Christian Hauck
Amtierende Legende versus Stimmungskanone
Schleswig-Holstein: Das Duell zwischen zwei
populären Spitzenkandidaten im Landtagswahlkampf verspricht
Spannung - und Unterhaltung
Nur auf den ersten Blick ist es wie in jedem Jahr. Unmittelbar
nach dem Ende der Kieler Woche ist zwar Ruhe eingezogen im frisch
renovierten Landeshaus an der Förde, dem Sitz von Parlament
und Staatskanzlei in Schleswig-Holstein. Doch es knistert
überall. Im zweiten Stock, auf dem Flur der CDU-Fraktion,
herrscht unter den Daheimgebliebenen fröhliche Stimmung: "Die
Beamten grüßen uns schon wieder." Und beim Glas Wein in
einer der Strandbars im Kieler Vorort Strande macht sich zu
abendlicher Stunde auch schon mal ein leitender Beamter aus der
Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD)
Luft: "Im Februar ist hier doch alles vorbei." Und
tatsächlich: Acht Monate vor der Landtagswahl stehen nach 16
Jahren sozialdemokratischer Regierung im nördlichsten
Bundesland die Signale auf Wechsel. Und dem Urnengang im Norden
kommt diese Mal eine besondere Bedeutung zu: In Kiel steht eine
rot-grüne Regierung nur drei Monate vor der
möglicherweise alles entscheidenden Wahl in
Nordrhein-Westfalen auf dem Prüfstand.
Auf Wechsel standen die Signale zwischen Nord- und Ostsee
bereits vor fünf Jahren. Damals war Ex-Verteidigungsminister
Volker Rühe für die CDU angetreten, um Heide Simonis
abzulösen, als ihm in letzter Minute die Spendenaffäre
den sicher geglaubten Sieg verhagelte und der rot-grünen
Koalition fünf weitere Regierungsjahre bescherte.
Nach dem Import Rühe versucht es die CDU jetzt mit einem
Eigengewächs, ihrem Landesvorsitzenden Peter Harry Carstensen.
Seit 21 Jahren vertritt der
56-jährige Agrarfachmann seine nordfriesische Heimat im
Bundestag. Carstensens Pfund sind Volkstümlichkeit und
Mutterwitz. Ob Seniorenveranstaltung im Kurhaus oder beim Anschnitt
des Ochsen auf einem Dorffest - nach nur wenigen Minuten hat der
Zwei-Meter-Hüne jede Veranstaltung im Griff, bringt mit
einfachen Formeln den Saal zum Johlen. Dabei bereitet Carstensens
offene, bisweilen auch unbedarfte Art den Strategen in der
Parteizentrale inzwischen schon Kopfzerbrechen. Als der verwitwete
Spitzenkandidat kürzlich der "Bild"-Zeitung in einer
Home-Story seine private Einsamkeit offenbarte, entglitt die
Angelegenheit, wurde zur mehrtägigen öffentlichen
Brautschau und geriet zu einem Ärgernis für viele
Parteifreunde.
Einzelne Sozialdemokraten dagegen frohlockten, dass solche
Fehler des CDU-Spitzenmannes das Schicksal noch zu Gunsten von
Heide Simonis wenden könnten. Bei Anhängern wie Gegnern
unbestritten ist nämlich die Popularität der
Regierungschefin, die gemeinsam mit ihrer Landespartei alles
unternimmt, um sich vom Negativtrend der Bundes-SPD abzusetzen und
sich in der laufenden Reformdiskussion mit einem eigenen Profil als
"soziales Gewissen" zu positionieren. Ergänzt wird dies durch
finanzpolitische Vorstöße, die Simonis immer wieder auf
Gegenkurs zum Bundeskanzler bringen. Jüngstes Beispiel ist ein
Konzept für eine Steuerreform "Made in Kiel", das unter
anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Neuordnung
der Erbschaftssteuer vorsieht.
Trotz manch programmatischer Duftmarken ist aber absehbar, dass
der Wahlkampf nicht von Themen, sondern durch zwei
Spitzenkandidaten "zum Anfassen" dominiert wird. Hier
Ministerpräsidentin Heide Simonis, als erste Regierungschefin
Deutschlands schon zu Amtszeiten eine Legende; dort der stets
fröhliche Carstensen, der alles besser machen will.
Vieles deutet heute darauf hin, dass er mit diesem Versprechen
im Februar 2005 beim Wähler ankommen wird. Unter den
westlichen Bundesländern ist Schleswig-Holstein von der
miserable Wirtschaftslage besonders heftig gebeutelt.
Massenentlassungen in vielen Betrieben und eine durch leere Kassen
zur Hilflosigkeit verdammte Politik kennzeichnen die Situation und
bieten der Opposition Angriffsflächen.
Die Hoffungslosigkeit der Menschen in der überall
spürbaren Wirtschaftsflaute lässt die Aktivitäten
der Regierung zunehmend hektischer erscheinen. "Zukunft Meer"
heißt ein Anfang des Jahres lanciertes Projekt, das die
Bedeutung der Meerestechnologie für Schleswig-Holstein
hervorheben soll. Bezeichnend ist auch eine kürzlich vom
sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Bernd Rohwer gestartete
Imagekampagne, die mit dem Schlagwort "Frischköppe" für
den Wirtschaftsstandort Schleswig-Holstein wirbt. Unter der
Überschrift "Glanz, Gloria und heiße Luft" kommentierte
das "Flensburger Tageblatt", dass das Problem des nördlichsten
Bundeslandes nicht fehlende Beispiele für Innovationskraft und
Attraktivität, sondern "ein nicht mehr stimmiges Gesamtbild
ist".
Kleine Parteien fest verwurzelt
FDP und Grüne haben ihre festen Plätze im
Machtgefüge an der Kieler Förde. Die Liberalen sind
traditionell stark in Schleswig-Holstein. Nach den Prognosen ist
ihnen der Wiedereinzug in den Landtag sicher. Insgeheim
fürchtet die FDP jedoch, für den Regierungswechsel nicht
gebraucht zu werden. Folgerichtig betont Spitzenkandidat Wolfgang
Kubicki dann auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die
konservative Union unbedingt ein liberales Korrektiv bedarf und
liefert gleich einen entsprechenden Forderungskatalog für
künftige Koalitionsverhandlungen mit ab.
Bezeichnend für die Gemütsverfassung der Grünen
war der Abend der Europawahl. Mit gedämpfter Stimmung
verfolgten die beiden Grünen-Minister Anne Lütkes
(Justiz) und Klaus Müller (Umwelt) im Büro der
Fraktions-Pressesprecherin die Hochrechnungen. Freude kam nicht
auf. Zwar stellen sich die Grünen in Schleswig-Holstein auf
deutliche Zugewinne ein, sehen ihre Regierungsmacht an der Seite
der SPD aber schwinden. Auch wenn im Rathaus der Landeshauptstadt
seit einem Jahr erfolgreich eine schwarz-grüne Koalition
regiert, ist das Modell auf Landesebene keine Thema - zumindest
offiziell. Und offiziell (noch) kein Thema ist auch die Frage, wie
sich der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) bei einem
komplexen Wahlergebnis verhalten wird. Als Partei der
dänischen Minderheit ist der SSW von der
Fünf-Prozent-Hürde befreit und profitiert bei niedriger
Wahlbeteiligung. Unvergessen ist bis heute die Wahlnacht 1979, als
der Fortbestand der Regierung Stoltenberg bis in die frühen
Morgenstunden vom Abschneiden des SSW abhing und bereits Telefonate
zwischen Kiel, Bonn und Kopenhagen geführt wurden. Christian
Hauck
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