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Johanna Metz
Aufgekehrt...
Die SPD muss sich keine Sorgen um ihre Wiederwahl machen.
Jedenfalls nicht, solange die Rohstahlproduktion in Deutschland
weiter ansteigt, wie in diesem Jahr. Das ist Gesetz,
Mierscheid-Gesetz. 1983 ins Leben gerufen, legt es fest, dass der
Stimmenanteil der SPD bei der Bundestagswahl abhängig ist vom
Index der deutschen Rohstahlproduktion.
Und tatsächlich: Bei der letzten Bundestagswahl 2002 betrug
die 38,6 Millionen Tonnen, die SPD gewann 38,5 Prozent der Stimmen.
Die CDU kann sich also jede Debatte über Gesundheitsreform
oder deutsche Leitkultur ersparen. Sie kann ihre Wahlkampfmanager
und Imageberater in die Wüste schicken und lieber einen
Rohstahlbeauftragten anheuern, der die Produktion des Eisens im
Wahljahr senkt. Schlau wäre das.
Nun, während die CDU noch nach geeigneten Kandidaten sucht,
widmet sich der Gesetzesvater, der beflissene SPD-Abgeordnete Jakob
Mierscheid, schon neuen Aufgaben. Der gelernte Schneidermeister aus
dem Hunsrück, der seit 25 Jahren ohne jede Gegenstimme in den
Deutschen Bundestag gewählt wird, sieht die Schwerpunkte
seiner Arbeit unter anderem in der Aufzucht und Pflege der
geringelten Haubentaube in Mitteleuropa und anderswo, aber auch im
Kampf um eine demokratischere Sitzordnung im Parlament: "Alle
Abgeordneten in die erste Reihe!", forderte er jüngst. Und
für den im Bundesvergleich ärmeren Norden propagierte er
regionale Hügelkonzepte, um die wirtschaftliche
Nutzfläche der Küstenländer zu erhöhen.
Für derart konstruktive, an der politischen Machbar-keit
orientierte Konzepte ist nach MdB Mierscheid eine kleine
Brücke in Berlin benannt worden, die zwei
Bundestagsgebäude miteinander verbindet. Auf der feierlichen
Einweihung im April ließ Mierscheid sich aber von einem
Fraktionskollegen vertreten. Denn der inzwischen 70-Jährige
scheut die Öffentlichkeit, nicht einmal Sabine Christiansen
konnte ihn bisher seinem zurückhaltenden
Hinterbänklerdasein entreißen. Er schwänzt alle
Sitzungen, verfasst aber in sorgfältiger Sütterlinschrift
hin und wieder offene Briefe, in denen er seine Forderungen
darlegt.
"Ich sehe den Sinn meiner politischen Tätigkeit nicht
darin, präsent zu sein, ohne etwas in der Sache mitzuteilen zu
haben", sagte er in einem seiner seltenen Interviews, die er
ausschließlich per E-Mail gibt. Doch sorgt sein
beständiges Nichterscheinen durchaus für Spekulationen.
Ein Phantom sei er, wird gemunkelt, eine reine Erfindung, doch
Mierscheid erklärt dazu, er sei weder das eine, noch das
andere, er sei "eine Lösung".
Und natürlich existiert Jakob Mierscheid. Es mag
Abgeordnete geben ohne Homepage, aber eine Homepage ohne
Abgeordneten? Auf den Bundestagsseiten ist doch sein Konterfei zu
sehen - es zeigt einen jungen Mann mit Schnurrbart und Brille.
Böswillige Zungen könnten behaupten, das Foto sei um 1900
aufgenommen worden. Es könnte auch wirklich mal aktualisiert
werden.
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