*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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6.2.2.2    Menschenschmuggel/Frauenhandel und Recht auf Selbstbestimmung

Menschenrechtsorganisationen haben seit geraumer Zeit auf die Verbindung zwischen illegaler Migration und organisierter Kriminalität hingewiesen. Die Vereinten Nationen bezeichnen den Menschenschmuggel als das „am schnellsten wachsende kriminelle Geschäft der Welt“ (Frankfurter Rundschau 27.02.02). Besonders Frauen und Kinder bilden in diesem grenzüberschreitenden Teufelskreis eine neue globale „Dienstleistungsklasse“. Menschenschmuggel scheint primär mit dem Sexmarkt, dem Arbeitsmarkt und der illegalen Migration verknüpft zu sein (Sassen 2000). Die Vereinten Nationen schätzen, dass vier Millionen Menschen 1998 von „trafficking“ betrof- fen sind und einen Profit von zehn Milliarden US-Dollar für kriminelle Gruppen erwirtschaftet haben. Für die Bundesrepublik schätzt das Bundeskriminalamt den Jahres­ umsatz auf 60 Milliarden Euro.

Truong (2000) beschreibt die unterschiedlichen Formen von illegalem transnationalen Menschenschmuggel. Dazu zählen der Schmuggel von Migrantinnen, die transnatio- nal auf Arbeitssuche sind (speziell als Hausangestellte), die Schlepperdienste für politische Asylsuchende, der Schmuggel von Frauen und Kinder zur Zwangsprostitution sowie der Handel mit Körperteilen, beziehungsweise menschlichen Organen. Spätestens seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Frauenhandel ein einträgliches Verbrechen mit massenhaften Opfern. Schon 1998 schätzte die EU-Kommission ihre Zahl in Westeuropa auf eine halbe Million. Das entspricht einer Zunahme von 80 Prozent seit Beginn der 90er Jahre. Der Preis der Ware „Frau“ folgt einer besonderen menschenverachtenden ethnischen Logik. So „kostet“ eine Frau aus armen Verhältnissen in Albanien 1000 US-Dollar, in Griechenland oder Italien bringt sie ihren Händlern bereits das Doppelte ein. Für eine minderjährige „Jungfrau“ erzielen sie sogar 10000 US-Dollar (Niesner und Jones-Pauly 2001).

Detaillierte Daten über das Ausmaß der weltweiten Sex-Industrie und des Menschenhandels gibt es bislang nicht. Neuere Studien weisen jedoch nicht nur auf den Anstieg der Frauen-Prostitution in der Unterhaltungsindustrie in Asien und in benachbarten Ländern hin (Mushakoji 2001b, Truong 2001). Besonders schockierend sind auch die Berichte über die Zunahme an Kinderprostitution. In einem Bericht für das „Asian Regional High-level Meeting on Child Labour“ beschreibt Tumlin, dass ungefähr eine Million Kinder in der Prostitution in Asien arbeiten und dass in Süd-Ostasien die Prostitution in der Zwischenzeit zu einer der größten Beschäftigungsindus­ trien in der Sub-Region zählt. Thailand, bereits bekannt durch seine Sexindustrie, weist die größte Anzahl der verschlepp-ten Kinder auf (Tumlin 2000).

Nicht weniger schockierend sind die Berichte vom Handel mit menschlichen Körperteilen (Organhandel). Es ist ein Markt, der durch den raschen medizintechnologischen Fortschritt entstanden ist, und der es beispielsweise erlaubt, auf medikamentösem Weg die Abstoßung fremder Organe zu verhindern. Der dunkle Nebeneffekt ist der Ausbau des illegalen Organhandels. Somit werden hier zwei Bedürfnisse über den illegalen Markt in Einklang gebracht: „Die einen brauchen Geld, die anderen einen Körperteil“ (Neue Züricher Zeitung 2./3. März 2002: 67).

Auch die Auswirkungen der Asienkrise auf arme Familien, und besonders auf die Frauen in diesen Familien, finden in der Regel kaum Beachtung in den Berichten und Analysen von Wirtschafts- und Finanzexperten.15 Die zunehmende existenzielle Unsicherheit und die steigende Zahl an prekären Arbeitsverhältnissen ist eine Seite der Asienkrise. Die andere Seite ist die zunehmend legale und illegale Migration von Frauen und deren Einkommen, welches in vielen Fällen für die Überlebenschancen ihrer eigenen Haushalte und ganzer Gemeinden sorgen (Lim 2000, Singh und Zammit 2000, Mushakoji 2001b). Eine zentrale Rolle spielen dabei die betroffenen Staaten, die einerseits durch die Liberalisierung der Finanzmärkte und der Öffnung der Märkte immer mehr unter den Konkurrenzdruck der globalen Ökonomie geraten sind, andererseits wird der „Export“ von Frauen und Kindern als eine von den Staaten geförderte Entwicklungsstrategie propagiert. Auch die betroffenen Staaten sind von den Einkommen der Frauen und den Deviseneinnahmen für die internationale Schuldentilgung und ihrer schrumpfenden Haushaltskasse abhängig (s. Sassen 2000, Staveren 2002, Young 2002).

In Korea und Malaysia fiel das Bruttoinlandsprodukt in Folge der Asienkrise um mehr als fünf Prozent in 1998, in Thailand um acht Prozent und in Indonesien sogar um 20 Prozent. Nach neuen Schätzungen der Weltbank wird die unter die Armutsgrenze fallende Bevölkerung in Indonesien 1998 auf 17 Millionen Menschen beziffert, in Thailand seit der Asienkrise auf zusätzlich 2,3 Millionen, über 665000 in den Philippinnen und auf etwas unter einer halben Million Bürgerinnen in Malaysia. Insgesamt stieg 1998 die Anzahl der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen um ca. 20 Millionen zu den bereits exis­ tierenden 30 Millionen (Singh und Zammit 2000: 1260).

Frauen scheinen dabei stärker von den Auswirkungen der ökonomischen Depression betroffen zu sein. Im Vergleich zu Männern ist die Frauenerwerbstätigkeit in Korea von 1996/97 bis 1997/98 um 2,8 Prozent gesunken (0,5 Prozent bei Männern). Ein ähnliches Bild der Verdrängung von Frauen aus Normalarbeitsverhältnissen und den damit verbundenen Lohneinbußen zeigt sich auch in den anderen Krisenländern. In Thailand und Indonesien haben Frauen durch den drastischen Rückgang des informellen    Sektors, dem Heimarbeitssektor und dem Kollaps vieler Straßenhändlergeschäfte starke Einbußen erlitten. Alleine das Einkommen in der indonesischen Weberei ist um 75Prozent zurückgegangen. Auf den Philippinen verloren mehr Männer als Frauen ihre Arbeitsplätze, Frauen wiederum wurden aus dem relativ gut bezahlten Indus­ triesektor verdrängt. Es zeigt sich außerdem, dass die Arbeitszeiten für Frauen im Vergleich zu denen von Männern auf den Philippinen nach der Asienkrise erhöht wurden; was einen zusätzlichen Verlust an Einkommen bedeutet, da die Arbeitsentlohnung nicht etwa proportional anstieg. Gleichzeitig ist die nicht-bezahlte Tätigkeit im Haushaltsbereich stark gestiegen und der doppelte Arbeitseinsatz von Frauen im bezahlten und unbezahlten Arbeitsbereich zehrt an ihrer Substanz. Lim resümiert, dass durch die vorherrschende Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit Männer mehr „Freizeit“ erworben haben, erwerbstätige Frauen aber umgekehrt mit der Belastung von verlängerten Arbeitszeiten und mit der zusätzlichen häuslichen Versorgung zu kämpfen haben (Lim 2000).

Es besteht dringender Forschungsbedarf nicht nur in Asien, inwiefern die Auswirkungen der Finanzkrisen der letzten Jahre (Mexiko, Asien, Russland, Argentinien, Lateinamerika, Türkei), die hohen Handelsbilanz- und Leis­tungsbilanzdefizite in den krisenbetroffenen Ländern, steigende staatliche Verschuldung bei gleichzeitig fallenden Staatseinnahmen und der Zusammenbruch der lokalen Ökonomien mit dem Anstieg der Frauenemigration als Arbeiterinnen in der formalen Ökonomie des Westens und des Mittleren Ostens als Krankenschwestern, als „Unterhaltungsdamen“ in der Touristenbranche, als Sexarbeiterinnen und als Prostituierte in der informellen und teils illegalen Ökonomie und der Anstieg der Männer als illegale Schmuggler miteinander verknüpft sind.

Wenn unterschiedliche Länder in Bezug auf Ein- und Auswanderungsbewegungen und Überweisungen an ihre Heimatländer verglichen werden und z. B. die Situation in Indonesien analysiert wird, so zeigt sich, dass derzeit 1,95 Millionen Indonesier im Ausland arbeiten, davon sind 65Prozent Frauen. Schon vor der Asienkrise haben die ausländischen Überweisungen ungefähr 4,8 Milliarden US-Dollar an Indonesien ausgemacht (OECD 2001k: 176). Auf den Philippinen hat sich seit der Asienkrise eine geschlechtsspezifische Verschiebung der Migration ergeben. Allgemein zeigt sich eine Verringerung der Emigration nach 1997, anderseits hat die Zahl junger Migrantinnen nach Japan und Hong Kong, vor allem als „Tänzerinnen“ und Hausangestellte, stetig zugenommen. 1999 lagen die Zahlungen aus dem Ausland nach einem Rückgang 1998 weit über den Zahlen von 1997. Die Zahlungen sind für die philippinische Wirtschaft so entscheidend, dass allein die Ausgaben dieser Gelder über Weihnachten die Dollarreserve der Zentralbank um 420Millionen US-Dollar stieg (OECD 2001k: 263). Die Auslandsüberweisungen der Migrantinnen (inklusive aus der Sex- und Touristenindustrie) stellen somit die drittgrößte Einnahmequelle für die Philippinen dar (OECD 2000m: 234).

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Thailand. Die Emigration von Thailänderinnen hat nach 1997 zugenommen und die der Männer entsprechend abgenommen (siehe Tabelle 6-1):

Truong (2000, 2001) schätzt, dass thailändische weibliche „Entertainer“ in Japan ein Bruttoeinkommen von 3,1Milliarden US-Dollar für 1998 generiert haben. In der Zeit zwischen 1993–95 wird die illegale Ökonomie in Thailand (Drogen, Schmuggel, Prostitution, Glückspielen) auf zwischen elf und 18 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dies entspricht acht bis 13Prozent des BIP. In Thailand, Malaysia und Indonesien scheint das „trafficking“ von Frauen und Kindern in die Prostitution mit der extremen Armut der Familien, besonders im Stammes- und im Hochland, verbunden zu sein (Jones 1998). Es bedarf keiner großen Erkenntnis, um die grenz­ überschreitenden Migrationsbewegungen des stark angestiegenen Menschenhandels von Indonesien nach Malaysian Borneo und von Thailand durch Malaysia nach Japan, Korea, Europa und den USA als eine Strategie des Überlebens der von der Krise gebeutelten Familien zu deuten (Young 2002).



15 Ausnahmen hierzu bilden beispielsweise die folgenden Publikationen: Elson 2002, Lim 2000, Floro und Dymski 2000, Singh und Zammit 2000, Young 2002.

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Tabelle 6-1