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K. Rüdiger Durth
Wenn sich der "Regierende" das Küssen nicht
verbieten lässt...
Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus
Berlin, die 3,4 Millionen-Metropole an der Spree legt
großen Wert auf das Prädikat Weltstadt. Trotz moderner
Architektur und "Berlinale", Museumsinsel und Philharmoniker,
Nofrete und Staatsgästen aus allen Himmelsrichtungen, ist die
Stadt irgendwie provinziell geblieben. Einschließlich dem
Parlament des sich aus zwölf Stadtbezirken zusammengesetzten
Landes, dem Abgeordnetenhaus. Wie anders soll man sonst den Umstand
bewerten, dass sich eben dieses Parlament auf Antrag der
CDU-Opposition mit der Frage auseinandersetzt, wen der Regierende
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wohl in aller
Öffentlichkeit küssen darf und welchen Anzug er im fernen
Asien zu tragen hat.
Bekanntlich hat sich der Regierende Bürgermeister vor zwei
Jahren im Wahlkampf selbst als homosexuell mit dem inzwischen
sprichwörtlichen Satz "Und das ist auch gut so" in der
Öffentlichkeit geoutet. Geschadet hat ihm dies nicht. Denn die
Boulevardpresse hätte mit diesem Thema in der Stadt, wo
bekanntlich jeder nach seiner Facon selig werden soll, keine neuen
Leser gewonnen. Im Gegenteil viele verloren. So ist denn Wowereits
Lebenspartner, ein angesehener Arzt, längst Teil des
hauptstädtischen Protokolls.
Doch der Regierende Bürgermeister, gerade einmal 50 Jahre
alt, ist nicht nur homosexuell, sondern er feiert auch gern. Viele
Schöne aus Theater und Showgeschäft, Medien und Musik
zählt er zu seinen Freundinnen und Freunden. Dazu gehört
auch Desiree Nick, die zuletzt im Dschungelcamp eines Privatsenders
für Aufsehen sorgte. Bei einer AIDS-Gala küsste der
Regierende Bürgermeister recht innig die Schauspielerin.
Für Fotografen ein gefundenes Fressen. Schon sorgte sich die
Boulevard-Presse, ob der Regierungschef des Landes Berlin
überhaupt noch homosexuell sei.
Im Abgeordnetenhaus ging es weniger um diese Frage, vielmehr um
die Sorge der CDU-Opposition, ob die Bundeshauptstadt noch
angemessen von Klaus Wowereit - der von Haus aus Jurist ist -
vertreten werde. Schließlich war aus dem Fernost auch diese
Kunde bis an die Spree vorgedrungen: Wowereit habe bei einem
Treffen hochrangiger asiatischer Wirtschaftsleute einen beigen
Anzug getragen. Wo man doch eigentlich schwarz, blau oder
dunkelgrau trägt - bei übrigens 32 Grad. Am Vormittag.
Nicht genug damit. Auch soll der Vortrag, den Wowereit zu halten
hatte, nicht gut angekommen sein.
Da der Regierende Bürgermeister auch sonst gern in der Welt
herumfliegt (mal in Mexiko die Nacht zum Tag macht oder in den USA
die Abschlussrede in der High School hält, in der Thomas
Gottschalks Sohn sein Diplom in Empfang nahm) und zu Hause so gut
wie keine Gala auslässt, hat er inzwischen ausreichend Neider.
Selbst in der eigenen Partei, der SPD, ist man über solche
Schlagzeilen nicht sonderlich glücklich. Auch fragt man sich,
ob Wowereit überhaupt genug Zeit für die Akten hat.
Nach wie vor ist Klaus Wowereit nicht nur der bekannteste,
sondern auch der beliebteste aller Berliner Politiker. Deshalb kann
er auch weiterhin darauf bestehen, dass das "Küssen zum
Regierenden Bürgermeister gehört" und er es sich deshalb
von niemanden verbieten läßt. Aber die Presse kann ihm
dennoch nicht ganz gleichgültig sein. Schließlich wird
2006 ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Weil das so ist, gab
er dem Abgeordnetenhaus ausführlich Auskunft über Reisen
und Küssen, wobei er angesichts der tropischen Temperaturen
seinen beigen Anzug verteidigte. Auch habe sich niemand über
seine Rede beschwert.
Kurz nach seiner Rückkehr aus Fernost war Wowereit
Gastgeber der gemeinsamen Sitzung von Berliner Senat und
nordrhein-westfälischer Landesregierung. Die Medien merkten
an, dass diesmal Wowereit auch aus Sicht der Opposition
standesgemäß gekleidet war. Er hatte sich nämlich in
dunkles Tuch gehüllt - wobei sich der Düsseldorfer
Ministerpräsident Peer Steinbrück als Regierungschef des
mit mehr als 17 Millionen Einwohnern größten Bundeslandes
sicherlich nicht über einen beigen Anzug seines Kollegen und
Parteifreundes aufgeregt hätte.
Berlin und Nordrhein-Westfalen verbindet nicht nur die alte und
neue Bundeshauptstadt miteinander, sondern auch die gemeinsame
preußische Vergangenheit. Große Probleme gab es bei der
gemeinsamen Kabinettssitzung nicht zu bewältigen, bei dem sich
anschließenden Rundgang über die Museumsinsel auch nicht.
Immerhin versicherte Wowereit der nordrhein-westfälischen
Landesregierung, dass Berlin das Bonn-Berlin-Gesetz respektiere. Es
enthält die Aufgabenteilung zwischen der neuen
Bundeshauptstadt und der alten, die den Titel Bundesstadt
trägt und sich als politisches Verwaltungszentrum versteht.
Immerhin arbeiten in Bonn noch mehr Bundesbeamte als in Berlin,
zumal wichtige Ministerien wie Verteidigung, Umwelt, Bildung und
Forschung oder Entwicklungshilfe ihren Erstsitz in Bonn haben.
Für Wowereit handelt sich bei der ständig
auftauchenden Diskussion über eine totale Verlagerung des
Regierungssitzes von Bonn nach Berlin um eine Angelegenheit der
Bundesregierung, nicht des Landes Berlin. Damit zieht er sich
diplomatisch aus einer politischen Schlinge, die immer wieder neu
für Aufregung sorgt. Vor allem in Bonn. Dabei weiß
Wowereit sehr genau, dass ein Drängen auf die Verlagerung der
restlichen Ministerien vom Rhein an die Spree politisch derzeit
nicht durchsetzbar ist:
SPD-Chef Franz Müntefering kommt aus Nordrhein-Westfalen,
Ministerpräsident Peer Steinbrück wohnt ebenso in Bonn
wie Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, Bonns
Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann gehört dem
SPD-Präsidium an und Finanzminister Hans Eichel hat kein Geld.
Schließlich wird ein totaler Umzug auf zehn Milliarden Euro
geschätzt. Und Wowereit will allein 35 Milliarden Euro vom
Bund zur Entschuldung des Berliner Haushalts haben.
Freilich hätte sich in der alten Bundeshauptstadt niemand
über Wowereits beigen Anzug im Fernen Osten aufgeregt, auch
nicht über das Küssen der TV-ernannten
Dschungelkönigin Nick. Aber es sei zur Ehre der toleranten
Berliner nicht verschwiegen, dass sich einige Bürger per
Leserbrief hinter den "Regierenden" gestellt haben. So etwa ein G.
Rissmann: "Wie angenehm und lebensbejahend, wenn ein Regierender
Bürgermeister einfach lebendig ist, sich kleidet, wie es ihm
genehm ist und küsst, wen er mag." Sein Fazit: "Wowereit tut
Berlin gut."
Aber die Angriffe im Abgeordnetenhaus, das eigentlich wichtigere
Themen zu beraten hat als das Küssen des Regierenden
Bürgermeisters und die Farbwahl seiner Anzüge, sind nicht
ganz spurlos an Klaus Wowereit vorübergegangen: Schon
früh hatte er als Ehrengast seine Teilnahme am
Bundespresseball 2004 unter dem Motto "Glanzlichter" zugesagt. Doch
kurz vor dem großen Ball-Ereignis sagte er ab. So
überließ er der unentwegt blitzenden Fotofrafen-Meute den
Vizekanzler Joschka Fischer mit Freundin Minu Barati.
Schade, denn Wowereit wurde allseits vermisst. So ist das nun
einmal in der Berliner Provinz, in der das Weltmännische
offensichtlich doch noch von sehr dünner Tünche ist.
Einziger Trost: Wowereit, der auch in der Öffentlichkeit zu
seinen Freunden von Thomas Gottschalk bis Desiree Nick steht, will
sich auch in Zukunft nicht ändern. Und hoffentlich sagt er
nicht noch mehr ab als den Bundespresseball, wo er mit Sicherheit
nicht im beigen Anzug erschienen wäre...
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