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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Werner H. Skowron, CDU/CSU Hartmut Soell, SPD >>

In der heutigen Diskussion um den Sitz von Parlament und Regierung wurden viele Argumente angeführt, die die Sorgen und Nöte der Menschen wiedergeben, denen gegenüber jeder von uns gerade heute in besonderer Verantwortung steht. Und das sind nicht nur die Betroffenen in den Städten Bonn und Berlin, sondern die Millionen Menschen, denen die Vorzüge der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Jahrzehnten lieb und teuer geworden sind, aber auch Millionen Menschen, denen erst vor kurzer Zeit eine solche Perspektive eröffnet wurde.

Zur zweiten Gruppe gehöre ich, und Sie werden verstehen, daß ich als Berliner Abgeordneter -- und zwar aus dem Ostteil unserer Stadt -- mit besonderer Sensibilität die Auseinandersetzung zwischen Bonn und Berlin verfolgt habe.

Meine Damen und Herren, oft war heute davon die Rede, Bonn sei ein Symbol für die erfolgreiche Demokratie in Deutschland. Jawohl, das ist Bonn, Symbol für 40 Jahre erfolgreiche Demokratie, aber heute steht die Frage anders. Eine neue historische Situation und Aufgaben, die die Grenzen Deutschlands weit überschreiten, machen eine neue Betrachtung erforderlich. Es gilt, sich in diesem Sinne bewußtzumachen, daß eine Entscheidung für Berlin kein Rückfall in die Nationalstaatlichkeit darstellt, sondern Ausdruck und Zeichen des Willens des deutschen Volkes ist, ein neues Gesellschaftskonzept, das nach innen auf die Angleichung und später gleichmäßige Entwicklung aller Regionen des Landes, nach außen auf die Schaffung der Voraussetzungen für die Einheit Europas gerichtet ist, zum Tragen zu bringen. Die Funktionsfähigkeit dieses Konzepts unter Beweis zu stellen sind wir den Menschen in unserem Land genauso schuldig wie der internationalen Öffentlichkeit.

Ja, wir haben immense Vereinigungsprobleme, Herr Baum, und sie treten mit Sicherheit in der vor uns liegenden Zeit noch deutlicher in Erscheinung. Aber das ist keine Frage von Bonn oder Berlin, oder meinen Sie, daß gesamtdeutsche Entwicklungsprobleme einen Bogen um das beschauliche Bonn machen? Von den Bonn-Befürwortern war oft zu hören, welche schwerwiegenden sozialen Probleme eine Verlegung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin mit sich bringen würde. Ein Argument, das ich träge zum Regierungs- und Parlamentssitz in sehr unterschiedlicher Weise interpretiert worden. Unter dem Strich steht jedoch ein übergreifender Aspekt, nämlich daß er zu einem Zeitpunkt geprägt wurde, als mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Herstellung der Einheit Deutschlands die juristische Grundlage geschaffen wurde, einen historischen Prozeß neu zu beginnen und damit Millionen Menschen, den Menschen in den fünf neuen Ländern, eine neue Perspektive zu geben, Hoffnungen und Sehnsüchte zu erfüllen. Deshalb geht es heute nicht zuletzt darum, den Erwartungen dieser Menschen gerecht zu werden und somit die Glaubwürdigkeit dieses Hohen Hauses zu untersetzen.sehr gut verstehe, denn fragen Sie doch einmal Herrn Dr. Blüm, was passiert, wenn bis spätestens Ende dieses Jahres die Warteschleife für

Tausende Beschäftigte im Ostteil Berlins abläuft (1,2 Millionen Arbeitslose, vorwiegend im Ostteil Berlins).

Und es kommt noch schlimmer: Das alte Problem, daß in der Vergangenheit Berlin als Hauptstadt der ehemaligen DDR in jeder Hinsicht eine bevorzugte Stellung im gesamtgesellschaftlichen System zukam, wird sowohl von Vertretern der alten als auch der neuen Bundesländer für die künftige Entwicklung prognostiziert. Was für eine einseitige Betrachtung!

Berlin ist Gesamtberlin, und ich glaube, die Erfahrungen einer fast 40 Jahre geteilten Stadt mit Mauer und Luftbrücke sind der Unterpfand dafür, daß sich diese Entwicklung nicht noch einmal vollziehen wird.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Abschluß noch eine Bemerkung zur Kultur des Streits um den Regierungs- und Parlamentssitz: Es erfüllt mich mit außerordentlichem Befremden, daß am gestrigen Abend, der als Abend der Begegnung deklariert wurde, eine Reihe geradezu beleidigender Losungen zu sehen waren, die durch die Übertragung der Medien auch die Weltöffentlichkeit erreichten. Da war z. B. zu lesen: »Laßt Euch nicht durch Berliner STASI-Methoden umstimmen!« Und das nicht etwa am Rande des Veranstaltungsortes, sondern mittendrin, am Politikerstand. Ich hoffe nur, daß diese Losung nicht die wahre Einstellung Bonns und der Bonner zu den Menschen der neuen Bundesländer und Berlins widerspiegelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach meiner Auffassung müssen wir heute eine klare Entscheidung treffen. Lassen Sie uns auf dem Weg der Schaffung der Einheit Deutschlands weitergehen, stehen wir zu unserem Versprechen und den in der Konsequenz vorhandenen und entstehenden Problemen, begreifen wir sie als Herausforderung! In Erfüllung der Festlegungen des Einigungsvertrages und dem festen Willen, der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland und Europa gerecht zu werden, stimme ich für Berlin.

Hartmut Soell, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_192
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