6.2.2.2
Menschenschmuggel/Frauenhandel und Recht auf Selbstbestimmung
Menschenrechtsorganisationen haben seit geraumer Zeit auf die
Verbindung zwischen illegaler Migration und organisierter
Kriminalität hingewiesen. Die Vereinten Nationen bezeichnen
den Menschenschmuggel als das „am schnellsten wachsende
kriminelle Geschäft der Welt“ (Frankfurter Rundschau
27.02.02). Besonders Frauen und Kinder bilden in diesem
grenzüberschreitenden Teufelskreis eine neue globale
„Dienstleistungsklasse“. Menschenschmuggel scheint
primär mit dem Sexmarkt, dem Arbeitsmarkt und der illegalen
Migration verknüpft zu sein (Sassen 2000). Die Vereinten
Nationen schätzen, dass vier Millionen Menschen 1998 von
„trafficking“ betrof- fen sind und einen Profit von
zehn Milliarden US-Dollar für kriminelle Gruppen
erwirtschaftet haben. Für die Bundesrepublik schätzt das
Bundeskriminalamt den Jahres umsatz auf 60 Milliarden
Euro.
Truong (2000) beschreibt die unterschiedlichen Formen von illegalem
transnationalen Menschenschmuggel. Dazu zählen der Schmuggel
von Migrantinnen, die transnatio- nal auf Arbeitssuche sind
(speziell als Hausangestellte), die Schlepperdienste für
politische Asylsuchende, der Schmuggel von Frauen und Kinder zur
Zwangsprostitution sowie der Handel mit Körperteilen,
beziehungsweise menschlichen Organen. Spätestens seit dem Fall
des Eisernen Vorhangs ist Frauenhandel ein einträgliches
Verbrechen mit massenhaften Opfern. Schon 1998 schätzte die
EU-Kommission ihre Zahl in Westeuropa auf eine halbe Million. Das
entspricht einer Zunahme von 80 Prozent seit Beginn der 90er Jahre.
Der Preis der Ware „Frau“ folgt einer besonderen
menschenverachtenden ethnischen Logik. So „kostet“ eine
Frau aus armen Verhältnissen in Albanien 1000 US-Dollar, in
Griechenland oder Italien bringt sie ihren Händlern bereits
das Doppelte ein. Für eine minderjährige
„Jungfrau“ erzielen sie sogar 10000 US-Dollar (Niesner
und Jones-Pauly 2001).
Detaillierte
Daten über das Ausmaß der weltweiten Sex-Industrie und
des Menschenhandels gibt es bislang nicht. Neuere Studien weisen
jedoch nicht nur auf den Anstieg der Frauen-Prostitution in der
Unterhaltungsindustrie in Asien und in benachbarten Ländern
hin (Mushakoji 2001b, Truong 2001). Besonders schockierend sind
auch die Berichte über die Zunahme an Kinderprostitution. In
einem Bericht für das „Asian Regional High-level Meeting
on Child Labour“ beschreibt Tumlin, dass ungefähr eine
Million Kinder in der Prostitution in Asien arbeiten und dass in
Süd-Ostasien die Prostitution in der Zwischenzeit zu einer der
größten Beschäftigungsindus trien in der
Sub-Region zählt. Thailand, bereits bekannt durch seine
Sexindustrie, weist die größte Anzahl der verschlepp-ten
Kinder auf (Tumlin 2000).
Nicht weniger
schockierend sind die Berichte vom Handel mit menschlichen
Körperteilen (Organhandel). Es ist ein Markt, der durch den
raschen medizintechnologischen Fortschritt entstanden ist, und der
es beispielsweise erlaubt, auf medikamentösem Weg die
Abstoßung fremder Organe zu verhindern. Der dunkle Nebeneffekt
ist der Ausbau des illegalen Organhandels. Somit werden hier zwei
Bedürfnisse über den illegalen Markt in Einklang
gebracht: „Die einen brauchen Geld, die anderen einen
Körperteil“ (Neue Züricher Zeitung 2./3. März
2002: 67).
Auch die
Auswirkungen der Asienkrise auf arme Familien, und besonders auf
die Frauen in diesen Familien, finden in der Regel kaum Beachtung
in den Berichten und Analysen von Wirtschafts- und
Finanzexperten.15 Die
zunehmende existenzielle Unsicherheit und die steigende Zahl an
prekären Arbeitsverhältnissen ist eine Seite der
Asienkrise. Die andere Seite ist die zunehmend legale und illegale
Migration von Frauen und deren Einkommen, welches in vielen
Fällen für die Überlebenschancen ihrer eigenen
Haushalte und ganzer Gemeinden sorgen (Lim 2000, Singh und Zammit
2000, Mushakoji 2001b). Eine zentrale Rolle spielen dabei die
betroffenen Staaten, die einerseits durch die Liberalisierung der
Finanzmärkte und der Öffnung der Märkte immer mehr
unter den Konkurrenzdruck der globalen Ökonomie geraten sind,
andererseits wird der „Export“ von Frauen und Kindern
als eine von den Staaten geförderte Entwicklungsstrategie
propagiert. Auch die betroffenen Staaten sind von den Einkommen der
Frauen und den Deviseneinnahmen für die internationale
Schuldentilgung und ihrer schrumpfenden Haushaltskasse
abhängig (s. Sassen 2000, Staveren 2002, Young 2002).
In Korea und
Malaysia fiel das Bruttoinlandsprodukt in Folge der Asienkrise um
mehr als fünf Prozent in 1998, in Thailand um acht Prozent und
in Indonesien sogar um 20 Prozent. Nach neuen Schätzungen der
Weltbank wird die unter die Armutsgrenze fallende Bevölkerung
in Indonesien 1998 auf 17 Millionen Menschen beziffert, in Thailand
seit der Asienkrise auf zusätzlich 2,3 Millionen, über
665000 in den Philippinnen und auf etwas unter einer halben Million
Bürgerinnen in Malaysia. Insgesamt stieg 1998 die Anzahl der
unter der Armutsgrenze lebenden Menschen um ca. 20 Millionen zu den
bereits exis tierenden 30 Millionen (Singh und Zammit 2000:
1260).
Frauen scheinen
dabei stärker von den Auswirkungen der ökonomischen
Depression betroffen zu sein. Im Vergleich zu Männern ist die
Frauenerwerbstätigkeit in Korea von 1996/97 bis 1997/98 um 2,8
Prozent gesunken (0,5 Prozent bei Männern). Ein ähnliches
Bild der Verdrängung von Frauen aus
Normalarbeitsverhältnissen und den damit verbundenen
Lohneinbußen zeigt sich auch in den anderen
Krisenländern. In Thailand und Indonesien haben Frauen durch
den drastischen Rückgang des informellen Sektors, dem
Heimarbeitssektor und dem Kollaps vieler
Straßenhändlergeschäfte starke Einbußen
erlitten. Alleine das Einkommen in der indonesischen Weberei ist um
75Prozent zurückgegangen. Auf den Philippinen verloren mehr
Männer als Frauen ihre Arbeitsplätze, Frauen wiederum
wurden aus dem relativ gut bezahlten Indus triesektor
verdrängt. Es zeigt sich außerdem, dass die Arbeitszeiten
für Frauen im Vergleich zu denen von Männern auf den
Philippinen nach der Asienkrise erhöht wurden; was einen
zusätzlichen Verlust an Einkommen bedeutet, da die
Arbeitsentlohnung nicht etwa proportional anstieg. Gleichzeitig ist
die nicht-bezahlte Tätigkeit im Haushaltsbereich stark
gestiegen und der doppelte Arbeitseinsatz von Frauen im bezahlten
und unbezahlten Arbeitsbereich zehrt an ihrer Substanz. Lim
resümiert, dass durch die vorherrschende
Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit Männer mehr
„Freizeit“ erworben haben, erwerbstätige Frauen
aber umgekehrt mit der Belastung von verlängerten
Arbeitszeiten und mit der zusätzlichen häuslichen
Versorgung zu kämpfen haben (Lim 2000).
Es besteht
dringender Forschungsbedarf nicht nur in Asien, inwiefern die
Auswirkungen der Finanzkrisen der letzten Jahre (Mexiko, Asien,
Russland, Argentinien, Lateinamerika, Türkei), die hohen
Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdefizite in den
krisenbetroffenen Ländern, steigende staatliche Verschuldung
bei gleichzeitig fallenden Staatseinnahmen und der Zusammenbruch
der lokalen Ökonomien mit dem Anstieg der Frauenemigration als
Arbeiterinnen in der formalen Ökonomie des Westens und des
Mittleren Ostens als Krankenschwestern, als
„Unterhaltungsdamen“ in der Touristenbranche, als
Sexarbeiterinnen und als Prostituierte in der informellen und teils
illegalen Ökonomie und der Anstieg der Männer als
illegale Schmuggler miteinander verknüpft sind.
Wenn
unterschiedliche Länder in Bezug auf Ein- und
Auswanderungsbewegungen und Überweisungen an ihre
Heimatländer verglichen werden und z. B. die Situation in
Indonesien analysiert wird, so zeigt sich, dass derzeit 1,95
Millionen Indonesier im Ausland arbeiten, davon sind 65Prozent
Frauen. Schon vor der Asienkrise haben die ausländischen
Überweisungen ungefähr 4,8 Milliarden US-Dollar an
Indonesien ausgemacht (OECD 2001k: 176). Auf den Philippinen hat
sich seit der Asienkrise eine geschlechtsspezifische Verschiebung
der Migration ergeben. Allgemein zeigt sich eine Verringerung der
Emigration nach 1997, anderseits hat die Zahl junger Migrantinnen
nach Japan und Hong Kong, vor allem als
„Tänzerinnen“ und Hausangestellte, stetig
zugenommen. 1999 lagen die Zahlungen aus dem Ausland nach einem
Rückgang 1998 weit über den Zahlen von 1997. Die
Zahlungen sind für die philippinische Wirtschaft so
entscheidend, dass allein die Ausgaben dieser Gelder über
Weihnachten die Dollarreserve der Zentralbank um 420Millionen
US-Dollar stieg (OECD 2001k: 263). Die Auslandsüberweisungen
der Migrantinnen (inklusive aus der Sex- und Touristenindustrie)
stellen somit die drittgrößte Einnahmequelle für die
Philippinen dar (OECD 2000m: 234).
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in
Thailand. Die Emigration von Thailänderinnen hat nach 1997
zugenommen und die der Männer entsprechend abgenommen (siehe
Tabelle 6-1):
Truong (2000, 2001) schätzt, dass
thailändische weibliche „Entertainer“ in Japan ein
Bruttoeinkommen von 3,1Milliarden US-Dollar für 1998 generiert
haben. In der Zeit zwischen 1993–95 wird die illegale
Ökonomie in Thailand (Drogen, Schmuggel, Prostitution,
Glückspielen) auf zwischen elf und 18 Milliarden US-Dollar
geschätzt. Dies entspricht acht bis 13Prozent des BIP. In
Thailand, Malaysia und Indonesien scheint das
„trafficking“ von Frauen und Kindern in die
Prostitution mit der extremen Armut der Familien, besonders im
Stammes- und im Hochland, verbunden zu sein (Jones 1998). Es bedarf
keiner großen Erkenntnis, um die grenz
überschreitenden Migrationsbewegungen des stark angestiegenen
Menschenhandels von Indonesien nach Malaysian Borneo und von
Thailand durch Malaysia nach Japan, Korea, Europa und den USA als
eine Strategie des Überlebens der von der Krise gebeutelten
Familien zu deuten (Young 2002).
15 Ausnahmen hierzu bilden beispielsweise die folgenden
Publikationen: Elson 2002, Lim 2000, Floro und Dymski 2000, Singh
und Zammit 2000, Young 2002.
|