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Aschot Manutscharjan
Diese Radioaktivität würde für
einige Tschernobyls reichen
Russlands stellvertretender Umweltminister
Sergej Antipow zur Entsorgung von Atom-U-Booten
So genannte "investigative" Journalisten berichten inzwischen
nur noch selten aus den militärischen Sperrgebieten Russlands.
Immerhin gelang es ihnen in den ersten Jahren nach dem Ende des
Kalten Krieges, Bilder von ausgemusterten russischen Atom-U-Booten,
die in den Häfen vor sich hin rosteten, in die Wohnzimmer der
interessierten Weltöffentlichkeit zu transportieren - dank
einer gelungenen Regie aus Moskau übrigens. Die Texter aus dem
Off verstanden es hervorragend, Ängste zu schüren, indem
sie Hunderte schwimmende Tschernobyls im Norden Europas
präsentierten, die unsere Sicherheit bedrohten. Gerne wurden
russische Admiräle und Umweltschützer ins Bild
gerückt, um die Horrorszenarien zu bestätigen und zum
rechtzeitigen Einschreiten aufzufordern. Kurzum: Russland erpresste
via TV die Welt, allen voran die umweltbewussten und geographisch
benachbarten Europäer. Gleichwohl legten westliche Politiker
lange Zeit eine gewisse Hartleibigkeit an den Tag, indem sie
Russland zu verstehen gaben, es möge seine nuklearen
Abfälle doch bitte selbst entsorgen. Die Antwort aus Moskau:
"Wir haben kein Geld", kam prompt. Obwohl Russland weiterhin Mittel
für den Bau neuer Atom-U-Boote ausgibt.
"Die Lage hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges und dem
Zerfall der UdSSR verschärft, als klar wurde, dass die Masse
der Atomwaffen, darunter die Atom-U-Boote, nicht mehr gebraucht
würden", sagte der stellvertretende Minister für
Atomenergie, Sergej Antipow, dieser Zeitung. Seit 1998 ist sein
Ministerium für die Entsorgung der russischen nuklearen
Waffenarsenale zuständig. "Wir haben bislang 193 russische
Atom-U-Boote außer Dienst gestellt. Als sie gebaut wurden,
hatte man weder Geld noch Zeit an ihre Entsorgung zu denken",
betonte Antipow. Nicht nur Russland, sondern die ganze Welt habe
jetzt das Problem, "was aus diesen Waffen wird".
Im Unterschied zur Geheimniskrämerei während des
Kalten Krieges betreibt Moskau heute eine offene
Informationspolitik: Die "Friedhöfe für Atom-U-Boote"
enthalten derart viel radioaktives Material, dass es für
einige Katastrophen à la Tschernobyl ausreichen würde,
hört man allenthalben. Auch die Möglichkeit, dass
Nuklearabfall in die Hände von Terroristen gelangen
könnte, trägt nicht zur Beruhigung der
Öffentlichkeit bei. Deshalb entschlossen sich die
führenden Wirtschaftsnationen nach dem 11. September zum
Handeln. Auf dem G-8-Weltwirtschaftsgipfel 2002 in Kananaskis
vereinbarten die Staats- und Regierungschefs, global gegen die
Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorzugehen. Endlich man
bereit, "Russland zu helfen", sagte Antipow.
Im Rahmen des G-8-Projektes, das im April 2004 in Kraft getreten
ist, wurde ein internationales nukleares Umweltschutzprogramm
für Russland MNEPR (Multilateral Nuclear Environmental
Programme in the Russian Federation) ins Leben gerufen. Auch
Deutschland beteiligt sich bis 2012 mit 1,5 Milliarden Euro.
Bislang hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
für die kommenden sechs Jahre 300 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt. Ausgegeben werden die Gelder für den
Bau eines Zwischenlagers in der Saida-Bucht bei Murmansk. Dort
sollen die Atomreaktoren sicher aufbewahrt werden. Auch der
Transport der Reaktoren zur nahe gelegenen Nepra-Werft, wo sie
zerlegt werden, wird von Deutschland finanziert. Den Kernbrennstoff
entfernen die Russen sicherheitshalber vorher.
In den Aufgabenbereich Antipows fällt auch die
Durchführung von nuklearen Umweltprojekten in Russland, MNEPR
(Multilateral Nuclear Environmental Programme in the Russian
Federation). Am Rande einer Tagung der Deutschen Gesellschaft
für die Auswärtige Politik in Berlin betonte er, dass
Deutschland ein besonders guter Partner beim nuklearen
Umweltprogramm sei. "Die Deutschen sind pragmatisch. Zudem machen
sie keine leeren Versprechungen, sondern sie setzen das Vereinbarte
auch um. Wir sind den Deutschen sehr zu Dank verpflichtet und
würden es gern sehen, wenn auch andere Staaten in
ähnlicher Weise helfen würden."
Auf die Frage, warum Russland diese Aufgabe nicht allein
löse, räumte Antipow, dass die Kapazitäten seines
Landes dazu nicht ausreichen. Es gebe daür weder das
nötige Geld noch sichere Lagerstätten. Die Reaktoren
müssten mindestens 50 bis 70 Jahre auf Grund ihrer hohen
Radioaktivität zwischengelagert werden. Erst danach
könnten sie umweltschonend entsorgt werden.
In Bezug auf die Lage in den russischen Pazifik-Häfen,
informierte Antipow, dass ein Teil der Atom-U-Boote, die entsorgt
werden müssen, noch dort in Marinestützpunkten vor Anker
lägen. Das wichtigste sei, dass die U-Boote beim Abtransport
nicht versehentlich versenkt würden. "Wollen wir die
Atom-U-Boote im Wasser liegen lassen, dann müssen wir gegen
die Korrosion ankämpfen. Das kostet viel Geld. Besser
wäre es, alle Reaktoren auszubauen und an Land zu
entsorgen."
Auf die Frage nach stark radioaktiv verstrahlten Gebieten
antwortete Antipow: "Nukleare Abfälle werden auf zwei
früheren Basen der russischen Marine gelagert. Dort lebt
niemand. Wichtig ist, dass die Strahlung nicht in die
Atmosphäre gelangt. Deshalb haben wir die globale
Partnerschaft ins Leben gerufen und den internationalen Vertrag
für ein nukleares Umweltschutzprogramm in Russland
unterschrieben."
Von den genannten 193 außer Dienst gestellten Atom-U-Booten
müssten noch 62 entsorgt werden. Antipow versicherte, dass bis
2010 alle Atom-U-Boote entsorgt werden sollen. Der nukleare Abfall
werde direkt in das russische nukleare Entsorgungszentrum "Majak"
transportiert und nicht wie früher in den Häfen oder an
der Küste gelagert und nicht mehr im Meer entsorgt. "Wir haben
die Londoner Konvention über das Verbot der Entsorgung in den
Weltmeeren unterschrieben. Sie ist noch nicht ratifiziert, da
Havarie-Fälle und technische Probleme noch nicht
endgültig geklärt sind."
Auf die Frage, wie geschützt die Atom-U-Boote vor dem
Zugriff von Terroristen seien, versicherte der stellvertretende
Minister, dass die Atom-U-Boote, die noch im Dienst sind,
stärker bewacht werden als die ausgemusterten. Die Flotte
müsse sich nicht nur vor Terroristen schützen, sondern
auch vor möglichen Militäraktionen. Antipow verneinte die
Frage, ob nukleare Abfälle an andere Staaten verkauft
würden. "Russland hat keinem Staat beim Bau von Atombomben
geholfen, weder mit waffenfähigem Material noch mit
Technologie. Ich versichere, dass wir das russische
Atomwaffen-Programm nie exportiert haben." Berichte über
Nuklearexporte aus Russland träfen nicht zu. "Am lautesten
schreien diejenigen, die selbst Dreck am Stecken haben.
Möglicherweise liegt das auch im Interesse bestimmter
Wirtschaftskreise, die ihre Geschäfte unter Ausschluss der
Öffentlichkeit machen wollen." Antipow hält es jedoch
für ausgeschlossen, dass irgendeine Atommacht derartige
Gerüchte über russischen Nuklearhandel in die Welt setzt,
um von eigenen Waffenexporten an Dritte abzulenken.
Pakistan habe zwar bestimmte Kenntnisse über
Atomwaffenproduktion weitergegeben, aber es habe sich dabei um
Technologie auf sehr niedrigem Niveau gehandelt. "Es hilft mir
nicht, wenn ich weiß, wie ein Mercedes aussieht. Bauen kann
ich ihn deshalb noch lange nicht. Dafür braucht ein Staat ein
enormes technisches Potential."
Eine Zusammenarbeit Russlands mit Iran in Bezug auf ein
Atomwaffenprogramm bestritt Antipow. "Unsere Zusammenarbeit mit
Iran dient eindeutig nur friedlichen Zielen. Wir helfen dem Land,
ein Atomkraftwerk zu bauen. Die Technologie für den Bau eines
Kernkraftwerkes kann nicht für Waffenprogramme genutzt werden.
Das ist ausgeschlossen. Die Internationale Atomenergiebehörde
kontrolliert die Anlage sehr streng. Jeder Schritt, jede Operation,
jeder nuklearer Brennstab ist unter Kontrolle." Auf die Besorgnisse
Washingtons gegenüber diesem Geschäft angesprochen,
betonte der Umweltpolitiker: "Die USA wollten nicht, dass Russland
das Kernkraftwerk in Iran baut. Schließlich ist es ein gutes
Geschäft. Sie würden gerne selbst diesen Auftrag
übernehmen. Diese Horrorszenarien sind Luftblasen. Es handelt
sich um einen normalen Konkurrenzkampf, der leider mit
äußerst schmutzigen Mitteln geführt wird."
Antipow zeigte sich überzeugt, dass eine Terrorgruppe keine
Atomwaffen einsetzen werde. "Der Zugang zu Nuklearwaffen ist derart
kompliziert, dass das selbst eine sehr starke Gruppe nicht schaffen
kann. Diese Waffen werden von verschiedenen, voneinander
unabhängigen Ebenen kontrolliert." Das sei bei allen
Atommächten der Fall. Die Gefahr eines Atomkrieges, wie sie
der russische Militärstratege Kokoschkin für dieses
Jahrhundert voraussagt, wollte Antipow nicht generell
ausschließen. "Solche Gefahr bewegt sich nicht auf der
Null-Ebene. Deshalb ist vor allem die internationale Politik
gefragt." Aschot Manutscharjan
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