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Dirk Klose
Von der Seele geschrieben
Hans-Peter Schwarz über Adenauer
Immer wieder trifft man auf das interessante Phänomen, dass
Autoren ein Thema, an dem sie jahrelang, ja mitunter Jahrzehnte
gearbeitet haben, einfach nicht aus dem Kopf kriegen, obwohl ein
stattliches Hauptwerk längst vorliegt. Das führt dann
dazu, dass in vielen Fällen noch einmal wie im Fluge ein Text,
sei es ein Essay, eine Erzählung oder eine wissenschaftliche
Abhandlung niedergeschrieben wird. Sie zählen oft zum Besten,
was der Autor geschrieben hat. "Alles muss raus", könnte man
ein Schlussverkaufsmotto heranziehen, um das Bemühen zu
charakterisieren, endlich den Kopf freizubekommen.
Der Zeithistoriker und frühere Bonner Ordinarius für
Politikwissenschaft Hans-Peter Schwarz hat sein Leben lang
über die Geschichte der Bundesrepublik und insbesondere
über Adenauer als einem ihrer maßgeblichen Protagonisten
gearbeitet. Und noch immer ist er an mehreren großen Editionen
beteiligt, so an der Aktenedition zur Auswärtigen Politik der
Bundesrepublik, an den Akten zur Deutschlandpolitik und an anderen
Projekten über den ersten Kanzler.
In diesem Jahr wurde er 70 Jahre alt, und mit dem kleinen
Bändchen "Anmerkungen zu Adenauer" hat er sich wohl selbst das
schönste Geburtstagsgeschenk gemacht. Wie
selbstverständlich fließen immenses Wissen, historisches
Urteilsvermögen und eleganter Stil zusammen. Die Lektüre
ist reines Vergnügen, zuerst und vor allem wegen der
intensiven Argumentation, die Bekanntes vielen neuen und
gewichtigen Aspekten gegenüberstellt und die den Leser nicht
mit einem fertigen Geschichtsbild zurücklässt, sondern
ihm Anlass zu weiterem Nachdenken gibt.
Natürlich schreibt Schwarz "pro domo", aber in keiner Zeile
devot oder anbiedernd. Wo er Grund zur Anerkennung sieht - beim
konsequenten Willen des Kanzlers zur Westbindung der
Bundesrepublik, zur Wiederbewaffnung, zur Sicherung der Vormacht
der CDU - da geschieht es nüchtern und abwägend auch mit
den Argumenten der Gegner. Und er verschweigt die "Nachtseiten" -
so das vielleicht anregenste Kapitel - nicht: Das unbeirrte
Machtstreben Adenauers, seine Rücksichtslosigkeit, sein
Sarkasmus, seine zuweilen bedenkliche Skrupellosigkeit in
verfassungsrechtlichen Fragen und sein "Ellenbogenstil".
Der "bierernst-redliche" Heinemann
Apropos Gegner: Adenauer hatte immens viele Gegner in Politik
und Publizistik, und eigentlich erst aus der Rückschau staunt
(und bewundert) man so richtig, wie er dieses jahrelange
Trommelfeuer ausgehalten, ja letztlich unbeschadet überstanden
hat. Manche waren nach Schwarz nur Leichtgewichte, "eher
Un-Gewichte": der biedere Ollenhauer in der "traurigen Rolle des
gesamtdeutschen Jakob", der aufbrausende Thomas Dehler, der
"bierernst-redliche" Protestant Heinemann oder der
"altertümliche Bismarckianer Paul Sethe". Aber der
"krypto-nationalistische Intellektuelle" Rudolf Augstein war
natürlich ein anderes Kaliber; seine publizistische
Dauerkritik aus Hamburg blieb in der Öffentlichkeit nicht ohne
Wirkung; Schwarz konstatiert mit Genugtuung den späten
Friedensschluss der beiden Männer.
Der Autor verhehlt seine Vorlieben und Abneigungen nicht;
gemäßigt konservative Denker wie Arnold Gehlen, Golo Mann
oder Theodor Eschenburg zitiert er gern und zustimmend; das linke
Feld - da tritt man ihm wohl nicht zu nahe - ist ihm suspekt, ja
eigentlich zuwider, wovon Formulierungen wie "linksgewirkte
Intellektuelle" und "linke Segmente in der deutschen
Öffentlichkeit" zeugen. Wie Adenauer misst auch Schwarz das
Handeln am Ergebnis, und hier kann er sich mit seinem Helden
bestätigt fühlen: Nicht Kurt Schumachers Politik eines
Offenhaltens der deutschen Frage, sondern die feste Einbindung in
den Westen führte letzten Endes zur Wiedervereinigung des
geteilten Landes. Schwarz lässt offen, ob die deutsche Einheit
für Adenauer wirklich Herzenssache war.
In sieben Kapiteln rekapituliert Schwarz Person und Politik des
ersten Bundeskanzlers, jedes einzelne intensiv geschrieben, mit
vielen wenig bekannten Zitaten und Äußerungen und breiter
Argumentation. Am Ende fragt er, ob man sich heute "an der Spitze
der dahinsiechenden Bundesrepublik" eine Persönlichkeit wie
Adenauer wünschen solle. Die Antwort gibt das Buch.
Hans-Peter Schwarz
Anmerkungen zu Adenauer.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004; 224 S., 17,90
Euro
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