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Gottfried Niedhart
Erzählte Geschichte
Ein Buch für sehr junge Leser
Deutsche Geschichte war immer Teil der
europäischen Geschichte, streckenweise auch der
Weltgeschichte. Dies ist eine von vielen Einsichten, die man beim
Lesen von Mais Buch gewinnt, mit dem der Autor "einen ersten
großen Überblick" geben will. Er versteht sich als
"Erzähler", geht an seinen Gegenstand aber nicht nur im Sinn
eines Berichts von Begebenheiten heran. Er will auch Strukturen
benennen, die sich in Form von politischer Herrschaft,
gesellschaftlicher Verhältnisse und Mentalitäten
niederschlagen. Die wirtschaftliche Entwicklung bleibt dagegen
merkwürdig blass.
Das Buch soll in erster Linie wohl
jüngere Leser erreichen, welchen Alters auch immer. Aber nicht
nur für sie ist es geschrieben, wie auf dem Buchdeckel zu
erfahren ist. Es handelt sich um eine erweiterte Neuausgabe, die
die 1999 erschienene Erstfassung um ein Register und um Themen
ergänzt, die in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in
den Vordergrund traten.
Nach der Maueröffnung am 9. November
1989 und dem "Fest, wie in Deutschland noch keines gefeiert worden
war", galt es, die Probleme des Vereinigungsprozesses (unter
anderem ökonomischer Wandel, Arbeitslosigkeit,
Fremdenfeindlichkeit) und die neuen internationalen
Herausforderungen zu bewältigen, vor denen der
wiederhergestellte Nationalstaat stand. "Nie wieder Krieg?" lautet
die Überschrift des letzten Kapitels, das die weltweiten
Einsätze der Bundeswehr verzeichnet.
Gut die Hälfte der Darstellung verwendet
der Autor auf die Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.
Er setzt mit einer Skizze zu den Anfängen in germanischer Zeit
ein und lässt im Hochmittelalter Deutschland "Gestalt
annehmen". Dass das Mittelalter keineswegs als "finster" eingestuft
werden kann, wird deutlich, wenn von seinen politischen,
wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen die Rede ist, die in
die Neuzeit weisen.
Wiederholt benennt Mai Weichenstellungen, die
ihm markant erscheinen. Eine davon ist der Bauernkrieg. "Zum
Schaden der deutschen Geschichte" müsse die Niederlage der
Bauern 1525 als einschneidender Vorgang im Kampf um Freiheitsrechte
und soziale Gerechtigkeit verstanden werden. "Was hätte nicht
alles anders werden können, wären die Bauern 1525
erfolgreich gewesen!" Unterschlagen wird dabei freilich, dass nicht
alle Forderungen der Bauern zukunftsgerichtet waren und einige
ihrer Vorstellungen mit den Tendenzen zu moderner Staatlichkeit und
Wirtschaft kollidierten.
In welcher Verfasstheit sich der moderne
Staat entwickelte, hing von regionalen und nationalen
Besonderheiten ab. In Deutschland erfolgte die politisch-rechtliche
Modernisierung überwiegend durch von Impulse von außen,
die nicht zuletzt aus Frankreich kamen, beginnend mit der
Französischen Revolution und Napoleon und sich fortsetzend mit
den Revolutionen von 1830 und 1848. Nicht der Typ des
kämpferischen Demokraten setzte sich in Deutschland durch,
sondern der "deutsche Michel", der als "Sinnbild des deutschen
Bürgers" in biedermeierlicher Provinzialität seine Nische
im Privaten suchte.
Der Säbelrassler
Den Sieg trugen im 19. Jahrhundert der
Obrigkeitsstaat davon und schließlich die Militärs, die
das 1871 gegründete Kaiserreich prägten und es mit dem
"Säbelrassler" Wilhelm II. an der Spitze in den Ersten
Weltkrieg führten. Zwischen Kaiserreich und
Nationalsozialismus wird die Weimarer Republik in Mais Darstellung
fast erdrückt. Die alte Legende wird wieder bemüht, der
Versailler Vertrag sei für die junge Republik "von
entscheidender Bedeutung" gewesen. Wichtiger war wohl die ebenfalls
erwähnte prinzipielle Ablehnung der ungeliebten Republik durch
weite Kreise der Bevölkerung, so dass gut ein Jahrzehnt
später "die große Mehrheit der Deutschen" die
NS-Herrschaft zunächst "nicht besonders bedrückend"
empfand.
Die letzten 40 Seiten behandeln mit einem
deutlichen Schwerpunkt auf der Bundesrepublik die Zeit nach 1945.
Erstaunlich wenig erfährt man über die Grundbedingung
beider Staaten, über ihre Einfügung in Allianzen und
Integrationsprozesse in Ost und West. Der Komplex Europa kommt erst
mit der Einführung des Euro in den Blick. Dadurch erfährt
das zentrale Thema der fortschreitenden Verwestlichung der
Bundesrepublik und schließlich ganz Deutschlands eine
verkürzte Darstellung.
Manfred Mai
Deutsche Geschichte.
Mit Bildern von Julian Jusim.
Beltz & Gelberg, Weinheim 2003; 185
S.,14,90 Euro
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