Aufbau der Fraktionen
Ständiges Koordinieren
Die Fraktionen sind kleine Parlamente im Parlament. Zahlreiche Gremien und Positionen sichern die Meinungsvielfalt und die Fachkompetenz in den Fraktionen. Für einen reibungslosen Ablauf sorgen in allen Fraktionen vergleichbare Organisationsstrukturen – von der Fraktionsspitze bis hin in die einzelnen Arbeitsgruppen und Gesprächskreise.
Nach jeder Wahl ist alles neu. Nicht nur der Bundestag fängt nach dem Prinzip der Diskontinuität (1) neu an. Auch jede Fraktion. Der Wählerwille kann dafür gesorgt haben, dass eine Partei wesentlich stärker geworden ist, entsprechend mehr Abgeordnete stellt, die sich daraus folgend auch anders organisieren müssen als in der vorherigen Wahlperiode. Der Wählerwille kann aber auch dazu führen, dass sich die Mandate (2) einzelner Parteien glatt halbieren oder vollkommen wegfallen – etwa wenn die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Dann ist Packen die erste Fraktionspflicht. Büros sind zu räumen, andere neu zu beziehen. Denn die Abgeordneten sitzen in den Bürogebäuden des Bundestages nicht kunterbunt durcheinander, sondern zumeist im Fraktionszusammenhang. Eine der ersten Arbeiten der Fraktionsgeschäftsführung nach einer Wahl besteht daher darin, zusammen mit der Bundestagsverwaltung die Büroverteilung zu organisieren. Da bekommt die eine Fraktion mal eben einen ganzen Trakt dazu, den die vom Wähler geschwächten Kollegen zügig zu räumen haben.
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Parallel dazu muss die Fraktionsorganisation in Gang kommen. Da sind etwa allein innerhalb der großen Fraktionen jeweils über 70 Gremien und andere wichtige Positionen zu besetzen. Dies geht einher mit der Verteilung der Abgeordneten auf die Bundestagsausschüsse – ein hoch kompliziertes Verfahren, da bei der Besetzung neben den Wünschen der Abgeordneten auch ausgewogene Verhältnisse nach Landesgruppen, Geschlecht und politischen Strömungen zu bedenken sind. „Ein Puzzlespiel ohne Ende“, umschreibt etwa der Erste Parlamentarische Geschäftsführer (3) der SPD-Fraktion, Wilhelm Schmidt, diese Phase der Selbstorganisation.
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Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt (l.) und Krista Sager. |
In der CDU/CSU-Fraktion kommt der Sonderfall hinzu, dass die Vorsitzenden von CDU und CSU zu Beginn der Wahlperiode einen Fraktionsvertrag schließen. Diese „Vereinbarung über die Fortführung der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU“ enthält detaillierte Regelungen über die Zusammenarbeit der Abgeordneten beider Parteien, über eigene Organe der CSU innerhalb der gemeinsamen Fraktion und über die angemessene Beteiligung an den parlamentarischen Abläufen./p>
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FDP-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Gerhardt. |
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In der inneren Organisation sind die Fraktionen weitgehend frei. Doch haben sich praktischerweise ähnliche Strukturen herausgebildet. An der Spitze der Fraktionen steht jeweils ein Chef oder eine Chefin – wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sich eine Doppelspitze gibt. In der Ebene darunter kommen die stellvertretenden Vorsitzenden, die zugleich für jeweils verschiedene Themenschwerpunkte verantwortlich sind und die Meinungsbildung innerhalb dieses Bereiches mit organisieren. Zusammen mit den Parlamentarischen Geschäftsführern und weiteren Funktionsträgern, etwa den Justiziaren, bilden sie den Geschäftsführenden Vorstand, der regelmäßig zu Beginn der Sitzungswochen und bei Bedarf auch außerhalb zusammentritt und die Fraktionsarbeit operativ steuert. Mindestens einmal pro Sitzungswoche tagt auch der Gesamtvorstand der Fraktionen, dem weitere führende Abgeordnete, etwa aus den Fachgebieten oder aus den soziologischen Gruppen oder politischen Strömungen angehören. Auf der Grundlage der Vorarbeit von Parlamentarischen Geschäftsführern und Geschäftsführendem Vorstand bereitet er die Fraktionssitzungen weiter vor und beschäftigt sich zum Beispiel damit, welche Initiativen bereits „reif“ für die Befassung sind und wo noch Arbeits-, Gesprächs- und Klärungsbedarf besteht.
Beratungen in Arbeitsgruppen
Für alle Bundestagsausschüsse bilden die Fraktionen sodann interne Gremien, so genannte Arbeitsgruppen oder Arbeitskreise, in denen die Themen in den Fachausschüssen begleitet und die dort stattfindende Detailberatung mit der eigenen Meinungsbildung verknüpft wird. Die großen Fraktionen haben je Ausschuss mindestens eine Arbeitsgruppe und bei Bedarf auch noch Unterarbeitsgruppen für spezielle Aspekte des Fachgebietes, die kleineren Fraktionen fassen die Thematiken mehrerer Bundestagsausschüsse in Arbeitskreisen zusammen. Sowohl bei den großen als auch bei den kleinen unterstützen Fraktionsmitarbeiter für jeden Ausschuss die Abgeordneten bei ihrer Arbeit. Diese Fraktionsmitarbeiter können direkt aus der Wissenschaft oder Politikberatung kommen oder aber aus Bundes- oder Landesbehörden auf Grund ihres spezifischen Fachwissens rekrutiert werden.
Innerhalb der Arbeitskreise oder Arbeitsgruppen haben verschiedene Abgeordnete herausragende Funktionen: Der jeweilige Vorsitzende kann die Politik der Fraktion in seinem Fachbereich auch nach außen hin als Sprecher vertreten. Wollen andere Abgeordnete die Meinung der Fraktion öffentlich darlegen, müssen sie sich vorher mit den Sprechern abstimmen. Einzelheiten regeln „Arbeitsordnungen“, die zu Beginn der Wahlperioden verfasst werden. Zudem gibt es die so genannten Obleute (4), die die Koordination zwischen den Beratungen in Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen und der Arbeit in den jeweiligen Bundestagsausschüssen leisten. Ihnen zur Seite stehen die so genannten Berichterstatter, die sich in einzelne Gesetzesvorhaben innerhalb der Ausschussarbeit intensiv einarbeiten und diese begleiten.
Fraktionsarbeit bedeutet also ein ständiges Koordinieren. Dafür hat sich in den Sitzungswochen ein fester Rhythmus herausgebildet. Montags machen die Runden der Parlamentarischen Geschäftsführer innerhalb der Fraktionen den Anfang, gefolgt von der Sitzung des Geschäftsführenden Fraktionsvorstands. Nachmittags und abends treffen sich der Fraktionsvorstand, die Landesgruppen und weitere Kreise. Am Dienstag sitzen die Abgeordneten in den Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen zusammen und bereiten die Ausschusssitzungen vor. Am späten Vormittag nehmen die Parlamentarischen Geschäftsführer zudem Kontakt zu ihren Kollegen in den anderen Fraktionen auf. Dieser Verständigungsprozess kann auch an den nächsten Tagen fortgesetzt werden. Außerdem kommen dienstags nachmittags die Fraktionen zusammen und beraten mitunter bis in den späten Abend hinein.
Vom Mittwoch an stehen die Parlaments- und Ausschusssitzungen im Vordergrund – Sondersitzungen von Fraktionsgremien sind jedoch jederzeit möglich. Denn die Fraktionen bilden als parlamentarische Entsprechung der Parteien im Wettstreit um die tatsächliche Umsetzung der politischen Konzepte den eigentlichen Ort der politischen Meinungs-, Willens- und Entscheidungsfindung, bevor diese im Parlament im Detail belegt, präsentiert und begründet wird.