismus" (Edward Said) bestimmt: Japan wurde
primär als etwas sehr Fremdes, sehr Anderes angesehen, eine
unverständliche, irgendwie auch unheimliche Region, ein wenig
zurückgeblieben, und im Zweifel ziemlich gefährlich - die
"gelbe Gefahr." Der Zweite Weltkrieg mit Japans imperialen
Träumen, der brutalen Kolonialherrschaft, dem Bündnis mit
den faschistischen Achsenmächten und schließlich der
Überfall auf Pearl Harbour gaben solchen Vorstellungen
zusätzliche Nahrung. Auch im Kino war das nicht anders. Noch
in den späten 80ern sorgte ein Hollywoodfilm für Furore:
In "Black Rain" ließ Ridley Scott Michael Douglas als
US-Polizist durch ein dunkles, undurchschaubares Tokio taumeln.
Manche warfen ihm Rassismus in der Darstellung der Japaner vor.
Doch schon "Black Rain" - der Titel bezieht sich übrigens auf
den Ascheregen nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima - ist
doppelbödig: Bei der Douglas-Figur handelt es sich um einer
frustrierten Zyniker, einen "schlechten Polizisten", der durch die
Begegnung mit einem japanischen Kollegen wieder Selbstachtung
bekommt. Nebenbei führt diese Lektion in japanischer Lebensart
auch zu einem besseren Verständnis für Japan und seine
Menschen - und zu einer Ahnung von Schuldgefühl für
amerikanische Kriegstaten, etwa die beiden
Atombombenabwürfe.
Doch bleibt Japan immer noch "das Andere". Es
fungiert hier, wie sogar noch in "Last Samurai" als disziplinierter
und spiritueller Gegenpol zu einem chaotischen Amerika, als von
Tradition, Hierarchien und aristokratischen Werten geprägte
Alternative zu einer von "Kontingenz und Ironie" (Richard Rorty)
dominierten, transzendental obdachlosen Moderne.
Aber was heute an Japan fasziniert, ist genau
diese Kontingenz: eine ironische Freiheit, die aus Chaos und
Unordnung entsteht. In manchem wirkt Japan wie eine
verschärfte Variante der USA, zugleich aber auch wie ein
kultureller Gegenentwurf zum dominierenden Amerikanismus, dessen
gerade zur Zeit manch einer überdrüssig ist. Und nur ein
Ort, der auch modern ist, erlaubt noch den schamlos-neugierigen
Blick auf das Fremde. Hinzu kommt noch eine kürzlich
neuentdeckte Verwandtschaft: Die Wirtschaftskrise, die der Westen
gerade erlebt, kennt Japan schon seit Ende der 80er-Jahre - und ist
längst gewohnt, was man im Westen gerade mühsam zu lernen
beginnt: Gut mit der Krise zu leben.
Die immense Produktivität Japans, die
Phantasie seiner Erfinder, wird durch Börsenstagnation und
Reformstau ebenso wenig eingeschränkt, wie die Kraft der
japanischen Ästhetik. Vielleicht kann man heute auch das von
Japan lernen. Nach wie vor steht das Land für Hypermodernismus
in jeder denkbaren Form, für das beste Industriedesign der
Welt und wild-faszinierenden Stilmix. Man kann dies ebenso in der
schrillen Warenwelt von Kinderlabels wie "Hello Kitty" wieder
finden, wie in der phänomenal-futuristischen japanischen
Architektur, in den Offensiven der "Tamagotchi", "Pokemon" und
"Digimon"-Spiele, in Anime-Filmen wie "Chihiro im Zauberreich", der
vor zwei Jahren immerhin die Berlinale gewann oder den
märchenhaften Filmen Takeshi Kitanos, an japanischem
Werbedesign und Kommunikationstechnik. Wer nach Japan reist,
fährt nach "Tomorrowland" (William Gibson). Im Osten geht die
Sonne auf.
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