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Susanne Kailitz
Mauerbauer und williges Wahlvolk
"Die Partei" will Deutschland wieder
teilen
Die "Titanic" ist ein Wendeverlierer: Das "endgültige
Satiremagazin" hat mit der Wiedervereinigung keinen einzigen Leser
dazu gewonnen. Für Chefredakteur Martin Sonneborn Beweis
dafür, dass man im Osten nicht verstanden werde - und auch ein
Grund dafür, sich nun dafür einzusetzen, dass die
Zustände sich wieder ändern. Getreu dem im Impressum des
Magazins festgehaltenen Motto ihres Mitbegründers Chlodwig
Poth "Die endgültige Teilung Deutschlands - das ist unser
Auftrag" will die "Titanic" wieder trennen, was ihrer Meinung nach
ohnehin nicht zusammen gehört und hat eine Partei
gegründet, deren Ziel der Wiederaufbau der Mauer ist.
"Die Partei" ist laut Satzung eine "Partei für Arbeit,
Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und
basisdemokratische Initiative", doch ihr Vorsitzender Sonneborn
räumt ein, dass man sich um konkrete Ziele abseits des
Mauerbaus bislang wenig Gedanken gemacht habe. Klar ist nur: "Wir
sehen uns als linke Alternative zu den etablierten Parteien - und
wir wollen auf dem direkten Weg an die Macht. Unser Wahlkampf wird
schmutzig sein, denn uns ist keine Parole zu populistisch." Dass
die Mauer wieder her muss, liegt für Sonneborn und seine
Parteikollegen auf der Hand. "Deutschland ist politisch,
wirtschaftlich und kulturell geteilt und mit der Mauer würde
es den Menschen in beiden Teilen Deutschlands wieder besser gehen."
Die Mauer an sich sei dafür jedoch nur Symbol: "Wir wollen die
neuen Länder zu einer Sonderbewirtschaftungszone machen,
dafür muss die Mauer gar nicht konkret wieder aufgebaut
werden. Wenn demokratisch gewählte Mehrheiten in diesem Land
das aber wollen, werden wir das auch tun."
4.000 Mitglieder hat die Partei inzwischen, einen offiziellen
und sieben inoffizielle Landesverbände, außerdem 45
Ortsverbände. Auch im Osten findet Sonneborns Plan
Anhänger. Ingo Roeser hat im September einen Ortsverband der
"Partei" in Leipzig gegründet, weil die etablierten Parteien
nicht mehr in der Lage seien, "sich den alltäglichen Problemen
der Bevölkerung zu widmen". Im Westen sei man der Ansicht, der
Osten habe "nun genügend Beiträge abgefasst" und auch
praktisch sei man "getrennt, wenn Sie sich die Gehälter und
Tarifausnahmen ansehen" - deshalb müsse man im Osten
reagieren. "Sonst sind wir am Ende die, die nach der Dunkelheit
allein dastehen und schlimmstenfalls mit ansehen müssen, wie
die einstigen Investitionen noch herausgetragen werden." Das
regionalpolitische Programm der Partei sehe daher die Abtrennung
der neuen Länder vor. Roeser macht kein Hehl daraus, dass sein
Programm reine Satire ist. "Andere Parteien, die noch an der Macht
sind, bauen Arbeitsplätze ab, schaffen merkwürdige
Beschäftigungsprogramme, benennen Panzer, überwachen und
observieren Bürger, unterstützen einen Mauerbau an
anderer Stelle der Welt, erhöhen die Steuern und senken
soziale Ansprüche, ziehen in Kriege und verbieten Sekten -
nennen sich aber sozial, humanistisch und freiheitlich. Ist das
keine Satire?"
Satire oder bitterer Ernst?
Anders ist dagegen der Eindruck, der im Gespräch mit
Sonneborn entsteht. Wer den 39-Jährigen reden hört, nimmt
verblüfft zur Kenntnis, wie souverän ihm die Politphrasen
über die Lippen kommen. Kein Zögern, kein Augenzwinkern
erlaubt Schlüsse darüber, ob Sonneborn das alles ernst
meint oder ein begnadeter Satiriker ist. Nur dann, wenn er
abfällig von den "Verrückten" spricht, die ihre Zeit im
Internetforum der Partei verbringen, oder dem "willigen Wahlvolk",
das den "Titanic"-Machern den Weg zur Macht ebne, kommt etwas von
der Verachtung zum Vorschein, die Sonneborn seiner Klientel
entgegen bringt. Mittlerweile muss der Neu-Parteichef ohnehin zur
Kenntnis nehmen, dass seine Aktion sich verselbständigt hat.
Dass die "Partei"-Mitglieder alle "Titanic"-Leser sind, die sich an
der Aktion als glänzende Entlarvung des Politbetriebs erfreuen
oder die Zeitschrift wenigstens kennen, darf angesichts der Zahlen,
die eine Forsa-Umfrage veröffentlicht hat, bezweifelt werden.
Danach wollen etwa 21 Prozent der Deutschen die Mauer wieder haben
- ganz im Ernst und gar nicht satirisch.
Für Sonneborn hat die "Partei" genau das aufgegriffen, was
das Volk wirklich will. Zum ersten Mal sieht er eine Chance, die
Politik nicht nur satirisch zu begleiten - wie etwa damals, als die
"Titanic" mit einem vermeintlichen SPD-Wahlkampfbus mit der
Aufschrift "Wir geben auf" durch Bayern tourte oder mit
antisemitischen Plakaten für die FDP warb - , sondern aktiv zu
gestalten: "Unsere Parteien werden immer satirischer, also
müssen wir immer politischer werden." Die "Partei" will im Mai
2005 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen antreten, gern
auch 2006 bei der Bundestagswahl. Die Unterlagen sind beim
Bundeswahlleiter eingereicht und auch das Zulassungsverfahren
für die NRW-Wahl läuft. Bis April 2005 hat die "Partei"
nun noch Zeit, in den 128 Wahlkreisen des Landes jeweils 100
Unterstützerunterschriften zu sammeln, um antreten zu
dürfen.
Während Journalisten und Politiker über den richtigen
Umgang mit Sonneborns Partei noch rätseln, versuchen andere
schon, auf der Welle, die Sonneborn ausgelöst hat,
mitzureiten. Bernd Honsberg etwa, Geschäftsführer der IG
Bau Nordhessen, hat Sonneborn am 9. November dabei geholfen, in
Philippsthal ein Stück Mauer aufzubauen. Eine medienwirksame
Demonstration gegen die "bestehende Tarifmauer in den Köpfen
und der Realität" sei das gewesen, freut sich der
Gewerkschafter. Er glaubt, er habe die Popularität der
"Titanic" für "meine Botschaft nutzen können" und weist
die Idee von sich, er könne von dem eloquenten Chefredakteur
vielleicht nur vorgeführt worden sein.
Immer wenn die Rede auf Sonneborn und seine "Partei" kommt, ist
der Begriff "Realsatire" nicht weit. Doch ist das noch Satire, die
durch Übertreibung Kritik an Personen und Zuständen
üben will - oder nicht doch purer Zynismus, ein, in den Worten
Max Goldts, "Resultat von Enttäuschung und innerer
Vereinsamung"? Können und sollen Zyniker antreten, die Lage zu
verbessern? Diese Frage muss bei Wahlen entschieden werden. Bleibt
die Hoffnung, dass das "willige Wahlvolk" so willig dann doch nicht
ist.
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