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Jeannette Goddar
Es wird nach Herkunft selektiert
Schüler in Bremen sind noch schlechter als
im Rest der Republik
Am 7. Dezember veröffentlicht die OECD PISA
II, den internationalen Leistungsvergleich 15-Jähriger, dieses
Mal mit dem Schwerpunkt Mathe. PISA I platzierte Deutschland auf
einem skandalösen 21. Platz - und das kleinste Bundesland
Bremen im Vergleich der Bundesländer weit abgeschlagen auf dem
letzten Platz. Drei Jahre später ist man dort immer noch mit
der Ursachenforschung beschäftigt - und hat längst nicht
alle Fragen beantwortet.
Eine Insel der Glückseligen ist der
Zwei-Städte-Staat an der Weser schon lange nicht mehr. Seit
der Werftenkrise der 80er-Jahre ist Bremen außer beim
Fußball nur in Dingen Spitze, auf die man gern verzichten
würde: In der Arbeitslosenstatistik, auf der
Verschuldungsskala und bei den Zuweisungen durch den Bund. Kein
Wunder also, dass Bremens Schüler es auch bei den Schulstudien
PISA und Iglu zu wenig brachten? Beide bescherten
erschütternde Erkenntnisse: PISA identifizierte mehr als jeden
dritten Bremer 15-Jährigen als Risikoschüler, der nur
einfachste Texte versteht. Iglu legte bloß, dass schon
Viertklässler ihren Mitschülern in Baden-Württemberg
ein Jahr hinterherhinken. Darauf, dass es nicht ganz so einfach
ist, wiesen die Bildungsforscher hin: Allein mit der
Zusammensetzung der Schüler ließe sich der Rückstand
nicht erklären.
Seither ist man in Bremen mit der Suche nach
den Ursachen beschäftigt. Einer der zentralen Aufträge
lautet, nicht nur herauszufinden, warum die Schüler so wenig
lernen. Es muss auch eine Erklärung für den Umstand her,
dass man sich von sozialdemokratischen Bildungsidealen, die man
immer so hoch gehalten hatte, nicht weiter hätte entfernen
können. In kaum einem Bundesland wird stärker nach
Herkunft selektiert: In manchem gut situierten Viertel besucht kein
einziger Schüler die Hauptschule, dafür in manchem
Arbeiterkiez kaum einer das Gymnasium. So gut wie nirgendwo
müssen so viele Kinder die Schulform wechseln oder die Klasse
wiederholen.
In diesem Sommer schickte man 20 Experten in
27 Grundschulen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Deren
Ergebnisse weisen daraufhin, dass wohl doch nicht vor allem die
Schüler an ihrer Misere schuld sind. Die Praktiker fanden
einige Schulen mitten in sozialen Brennpunkten, in denen engagierte
Lehrer hervorragende Arbeit leisten. Und eine Menge Schulen, denen
sie ein trauriges Zeugnis ausstellten: Es mangele nicht an Geld
oder Ausstattung, konstatierten die Pädagogen, sondern an
"pädagogischem Ethos". In den Lehrerzimmern würde zu
wenig kommuniziert, vor allem nicht darüber, wie man
Schüler individuell fördert. Das Resultat: Schüler
würden entweder über- oder unterfordert. Außerdem
attestierten die Experten einen "fatalen Teufelskreis
wechselseitiger Schuldzuweisungen" zwischen Lehrern und
Behörde.
Perlen gab es aber auch: Eine von ihnen ist
die Grundschule am Pfälzer Weg. Sie steht inmitten eines
Neubaugebiets, auf das man sich im sozialdemokratischen Bremen
einst ebenso viel eingebildet hatte wie auf seine Bildungspolitik -
und die als genauso gescheitert betrachtet werden muss. Als urbanes
Modellprojekt erdacht, verkam Osterholz-Tenever, von den Bremern
"Kleinmanhattan" genannt, zu einem Ort der Massenflucht. Bleiben
tut hier nur, wer es muss.
Wer hierher kommt und die Lehrerin Heike
Gruben bei ihrer Arbeit beobachtet, fragt sich, was eigentlich das
Erstaunlichste an ihr ist. Dass sie erst 31 ist und in jedem
Lehrerzimmer den Altersdurchschnitt senkt? Dass von den 23 Kindern
nur zwei zuhause deutsch sprechen? Dass sie Erst- und
Zweitklässler gemeinsam unterrichtet, die einen also lesen
können, die anderen nicht? Oder dass es der jungen Lehrerin
gelingt, im Flüsterton zu unterrichten. Wenn sie etwas sagen
will, wartet sie einfach, bis die Kinder ruhig sind, notfalls ein
paar Minuten. "Hört mal her, ist nicht schwer", wispert sie
dann. Das Erstaunlichste an der 31-Jährigen ist aber, dass sie
einen Unterricht macht, der alle mitnimmt in die Welt des Lesens
und Lernens.
Was man daraus lernt? Es gibt Schulen, an
denen große Arbeit geleistet wird, auch unter noch so widrigen
Bedingungen. Dass das Verhältnis von Schulen zur Behörde
nicht durch Vertrauen getragen sei, sagt auch Maresi Lassek, die
stellvertretende Leiterin der Schule am Pfälzer Weg. Statt
Beratung bekämen die Schulen ständig wechselnde
Anordnungen. Lassek sagt aber auch, dass man sich den Schülern
zuliebe auf den Weg gemacht hätte. Hin zu einem Unterricht,
der den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt. Es geht also doch,
obwohl man noch kurz vorher bei einem Besuch der Lehrergewerkschaft
GEW vermittelt bekommen hatte, es gehe nicht. Angesichts der
Arbeitsbedingungen sei individualisierter Unterricht gar nicht
möglich, hatte der Landesvorsitzende Jürgen Burger
erklärt. Die Klassen seien zu groß, die Kollegen
müssten zu viele Stunden unterrichten - "da ist jede
Verbesserung Zukunftsmusik". In der Bildungsbehörde, die nur
ein paar Meter entfernt ist, weist man das von sich: "Die meisten
Klassen sind kleiner und die Lehrer verdienen mehr als im
Bundesdurchschnitt", sagt Cornelia von Ilsemann, die für
Qualitätsentwicklung zuständig ist. Sie gesteht aber auch
zu, dass die Behörde Fehler gemacht hat. Das System sei lange
gleichzeitig "über- wie untersteuert" gewesen.
Nun ist das Desaster komplett, und seit PISA
versucht man sich mit vereinten Kräften wieder
herauszumanövrieren. Die Wiederherstellung des Vertrauens auf
allen Seiten ist dabei vielleicht die zentrale Herausforderung.
Seit 1999 ist mit Willi Lemke einer im Amt, der nicht in der
Behörden-Maschinerie groß geworden ist. Der Ex-Manager
von Werder Bremen gilt zwar nicht als großer Konzepter, aber
als einer, auf den man sich verlassen kann. Schon allein
dafür, dass er sich von jeder einzelnen Schule ein
persönliches Bild gemacht hat, gebührt ihm nach Ansicht
vieler Respekt. Und er hat in dem stets unterfinanzierten
Stadtstaat zusätzliche 24 Millionen Euro locker gemacht. Das
Prinzip der Orientierung an "Best Practice" soll nun in ganz Bremen
greifen: Schulen wie die am Pfälzer Weg sollen Besuch bekommen
von denen, bei denen es nicht so läuft. Und sich vor Ort ein
Bild davon machen, wie man es hinbekommt, dass jeder Schüler
mittags etwas davon gehabt hat, morgens aufgestanden zu sein. Damit
auch in Bremen eines Tages nicht mehr gilt: Nirgends hat man soviel
Integration gewollt - und so wenig bekommen.
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