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Michael Marek
Pandoras Büchse in Las Vegas
Wie die USA ihren Atommüll
entsorgen
Armagosa Valley, 160 Kilometer nordwestlich von
Las Vegas: flirrende Wüste, wohin man blickt. Hier, im
US-Bundesstaat Nevada, entsteht das weltweit erste Endlager
für hochradioaktiven Müll. Dafür hat das
Energieministerium einen Probestollen in den heiligen Berg der
Western Shoshone Indianer treiben lassen. Seit über 25 Jahren
prüfen Geologen den Yucca Mountain auf seine Tauglichkeit.
Sieben Milliarden Dollar hat das Prestigeprojekt bislang
verschlungen. Knapp 600 Meter unter dem Gipfel sollen hier ab 2010
abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken und anderer
nuklearer Abfall eingelagert werden.
Rund 77.000 Tonnen Uran in Spezialcontainern
verpackt, geschützt vor radioaktivem Fallout und
Nuklearterroristen. Yucca Mountain Project lautet die offizielle
Bezeichnung. Energieminister Abraham Spencer hat den
zerklüfteten Bergkamm aus Vulkangestein als Standort
empfohlen. Präsident Bush hat entschieden, das 58 Milliarden
Dollar teure Endlager für die Ewigkeit bauen zu lassen. Denn
die Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe aus den
Atomkraftwerken werden in wenigen Jahren gefüllt sein. Ein
Endlager müsse her, das sei ökonomischer und sicherer als
die aufwendige Zwischenlagerung, sagt Patrick Rowe vom Department
of Energy (DoE), jener Behörde, die verantwortlich für
das Projekt ist.
Am Horizont erkennt man die Umrisse eines
geborstenen Vulkans. Es ist still hier, eine trügerische
Idylle, denn der Yucca Mountain liegt in der Nevada Test Site, dem
Atomversuchsgelände der USA. Zur Zeit des Kalten Krieges
wurden in dieser Einöde die ersten Atombomben der USA erprobt.
Ansonsten deutet nichts auf die Besonderheit des Berges hin.
Nirgendwo gibt es ein Schild, eine Markierung, weder am Highway
noch auf den Umgebungskarten. Dafür werden die
Zufahrtsstraßen zum Yucca Mountain streng bewacht. Gatter und
Panzersperren blockieren die Einfahrt. Hinein darf nur, wer eine
Sondergenehmigung des Energieministeriums vorweisen
kann.
Die Bush-Regierung setzt auf Atomenergie und
muss gleichzeitig der Altlasten Herr werden. Derzeit gibt es 103
Atomkraftwerke. 50 neue Reaktoren sollen bis zum Jahre 2020
dazukommen. Der Etat für die nukleare Müllgruft
beträgt jährlich 300 Millionen Dollar. Wenn die
eigentlich Bauphase ab 2008 richtig los-gehe, sollen es 3.000 sein.
Gut bezahlte Jobs vor allem für Bauarbeiter, so das Argument
der Befürworter. Im Augenblick sind etwa 1.500 Menschen mit
den Vorarbeiten betraut: Ingenieure, Minenarbeiter, Wissenschaftler
und Public Relationsleute, die Werbung für die
Endlagerstätte machen sollen. Und die ist umstritten.
"Für die Entsorgung wurden überhaupt keine anderen Orte
und Methoden in Betracht gezogen", kritisiert Judy Treichel. 1987
gründete sie die Nevada Nuclear Waste Task Force, seitdem
arbeitet Treichel für die Organisation. Der Name ist Programm.
Die Bürgerinitiative engagiert sich dafür, die
Öffentlichkeit über die Gefahren eines
Atommülllagers aufzuklären.
Am zentralen Eingang des Yucca Mountain
schlägt dem Besucher kühle, trockene Luft entgegen. Ein
dunkler Schacht führt acht Kilometer tief in den Berg. Nacktes
Tuffgestein reflektiert kaltes Neonlicht von den Wänden, an
denen Kabel und Kompressoren, Frischluftleitungen und Generatoren
hängen. Es ist laut im Yucca Mountain, aus dem Schlund des
Berges dröhnt der Bohrlärm. "Ich werde alles in meiner
Macht Stehende unternehmen, um das Projekt zu stoppen!" Oscar
Goodman ist Bürgermeister der Spie-ler- und
Wüstenmetropole Las Vegas: "Diejenigen, die aus dem Yucca
Mountain ein atomares Endlager ma-chen wollen, haben nicht die
Sicherheitsstandards eingehalten, die im Kongress beschlossen
wurden. Wenn der Atommüll eine sichere Angelegenheit ist, dann
kann er ja dort bleiben, wo er ist." Niemand in Nevada und niemand
in Las Vegas wolle das Atomklo haben, sagt der 64-jährige
Demokrat, Bürgerrechtler und ehemalige Strafrechtsverteidiger.
Goodman steht nicht allein, in ganz Nevada regt sich Protest gegen
das geplante Endlager. Eine große Koalition aus
Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden und
Umweltgruppen hat sich zusammengefunden.
Zu den Gegnern des Projektes gehört auch
Steve Frishman. Als unabhängiger Sachverständiger
berät er den Gouverneur von Nevada. Der Geologe kennt den Berg
in- und auswendig, hat ihn selbst miterforscht. Sein Befund: Der
Yucca Mountain ist eine Zeitbombe, denn hin und wieder bebt hier
die Erde. Im Umkreis von 80 Kilometern wurden in den letzten 20
Jahren über 600 Beben mit einer Stärke von mehr als 2,5
auf der Richter-Skala registriert. Dass dabei ausgerechnet die
Außenstelle des US-Energieministeriums mit ei-nem
Laborgebäude in Trümmer gelegt wurde, entbehre nicht der
Ironie, kommentiert Frishman süffisant. Selbst das General
Accounting Office, eine Prüfbehörde des Kongresses, ist
zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regierung "noch nicht über
alle technischen Informationen für eine Empfehlung
verfügt".
Das Energieministerium habe diese Fakten aber
nicht zum Anlass genommen, den Standort aufzugeben, so Frishman,
sondern die Kriterien für den Yucca Mountain kurzerhand
gelockert. Obergrenzen für frei werdende Strahlung gelten
seitdem nicht mehr innerhalb, wie ursprünglich vorgesehen,
sondern erst außerhalb einer 20-Kilometerzone. Das Gestein
muss nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen eine
natürliche geologische Langzeitbarriere gegen eine Verseuchung
des Grundwassers bilden. Stattdessen reiche es, wenn die zur
Einlagerung benutzten Castoren den erforderlichen Schutz
böten, kritisiert Frishman. Trotz dieser Warnungen stimmte der
US-Senat parteiübergreifend für den Standort in Nevada.
Für Frishman hatte das vor allem einen Grund: Jeder Senator,
der sich gegen Yucca Mountain ausgesprochen hätte, musste
fürchten, sein Bundesstaat könne als potentieller
Standort ausgewählt werden.
Fast alle Reaktoren der USA befinden sich an
der Ostküste - mit der Konsequenz, dass die Transportwege von
den Atomkraftwerken zum Yucca Mountain äußerst lang sind.
Noch ist geplant, den Atommüll aus den 39 Bundesstaaten per
Truck oder Zug zu transportieren. Die durchschnittliche Entfernung
beträgt 3.200 Kilometer. Aber mit der Zahl der Transporte
steige nach Meinung der Gegner das Risiko von Pannen,
Unglücksfällen oder Terroranschlägen. Die
Bush-Regierung hält die Risiken eher für gering und
verteidigt die Transporte mit dem Hinweis auf andere Gefahren: Zum
Beispiel, wenn man den Atommüll in den Zwi-schenlagern der
Kernkraftwerke lassen würde, wo sie derzeit unter freiem
Himmel aufbewahrt werden. Gerade vor dem Hintergrund des 11.
Septembers ließe sich das Material an einer zentralen Stelle
besser schützen als an den Kraftwerksstandorten: "Ohne Yucca
Mountain bleibt der Atommüll dort, wo die Lagerung weniger
sicher und das Risiko eines Terroranschlags viel grösser ist",
argumentiert Energieminister Spencer und verweist auf die bisherige
Bilanz: In den vergangenen 30 Jahren auf zusammengerechnet
über 2,6 Millionen Kilometern Transportstrecke habe es keinen
nennenswerten Atomunfall gegeben.
Dass die Atommülltransporte erst in
einigen Jahren beginnen werden, ist für Bürgermeister
Goodman nur ein schwacher Trost: "Die Leute werden die Transporte
nicht tolerieren. Im ganzen Land gibt es Transporte ohne
Feuerwehrbegleitung, Polizei, Ärzte. Was ist, wenn es zu einem
Unfall kommt?" Las Vegas ist mit monatlich 6.000 Zuzüglern
noch immer die am schnellsten wachsende Stadt der USA. 40 Millionen
Besucher kommen jährlich hierher. Die Kasinobesitzer
fürchten vor allem: Mit Atommüll beladene Castoren rollen
über dem Strip in Richtung Yucca Mountain - zum Schrecken der
Touristen, Hochzeitspaare und Zerstreuungssüchtigen, die dann
wegblieben. Das würde Arbeitslosigkeit und einen sinkenden
Staatshaushalt bedeuten. Andererseits sind in das Endlagervorhaben
bereits Milliarden Dollar geflossen. Schon deshalb können
Regierung und Atomindustrie keinen Rückzieher mehr machen,
analysiert Goodman.
Seit langem demonstrieren die Western
Shoshone Indianer gegen das geplante Endlager. Die Frage des
rechtmäßigen Eigentums am Yucca Mountain ist von den
Gerichten stets zu ihren Ungunsten behandelt worden. Es geht um
Landraub, denn große Teile des nuklearen Zyklus, von der
Urangewinnung über die Atombombenexperimente bis zur
Endlagerung, finden auf indianischem Gebiet statt. "Zeigt mir die
Dokumente, die belegen, dass wir unser Land weggeben haben!",
fordert Corbin Harney, der spirituelle Führer der Western
Shoshone. Seit Jahrhunderten haben seine Vorfahren in diesen
Wüsten- und Steppengebieten überlebt. Die Shoshonen haben
es nie verkauft.
Heute leben die letzten 6.000 Mitglieder des
Stammes in Reservaten, verteilt auf sechs Bundesstaaten. Viele wie
Corbin Harney haben nicht einmal Geld für eine Klimaanlage in
ihren bescheidenen Häusern. Bei 50 Grad im Schatten eine
Tortur. Über eine Schulbildung verfügen die wenigsten,
sie hausen in Wohnwagen, verkaufen Benzin und
Süßigkeiten, eine Krankenversicherung kann sich kaum
jemand leisten.
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