5.1.3
Auswirkungen der Wissens gesellschaft auf die
Beschäftigungs entwicklung und die Arbeitswelt
Ein weiteres Hauptmerkmal des beschriebenen
Strukturwandels ist in der langfristigen Perspektive die
Verschiebung der Beschäftigtenstruktur zugunsten der
höher Qualifizierten in allen Wirtschaftszweigen, während
die Beschäftigung von Personen ohne Ausbildungsabschluss immer
stärker zurückgeht (vgl. Kapitel
4.3.2).Selbst in der Industrie, die in den letzten 15 Jahren
deutlich Beschäftigung verloren hat, zeigt sich eine absolut
wachsende Nachfrage nach Hochschulabsolventen. In den 90er Jahren
lagen die durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten der
Beschäftigung von „knowledge workers“ in den
EU-Mitgliedstaaten und den USA bei 3,3Prozent. Die „service
workers“ nahmen pro Jahr um 2,2 Prozent zu, die
„management workers“ um 1,6Prozent, die „data
workers“ um 0,9 Prozent. Die Anzahl der in der
Güterproduktion Tätigen reduzierte sich dagegen im
gleichen Zeitraum pro Jahr um durchschnittlich 0,2Prozent (OECD
2001f: 38). In Deutschland waren im Jahr 2000 in Unternehmen der
Informationstechnik und Telekommunikation insgesamt 794000 Menschen
beschäftigt, vier Prozent mehr als 1999. Im Jahr 2001 wurde
eine Beschäftigungszahl von 836000 erwartet (Kreklau 2001b:
57). Die Unternehmen der IuK-Branche haben im Jahr 2000 in
Deutschland 75000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Die Beschäftigung in der IuK-Branche wuchs damit im Vergleich
zum Vorjahr um 10,1Prozent auf 820000 Stellen. In den Jahren von
1995 bis 2001 wurden ca. 190000 zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen (Bundesregierung 2002a: 6).
In der ersten Hälfte des Jahres 2000
konnten in Deutschland rund 93000 Stellen für
IKT-Fachkräfte nicht besetzt werden, davon entfielen ca. 74000
auf Hochschulabsolventen (Licht 2001: 13f.). Trotz des
konjunkturellen Einbruchs der „New Economy“ seit Anfang
2000 sind die Potenziale dieser Branche mittelfristig noch nicht
ausgeschöpft, die gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieses
Sektors nimmt weiter zu (Kreklau 2001b: 57). Ökonomische
Analysen und Plausibilitätsüberlegungen machen für
diesen Sektor die Annahme realistisch, „für die Jahre
bis 2015 von einem jahresdurchschnittlichen Wachstum des
Beschäftigungsvolumens von etwa 1,5 bis 2,5 Prozent
auszugehen“ (Schönig 2001: 103). In Folge dieser
Wissensintensivierung der Wirtschaft kommt dem Qualifikationsniveau
der Erwerbspersonen eine steigende Bedeutung für die
langfristige Erhaltung der technologischen Leistungsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft zu. Denn Wissen und Qualifikationen in
einer Volkswirtschaft determinieren ganz wesentlich ihre
Entwicklungsmöglichkeiten und ihre internationale
Wettbewerbsposition und spielen damit für die langfristige
Perspektive der Erhaltung und Stärkung der technologischen
Leistungsfähigkeit eine zentrale Rolle (Licht 2001: 11).
Der Wandel von der Industrie- zur
Wissensgesellschaft bleibt naturgemäß nicht ohne
gravierende Folgen für die Arbeitswelt. Das traditionelle
System der Erwerbsarbeit verändert sich grundlegend, sowohl in
Bezug auf das bisherige starre Raum-Zeit-Gefüge der
Arbeitswelt, als auch in Bezug auf die Arbeitsformen und
Arbeitsverhältnisse (Sommer 2001: 19). Alte, vertraute
Kategorien, wie das Normalarbeitsverhältnis, die
Homogenität von Sektoren, die inhaltliche Stabilität von
Berufen, die normierende Bedeutung von Qualifikationsebenen werden
verschwimmen und sich neu entwickeln. Die klaren, relativ
dauerhaften und hierarchisch organisierten Betriebs- und
Arbeitsstrukturen werden durch immer flexiblere Formen von
Berufstätigkeit ersetzt. Vernetzte bzw. virtuelle
Unternehmen mit temporären Organisationsformen werden
zunehmen (BMWi 2001b: 16). Man kann vier große sich
wechselseitig beeinflussende Trends feststellen, die die
etablierten Strukturen der industriegesellschaftlich geprägten
Arbeitswelt verändern (van Haaren, Schwemmle 1997: 98):
– Forcierte
Rationalisierung von Arbeit
– Beschleunigte
Globalisierung von Arbeit
– Räumliche und
soziale Zersplitterung von Arbeit
– Erleichterte
Flexibilisierung von Arbeit.
Die neue Vielfalt unterschiedlicher Varianten
der Selbstständigkeit lässt die Grenzen zwischen
abhängiger Beschäftigung und neuer Selbstständigkeit
weiter verschwimmen und führt zu Unübersichtlichkeit und
Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen.
Arbeitsrechtliche Schutzmechanismen und sozialrechtliche
Stabilitäten des Industriezeitalters könnten künftig
für einen großen Teil der abhängig
Beschäftigten der Vergangenheit angehören (Sommer 2001:
21). Beispielhaft für die Veränderungen der Arbeitswelt
ist der massive Anstieg der Telearbeitsplätze, der in
Deutschland im Jahr 2001 bei über zwei Millionen lag, mit
steigender Tendenz. Damit liegt Deutschland in Europa an erster
Stelle (Kreklau 2001b: 58).
Politisch münden diese Trends für
Deutschland in einer ordnungspolitischen Grundfrage: Wie muss sich
unser Wirtschaftssystem der Sozialen Marktwirtschaft
verändern, um diesen neuen Herausforderungen in der
Arbeitswelt zu begegnen? Die Antwort auf diese Frage könnte
– überspitzt formuliert – in zwei Grundrichtungen
gehen: (1) mehr Bildung, (2) mehr Teilhabe und Flexibilität
(Paqué 2001).
(1) Mehr Bildung
Der Übergang
von der Industrie- zur Wissensgesellschaft gibt der Bildung einen
neuen wirtschaftlichen Stellenwert. Zu allen Zeiten der
Wirtschaftsgeschichte war eine gute Bildung ein maßgeblicher
Vorteil für die Menschen, um bessere Einkommen, ein
höheres Wohlstandsniveau und größere soziale
Anerkennung zu erzielen. Allerdings bot die Industriegesellschaft
auch den weniger Qualifizierten noch vergleichsweise gute
wirtschaftliche Einstiegschancen: Die Spezifika der indus
triellen Technologie, vor allem die enge Verbindung von Mensch und
Maschine in großen Fabrikanlagen, sorgte für eine
vergleichsweise hohe Produktivität und damit gute Entlohnung
auch geistig anspruchsloser Tätigkeiten. Die
Wissensgesellschaft bietet diese Chance nicht mehr: Selbst relativ
einfache Arbeiten in der Arbeitsteilung des Wissens erfordern die
Beherrschung der grundlegenden Kulturtechniken und ihre in Grenzen
kreative Anwendung an Terminals von Netzwerken. Für
denjenigen, der darüber nicht verfügt, bleiben nur
Tätigkeiten im „low productivity service sector“
der Wirtschaft offen. Dabei handelt es sich allerdings zumeist um
Tätigkeiten, die geringe Verdienst- und
Aufstiegsmöglichkeiten bieten.
Diesem neuen wirtschaftlichen Stellenwert der
Bildung muss unser Bildungssystem Rechnung tragen. Es muss so
ausgestaltet sein, dass die Anzahl derjenigen, die mit mangelhafter
Bildung in den Arbeitsmarkt entlassen werden, möglichst gering
gehalten wird. War dies zu allen Zeiten ein sinnvolles
bildungspolitisches Ziel, so ist dies in der globalisierten
Wissensgesellschaft zunehmend auch eine strukturpolitische
Kernaufgabe. Die „PISA“-Studie der OECD hat gezeigt,
dass diese Aufgabe in Deutschland nicht zufriedenstellend
gelöst wird.
(2) Mehr Teilhabe und
Flexibilität
Der Abwertung der rein physischen
Arbeitskraft und die damit verbundene bildungspolitische
Herausforderung hat eine positive Kehrseite: Jenen Menschen, die
über ein gutes Bildungsniveau verfügen, aber in der
Industriegesellschaft wegen mangelnder physischer Mobilität
und/oder körperlichen Gebrechen am Erwerbsleben nicht
vollwertig teilhaben konnten, eröffnen die neuen Techniken
neue Chancen und Optionen. Sie können über elektronische
Netzwerke ihre volle Produktivität und Leis tungskraft
entfalten.
Diese neuen Möglichkeiten müssen
zunehmend auch politisch genutzt werden, um strukturbenachteiligte
Arbeitskräfte in das Erwerbsleben zu integrieren. Hier
eröffnet sich ein weites Feld der neuen Arbeitsmarkt
politik in der Sozialen Marktwirtschaft. Es gilt, die Vernetzung
und technische Ausstattung auch in privaten Haushalten so zu
verbessern, dass vorhandene Engpässe für die
„Arbeitsmarktintegration über Netzwerke“ abgebaut
werden. In dieser Hinsicht steht die Entwicklung in Deutschland
erst am Anfang. Der Strukturwandel von der Industrie- zur Wissens-
oder Informationsgesellschaft macht es den Tarifpartnern in der
Sozialen Marktwirtschaft schwerer, Löhne und
Arbeitsbedingungen zentral zu regeln.
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