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Gerlind Schaidt
Die Angst der SPD vor dem Wähler
In Nordrhein-Westfalen hat der Wahlkampf schon
begonnen
In der jüngsten Düsseldorfer
Parlamentsdebatte gab es schon mal eine Kostprobe von dem, was
Nordrhein-Westfalen in den anstehenden Wahlkämpfen alles
blühen kann. Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Nerven liegen
blank. Wie überall in Deutschland laufen den Sozialdemokraten
auch in Nordrhein-Westfalen die Wähler in Scharen davon.
Gleichzeitig taktieren die landespolitischen SPD-Vorturner oft
ungeschickt und verprellen damit zusätzlich die eigene
Basis.
Auf der anderen Seite wittern die
Christdemokraten, durch konstante Umfrageergebnisse bestätigt,
nach 38 Jahren auf harten Oppositionsbänken erstmals die
reelle Chance, auf die komfortablen Regierungssessel
überwechseln zu können. Flankiert wird der Machtkampf
zwischen SPD und CDU von einem verwirrenden Wachstum der kleinen
Parteien. Die Grünen machen der SPD den Volksparteiencharakter
streitig. Die FDP lehrt die Union ungläubiges Staunen, weil
sie sich unerwartet stabil präsentiert und von der CDU
Wähler abfischt.
Bis zu den Kommunalwahlen am 26. September
2004 sind es - zieht man die Sommerpause ab - gerade noch acht
Wochen, bis zur Landtagswahl am
22. Mai 2005 noch gut 300 Tage oder zehn
Monate. Für die vier Fraktionen im NRW-Landtag war das Anlass
genug, die vom Ministerpräsidenten angekündigte
Regierungserklärung über Energiepolitik zum Auftakt
für den Wahlkampf zu nutzen.
Ministerpräsident Peer Steinbrück
(SPD) machte den Anfang. Er hielt der Union vor, in der
Energiepolitik konzeptionslos zu sein. SPD-Fraktionschef Edgar
Moron machte die Zielrichtung des Wahlkampfes klar: "Wir werden
Ihnen die Tour vermasseln." Gleichzeitig attackierte er die
angebliche Beliebigkeit der Union: "Den Kurs bei Ihnen, Herr
Rüttgers, bestimmt nicht das Ruder. Ihren Kurs bestimmt der
Wind, egal, woher er auch gerade weht." Die Oppositionspolitik der
Union sei "oberflächlich-populistisch" und zeige
"politisch-charakterliche Defizite". Das mache Rüttgers
"ungeeignet für das Amt des
Ministerpräsidenten".
Gleichfalls wenig zimperlich prangerte
CDU-Fraktionschef Jürgen Rüttgers bei Steinbrück
"Realitätsverweigerung" an. Unter dem Gelächter der
Opposition hatte er zuvor herausgestellt, dass der
SPD-Regierungschef ausgerechnet am Jahrestag, an dem das so
genannte "Düsseldorfer Signal" den von Steinbrück selber
angezettelten rot-grünen Koalitionskrach formal beendet hatte,
mit einer Regierungserklärung im Parlament aufwarte. Doch es
sei nicht gelungen, die verbrauchte rot-grüne Koalition wieder
zu beleben. Daher gebe es nichts zu feiern. Es gebe keine Erfolge,
wetterte Rüttgers. Der Christdemokrat: "Die SPD ist bei der
Europawahl abgestürzt wie noch nie in ihrer 140-jährigen
Geschichte. Nirgends gibt es Hoffnung. Auch nicht für die
Kommunalwahl im September."
Damit mag der Unionspolitiker nicht Unrecht
haben. Denn die Umrechnung der Ergebnisse der Europawahl vom 13.
Juni 2004 auf Nordrhein-Westfalen lässt für die SPD das
Schlimmste befürchten. Danach haben die Christdemokraten gute
Chancen, ihren Wahlsieg bei den NRW-Kommunalwahlen von 1999 zu
wiederholen und damit ihre Macht im Land zu stabilisieren. Die
Zahlen belegen eindeutig, dass das bundesweite Dauertief der SPD
sich in NRW auch bei der Europawahl fortgesetzt hat. Mit 25,7
Prozent fuhr die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der
Landesgeschichte ein. Sogar in den traditionellen SPD-Hochburgen
Essen und Dortmund schnitt die Union besser ab als die Genossen.
Auch in den ehemaligen Arbeiterhochburgen Recklinghausen, Herten
und Bottrop behauptete sich die CDU. Noch vernichtender waren
Ergebnisse aus Münster, Aachen und Bonn. Dort sank die SPD zur
drittstärksten Kraft hinter CDU und Grünen. Für die
SPD ist das um so niederschmetternder, als sie die Europawahl als
große Mobilisierungsaktion für die Kommunalwahlen
angekündigt hatte.
Allerdings kann auch die CDU nicht so richtig
zufrieden sein. Zwar erreichte sie stolz klingende 44,9 Prozent.
Doch das sind 2,4 Prozentpunkte weniger als bei der Europawahl
1999. In absoluten Zahlen macht das 280.000 Stimmen Verlust. Damit
liegen sie im Bundesschnitt, hinter Bayern und
Baden-Württemberg. Nur für die FDP und die Grünen
war die Europawahl zum Jubeln. Die Freien Demokraten konnten ihren
Stimmenanteil von 3,5 auf 7,5 Prozent mehr als verdoppeln. Die
Grünen verbesserten sich landesweit um 5,5 Prozentpunkte und
kamen auf 12,6 Prozent.
Die nüchternen Zahlen geben allen
Fraktionen im NRW-Landtag zu denken. Am heftigsten ist dieser
Prozess bei der SPD. Unumwunden sprach Regierungschef
Steinbrück von einem "grottenschlechten Ergebnis".
Gleichzeitig verunsicherte er seine Parteifreunde mit der
Ankündigung, dass er bei einer Wahlniederlage im kommenden
Jahr aus der Politik ausscheiden wolle. Immerhin scheint klar, dass
Steinbrück sich entschlossen hat, mit aller Kraft um den
Erhalt seiner Regierungsmacht zu kämpfen. Bangemachen gilt
nicht, hat er als Parole ausgegeben. Er möchte die verloren
gegangenen Stammwähler aus dem "Wartesaal der
Nichtwähler" zurückholen. Das will er mit einen
personenbezogenen Landtagswahlkampf gegen Rüttgers erreichen.
"Er oder ich", heißt sein Motto. Das ist taktisch nicht
schlecht gedacht, weil von der Landes-SPD augenblicklich nicht viel
zu erwarten ist. Dagegen sprechen allerdings ganz frische
Umfrageergebnisse aus Köln, wonach die Wähler sich
letztlich nicht für Personen, sondern für Parteien
entscheiden.
Dennoch hofft die SPD für die
Kommunalwahlen auf eine gute Parteiarbeit an der Basis.
Fraktionschef Moron macht sich und seinen Parteifreunden Mut: "Wir
müssen den Wählern klar machen, dass wir aus der Schlappe
bei den letzten Kommunalwahlen gelernt und Konsequenzen gezogen
haben." Die SPD sei heute in den Kommunen personell und
programmatisch besser aufgestellt als 1999. Jetzt müssten die
Kandidaten den direkten Kontakt zu den Bürgern suchen und ihn
überzeugen. Außerdem dürfe es keinen Gegenwind aus
Berlin geben. Wahlforscher halten es allerdings für
unwahrscheinlich, dass der Abwärtstrend der SPD so rasch zu
stoppen ist. "Wenn nichts Außergewöhnliches passiert,
dürfte es der SPD kaum gelingen, in den kommenden Monaten die
Stammwähler zurück zu gewinnen", meint der Bochumer
Politikwissenschaftler Uwe Andersen.
Bei den Grünen haben die Wahlerfolge
zwiespältige Gefühle ausgelöst. Ihre Freude
über den beachtlichen Stimmezuwachs hält sich in Grenzen.
Denn sie müssen fürchten, dass ihnen auf längere
Sicht ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner abhanden kommt.
Schon jetzt würde es in vielen Orten nicht mehr zu einer
rot-grünen Mehrheit reichen. "Kein Grund zur
Überheblichkeit" mahnt denn auch die Parteivorsitzende Britta
Hasselmann und schiebt vorsorglich nach: "An unserer Politik
ändert sich nichts." Die grüne Fraktionschefin im
Düsseldorfer Landtag, Slyvia Löhrmann, führt die
Erfolge auf den sachpolitisch und inhaltlich orientiert
geführten Wahlkampf zurück. Sie ist überzeugt: "Wir
haben unsere Wählerschaft auf die notwenigen Reformen offenbar
richtig vorbereitet." Diese Richtung soll beibehalten
werden.
In der CDU hat das Europa-Wahlergebnis
selbstkritische Überlegungen ausgelöst. Zwar wollen sich
die Christdemokraten ihre bisherigen schönen Erfolge nicht
madig machen lassen und sind nach wie vor von ihrem Sieg
überzeugt. Allerdings warnt CDU-Fraktions- und Parteichef
Rüttgers vor Euphorie. Das Europa-Wahlergebnis mit 44,9
Prozent sei zwar eine Steilvorlage für die nächsten
Wahlen, aber, so Rüttgers: "Jede Vorlage muss auch verwandelt
werden." Da sieht er noch Handlungsbedarf. Immerhin seien
Wähler zur FDP und zu den Grünen abgewandert. Deshalb
müssten vor allem die Großstädter deutlicher von der
Union angesprochen werden. Michael Breuer, Landtagsabgeordneter und
CDU-Bezirkschef Mittelrhein, nennt die Defizite beim Namen. Zu
viele Kommunalpolitiker seien von den Erfolgen regelrecht
eingelullt worden. Es habe sich eine Bequemlichkeit breit gemacht.
Breuer: "Viele Kommunalpolitiker haben den Wahlkampf im Liegestuhl
verbracht."
In jedem Fall hat Rüttgers alle
Gedankenspiele über Schwarz-Grün auf Landesebene erst
einmal zu den Akten gelegt. "Die Option Schwarz-Grün wird es
nicht geben, so schnell kommt das weder in Düsseldorf noch in
Berlin", sagt er. Mittlerweile ist in der Landes-CDU der Eindruck
gewachsen, dass sich die Grünen weniger zu einem
möglichen künftigen Partner entwickeln, sondern zu einem
ernsthaften Konkurrenten mausern werden. Deshalb setzt die Union
fest auf die FDP als künftigen Koalitionspartner in
Düsseldorf. Rüttgers: "Es läuft auf eine
CDU-FDP-Koalition hinaus und das wird auch vorher klar
sein."
Das stößt bei der FDP auf breite
Zustimmung. Ihr Landeschef Andreas Pinkwart bestätigt: "Die
Menschen in NRW wollen einen Politikwechsel." Die gut positionierte
FDP steht als Koalitionspartner für die CDU bereit. Die
Wähler haben nach den aufregenden Jahren mit Jürgen W.
Möllemann die Rückkehr der Partei zur Normalität
honoriert. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der
Freien Demokraten im Düsseldorfer Landtag, Marianne
Thomann-Stahl, betont zwar, dass ihre Partei das gute Wahlergebnis
einem Themen bezogenen Wahlkampf verdanke. Wahlforscher haben aber
eher eine Protestwahl gegen die großen Parteien und eine
Rückkehr des alten FDP-Potenzials zur parteipolitischen Heimat
ausgemacht.
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