Christian Hauck
Karlsruhe bestätigt Sonderregelung für
Minderheiten
Schleswig-Holstein und der Südschleswigsche
Wählerverband
Von der Regelung können andere kleine Parteien in
Deutschland nur träumen. Seit 1955 ist im hohen Norden der
Republik der dänisch orientierte Südschleswigsche
Wählerverband SSW von der Fünf-Prozent-Sperrklausel
befreit. Das gilt für Kommunal-, Landtags- und
Bundestagswahlen. Vor knapp fünf Jahrzehnten wollten die
Regierungen in Bonn und Kopenhagen mit dieser Sonderregelung ein
Zeichen in der Politik gegenüber nationalen Minderheiten
setzen und zugleich einen Beitrag zur Entspannung im
deutsch-dänischen Grenzgebiet leisten.
So lange die Sonderregelung besteht, so lange wird auch um sie
gestritten. Dem hat das Bundesverfassungsgericht jetzt erst einmal
ein Ende gesetzt. Der SSW kann aufatmen, denn nur knapp drei Monate
vor der nächsten Landtagswahl hing das Verfahren wie ein
Damokles-Schwert über der Dänen-Partei.
Es sind nicht nur die vor allem in der älteren Generation
immer noch bestehenden nationale Gegensätze im Grenzland, die
sich im Streit um die SSW-Sonderregelung spiegeln. Auch handfeste
Machtinteressen in Kiel spielen eine Rolle. Zweimal, 1979 und 1987,
geriet der SSW (fast) in die Rolle des Züngleins an der Waage.
In Schleswig-Holstein unvergessen ist dabei vor allem der Wahlabend
1979, als es über Stunden so aussah, dass Sozialdemokraten und
Liberale im Bündnis mit dem SSW-Abgeordneten Karl-Otto Meyer
die bis dahin alleine regierende CDU von der Macht verdrängen
könnte. Während im Norden noch Stimmen gezählt
wurden, polterte der aus München zugeschaltete bayerische
Ministerpräsident Franz-Josef Strauß bereits, dass ein
Däne doch wohl nicht über eine Landesregierung und damit
über die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat bestimmen
dürfe.
Im Grunde stellte Strauß damit genau die Frage, die vor dem
Hintergrund der aktuellen Prognosen heute wieder viele Menschen im
Norden bewegt: Darf der SSW, gestützt auf ein Privileg, zum
Zünglein an der Waage werden?
Anlass für Karlsruhe, sich mit der Frage zu
beschäftigen, war ein Einspruch gegen die Landtagswahl 2000.
Vorher galt im Norden das Ein-Stimmen-Wahlrecht. Da der SSW nur
Kandidaten im nördlichen Landesteil Schleswig aufstellt,
konnte er auch nur dort Stimmen für seine Landesliste sammeln.
Im Ergebnis bedeutete dies einen landesweiten Anteil von knapp zwei
Prozent und einen Parlamentssitz. Seit 2000 gilt in
Schleswig-Holstein das Zwei-Stimmen-Wahlrecht. Die SSW-Kandidaten
stehen zwar weiterhin nur im Norden zur Wahl, die Landesliste kann
jedoch im gesamten Land angekreuzt werden. So erreichte der SSW
knapp vier Prozent und drei Mandate.
Die Beschwerdeführer machten ihren Einspruch am
geänderten Wahlrecht fest. Das Privileg sei nur
gerechtfertigt, wenn sich die Wählbarkeit des SSW auf das
eigentliche Siedlungsgebiet der dänischen Minderheit
beschränke.
Da der Landtag den Einspruch zurückwies, landete die Sache
vor dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig. In der Sache tendierte
das OVG auch zur Rechtsauffassung der Beschwerdeführer,
entschied sich aber dafür, die Sache in Karlsruhe vorzulegen.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Vorlage zwar aus formalen
Gründen zurück. In seinen Ausführungen nahm das BVG
aber trotzdem zur Problematik Stellung. Es sieht keine
stichhaltigen Gründe dafür, warum die Sonderregelung
für eine Minderheitenpartei durch die Wählbarkeit des SSW
in ganz Schleswig-Holstein verfassungswidrig geworden sein sollte.
(Az. 2 BvL 18/02)
Erleichtert über die endgültige Klarheit zeigte sich
nicht nur die SSW-Landesvorsitzende Gerda Eichhorn. Auch der
Schleswiger CDU-Bundestagsabgeordnete und Europa-Politiker Wolfgang
Börnsen begrüßte die Entscheidung. Das Gericht
bestätigt die Grundaussage der Bonn-Kopenhagener
Erklärung von 1955 zum Recht der deutschen und dänischen
Minderheit auf parlamentarische Einflussnahme, so Börnsen. Die
Rechtssicherheit sei von genereller Bedeutung für die
politischen Repräsentanten von Volksgruppen in der
Bundesrepublik insgesamt, so Börnsen, der auch Vorsitzende der
überfraktionellen Abgeordneten-Initiative im Bundestag
für die Europäische Sprachencharta ist.
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