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Globale Wissensgesellschaft
5.1 Merkmale
und Auswirkungen der Wissensgesellschaft
5.1.1
Strukturwandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft
Eine neue These beherrscht seit einiger Zeit
die Gesellschaftstheorien, wonach unsere Gesellschaft sich in einem
Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft befinde,
der in seinen Wirkungen häufig mit dem Übergang von der
Agrar- zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert verglichen
wird. Als Auslöser des sich in den Industriestaaten
vollziehenden grundlegenden Wandels wird die Entwicklung der
Informations- und Kommunikationstechniken (IKT)1 angesehen.
Die Debatte reiht sich nahtlos in die
langjährigen Aus einandersetzungen hinsichtlich eines
permanenten Strukturwandels westlicher Industrienationen ein, der
über wiegend als Entwicklung und Durchsetzung der
Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft beschrieben wird
(Tauss, Kollbeck und Mönikes 1996: 17f.). Der Deutsche
Bundestag hat in seiner 13. Legislaturperiode die
Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und
Gesellschaft – Deutschlands Weg in die
Informationsgesellschaft“ eingesetzt, um Hinweise auf die
gesellschaftlichen Auswirkungen der neuen IKT zu erhalten und in
entsprechende politische Handlungsempfehlungen umzusetzen
(Enquete-Kommission 1998). Der zunehmend tiefgreifende und
dynamische Globalisierungsprozess erfordert es nun, den
überwiegend nationalstaatlichen Horizont dieser Betrachtungen
zu überwinden und die neuen Merkmale einer zunehmenden inter-
und transnationalen Vernetzung und enormen Innovationsdynamik
insbesondere der IKT zu berücksichtigen. Die Informations-
oder Wissensgesellschaft beschleunigt und inten siviert den
wirtschaftlichen, sozialen und politischen – kurz:
gesellschaftlichen – Übergang zu einer globalen
Weltgesellschaft. Es ist eine der zentralen Herausforderung
für die Politik, diesen Übergang und die
Rahmenbedingungen der sich entfaltenden Gesellschaftsformation
angemessen zu gestalten. Zunächst sollen jedoch der Begriff
„Wissensgesellschaft“ näher beleuchtet und die
Merkmale und Indikatoren herausgearbeitet werden, die den
möglicherweise stattfindenden Übergang zur
Wissensgesellschaft charakterisieren. Vollzieht sich
tatsächlich ein derartiger Transformationsprozess innerhalb
der Gesellschaft? Wenn ja, wodurch wird er gekennzeichnet und
welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus?
Begriff „Wissen“
Bei genauerer Betrachtung des Begriffs
Wissensgesellschaft fällt schnell auf, dass häufig mit
einem sehr unbestimmten Wissensbegriff gearbeitet wird. Im
Unterschied zur reinen Information setzt der Erwerb von Wissen
individuelle Erfahrung und reflexive Aneignung voraus. Vereinfacht
gesagt ist Wissen verarbeitete Information oder mit anderen Worten:
Wissen ist die Veredlung von Informationen.
Es spricht vieles dafür, Wissen in den
Mittelpunkt der Untersuchungen zu den gesellschaftlichen
Auswirkungen der neuen IKT zu stellen und damit die bereits
traditionellen Begriffe der Informations- und
Dienstleistungsgesellschaft zu ersetzen. So einig man sich in der
zunehmenden Bedeutung des Wissens und der neuen IKT in allen
gesellschaftlichen Bereichen auch ist, wird dennoch weiterhin sehr
kontrovers diskutiert, ob die Wissensgesellschaft zu einem
grundlegenden Strukturwandel westlicher Industrienationen
führen wird, oder ob ihre Auswirkungen unterhalb eines
Paradigmenwechsels eher als additive Momente bzw. als
Bedeutungsverlagerungen innerhalb bekannter Rahmenbedingungen der
modernen Lebens- und Wirtschaftsweise aufgefasst werden
müssen.
Ein Befürworter des Strukturwandels, der
Soziologe Daniel Bell, hat bereits im Jahr 1975 das Konzept einer
„nachindustriellen Gesellschaft“ entworfen. Seine These
lautet, die zentralen Strukturen der Industriegesellschaft
würden sich durch den gesellschaftlichen Wandel grundlegend
verändern. Während es in der Industriegesellschaft
primär um die massenhafte Produktion und Verteilung von
Gütern, um die Beherrschung der Natur durch die Erkenntnis von
Naturgesetzen und die Entfaltung von Transport und Verkehr ginge,
werde in der entstehenden Gesellschaft der Dienstleistungssektor
gegenüber der Güterproduktion erheblich an Bedeutung
gewinnen und diese überholen (Bell 1975: 353). Auslöser
für diesen Übergang seien vor allem technische
Innovationen sowie die zunehmende Wertschöpfung aus
immateriellen Produktionsfaktoren, wie Know-Hows. In der weiteren
Diskussion hat sich zunächst der Begriff
„Informationsgesellschaft“ durchgesetzt. Schnell wurde
jedoch bezweifelt, dass der Begriff der Information die Vielfalt
gesellschaftlich relevanten Wissens und vor allem die
gesellschaftlichen Bedingungen für den Erwerb, die Vermittlung
und die Anwendung komplexen Wissens aufzunehmen vermag. Jede
Gesellschaft ist immer auch eine Informationsgesellschaft gewesen.
Der Begriff der „Wissensgesellschaft“ befreit sich von
der technologischen Verengung des Informationsbegriffes und
verweist darüber hinaus auf die komplexen sozialen Kontexte
allen Wissens. Er markiert daher einen qualitativen
Bedeutungszuwachs des Wissens in allen Gesellschaftsbereichen.
Wissen werde insgesamt zum Organisations- und Integrationsprinzip
und damit zur zentralen Problemquelle der modernen Gesellschaft (Stehr 2001:
10). Andere Befürworter des sich vollziehenden Strukturwandels
gehen davon aus, dass die Grundrichtung der gesellschaftlichen
Veränderung durch den direkten Zugang auf Netzwerke der
Information weg vom kollektiven Organisationszwang hin zur
individuellen Verantwortung und damit auch zur Individualisierung
der Arbeit gehe (Paqué 2001).
Auf der anderen Seite gibt es in der
wissenschaftlichen Diskussion auch Stimmen, die den Strukturwandel
kritischer beleuchten und nicht als paradigmatisch qualifizieren.
So ist z. B. Jeanette Hofmann der Auffassung, der Begriff der
Wissensgesellschaft sei nebulös, weil er gegenüber dem
Begriff Industriegesellschaft etwas Neues suggeriere, ohne den
Unterschied zu erklären. Die Gegenüberstellung beider
Begriffe führe in die Irre, weil nicht die Wissensgesellschaft
die Industriegesellschaft ablöse, sondern nur das
Verhältnis zwischen beiden immer schon eine Einheit bildenden
Modellen verschoben werde. Entscheidendes Merkmal der zweifellos
vorhandenen gesellschaftlichen Veränderungen sei die
Digitalisierung des Wissens, weil sich durch sie die Bedingungen
für die Erzeugung und Konservierung, die Verbreitung und
Nutzung von Wissen in grundlegender Weise änderten. Wissen
werde mit den gleichen Methoden erzeugt, mit denen es auch
verbreitet und manipuliert werde (Hofmann 2001: 4). Auch bei der
Zirkulation von Wissen, der Voraussetzung gesellschaftlichen
Erkenntnis gewinns, bewirke die Digitalisierung weitreichende
Veränderungen, so z. B. die erhebliche Senkung der Trans
ak tions kosten.
Elmar Altvater stuft die entstehende
Wissensgesellschaft ebenso wie Jeanette Hofmann nicht als
völlig neue Gesellschaftsform ein und begründet dies mit
der historischen Rolle von Wissen in der Ökonomie. Wissen,
Wissenschaft und Qualifikation hätten schon immer für die
ökonomische Entwicklung, für Wohlstand und Wachstum
Bedeutung gehabt. In der modernen ökonomischen Theorie seien
(in den Produktionsmitteln inkorporiertes) Wissen und Qualifikation
der Arbeitskräfte als „Wachstumsfaktoren“ fest
verankert. Die „New Economy“ habe der Debatte um die
Bedeutung von Bildung und Wis sen(schaft) Auftrieb gegeben.
Es habe sich aber nicht bestätigt, dass gebündeltes
Wissen als solches in Unternehmen ein Wachstumsfaktor sei. Wachstum
sei abhängig von Investitionsentscheidungen der Unternehmen,
durch die Wissens- und Qualifikationspotenziale mobilisiert
würden.
Fazit
Die unterschiedlichen Auffassungen zum
Strukturwandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft haben
unabhängig davon, ob sie die gesellschaftlichen
Veränderungen als paradigmatisch qualifizieren oder nicht,
eines gemeinsam: Die Erzeugung und Verteilung von Wissen werden
künftig eine vorrangige Bedeutung in der Wertschöpfung
und im gesellschaftlichen Bewusstsein einnehmen. Die Zukunft
gehört der Wissensverarbeitung, den hochqualifizierten
Tätigkeiten. „Ob wir auf dem Weg in eine
Wissensgesellschaft sind, d. h. in eine Gesellschaft, die sich in
der genannten Weise über den Begriff des Wissens definiert,
wissen wir nicht. Was wir wissen, ist jedoch, dass die Generierung
von Wissen, die Verfügung von Wissen, die Anwendung von Wissen
und ein umfassendes Wissensmanagement zunehmend die Lebens-
und Arbeitsformen und damit auch die Strukturen der modernen
Gesellschaft bestimmen werden. In diesem Sinn ist die
Wissensgesellschaft auch die Zukunft der modernen
Gesellschaft“ (Mittelstraß 1998: 15). Die Globalisierung
wirkt dabei als mächtigste Triebkraft der ökonomischen
und politischen Veränderungen.
1 Der Begriff Informations- und Kommunikationstechniken
(IKT) wird derzeit zur Bezeichnung einer breiten Palette von
Diensten, Anwendungen und Techniken unter Einsatz unterschiedlicher
Geräte und Softwareprogramme verwendet, die häufig
über Telekommunikationsnetze laufen (Europäische
Kommission 2001e).
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