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Johanna Metz
Der ewige Stellvertreter
...vor 25 Jahren am 15. Dezember: Staatsakt
für Carlo Schmid
Auf die Frage, was er brauche, um Konrad Adenauer zu sein,
antwortete der einmal unumwunden: "Macht". Der SPD-Politiker Carlo
Schmid, mit der gleichen Frage konfrontiert, sagte: "Ein Blatt
Papier und einen Bleistift."
Offenkundiger kann der Gegensatz von Geist und Macht nicht sein.
Anders als Adenauer verkörperte der langjährige
Bundestagsvizepräsident und ehemalige Bundesratsminister Carlo
Schmid so gar nicht den Typus des karrierebewussten Politikers. Der
Jurist und Politikprofessor, 1896 als Sohn eines schwäbischen
Privatgelehrten und einer französischen Adligen in Perpignan,
Frankreich, geboren, schrieb Gedichte und veröffentlichte
Übersetzungen von Werken Baudelaires oder Caldérons.
Schmid war ein Bildungsbürger, Schöngeist und
Genussmensch, einer, der Buttercremetorte liebte und Chruschtschow
schon mal unter den Tisch soff. Weit über die Parteigrenzen
hinweg fand der Mann mit der weißen Künstlermähne
Bewunderung, auch wenn er, wie Walter Jens mutmaßt, im
Parlament wohl eher als "humanistisch gebildetes Fabelwesen"
angesehen wurde, weil er es nicht für nötig hielt, dem
Plenum die Latein-Zitate in seinen Reden zu übersetzen. Vor
Schmids umfassender Bildung hatte auch Adenauer Respekt: "Es kann
ja gar nicht sein, dass einer so viel weiß - ich jedenfalls
glaub' ihm kein Wort."
Als Schmid am 11. Dezember 1979 im Alter von 83 Jahren starb,
senkte sich die schwarz-rot-goldene Fahne über dem Deutschen
Bundestag auf Halbmast. Vier Tage später nahm das politische
Bonn im Plenarsaal des Deutschen Bundestages mit einem Staatsakt
Abschied. Am mit Flaggen geschmückten Sarg des Politikers
hielten Offiziere aller Waffengattungen während der gesamten
Feierstunde Totenwache. Bundestagspräsident Stücklen
lobte Carlo Schmid in seiner Ansprache als "eine der
überragendsten Gestalten des deutschen Parlamentarismus".
Schmid habe immer eher "das Verbindende und Allgemeingültige,
nicht das Trennende betont und so für einen tragfähigen
Kompromiss geworben". Er habe sich mit seinem Wirken "um das
Vaterland verdient" gemacht.
Willy Brandt, der damalige SPD-Vorsitzende, würdigte Schmid
als einen Politiker, der "mit der Tradition der
Verantwortungslosigkeit gebrochen" habe. Brandt: "Wo es darum ging,
Schlacken einer unfruchtbaren Vergangenheit abzutun, war er von
Anfang an dabei."
Als Vorsitzendender des Hauptausschusses des Parlamentarischen
Rates war Schmid einer der Väter des Grundgesetzes. Auf ihn
geht zum Beispiel Artikel 23 zurück, denn an der Einheit der
deutschen Nation ließ er nicht rütteln. Der
überzeugte Föderalist engagierte sich im Rahmen der
Verfassungsgebung gegen zentralistische Tendenzen, aber auch
für die Übertragung von Hoheitsrechten an den Bund. Die
nach innen und außen undurchdringbare Souveränität
des Nationalstaates sah er als überholt an.
Wegen seiner offenkundigen Nähe zum liberalen
Bürgertum wurde ihm oft vorgeworfen, er sei doch nur "ein
verhinderter Liberaler". Dem hielt Schmid gern entgegen, er habe
eben den Liberalismus zu Ende gedacht. Doch obwohl Carlo Schmid
zusammen mit Herbert Wehner und Willy Brandt zur Reformer-Troika
der SPD gehörte - unter anderem prägte er das
"Godesberger Programm" von 1959 und damit die Kursänderung der
SPD von der Klassen- zur Volkspartei entscheidend mit - wurde er
für die höchsten Ämter des Staates immer nur
genannt, erreicht aber hat er sie nie.
1959 scheiterte er bei der Wahl des Bundespräsidenten an
Heinrich Lübke und dem Widerstand der CDU. Kurzzeitig war er
im gleichen Jahr als Kanzlerkandidat im Gespräch, ließ
dann aber den jüngeren Parteimitgliedern Brandt und Erler den
Vortritt. Als die SPD, der Carlo Schmid seit 1947 angehörte,
nach 17 Oppositionsjahren 1966 ins Kabinett der Großen
Koalition einzog, musste sich der inzwischen 70-Jährige mit
dem Posten des Bundesratsministers, "einer Art Außenminister
im Inneren", wie er es nannte, begnügen. Auch zum
Bundestagspräsidenten reichte es nicht; zwanzig Jahre lang war
er der "ewige" erste Stellvertreter.
Ihm habe wohl die Härte gefehlt, um ganz nach oben zu
kommen, befand er selbst, und tatsächlich waren für ihn
"wortscheue Redlichkeit und Hingabe an die Sache" die Tugenden des
Politikers.
Wenig Ellenbogenmentalität und Selbstdarstellungsdrang,
dafür aber viel Lebenssinn und Nachdenklichkeit - mit Carlo
Schmid starb 1979 eine Politikerpersönlichkeit, die man heute
oft vermisst.
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