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Alva Gehrmann
"Ich sehe euch gleich im Schlafzimmer"
Die Musiksender setzen immer mehr auf das
Luxus-Leben von Stars und schaffen damit einen neuen
Markt
"Ein Popstar mit Selbstachtung wäre
verrückt, wenn er keinen Aufzug in seinem Haus hätte",
sagt Robbie Williams, und grinst in die Kamera, bevor die
Aufzugtür zu geht. "Ich sehe euch gleich im Schlafzimmer."
Für die Show "MTV Cribs" öffnen Weltstars ihr privates
Reich. Robbie Williams hat in seiner Villa sechs Schlafzimmer und
neun Bäder. Er zeigt, welche Saucen und Leckereien er im
Kühlschrank hat und führt durch seinen riesigen Garten,
in dem sich natürlich auch ein großer Pool befindet. Und
in der Nachbarschaft wohnt Sylvester Stallone. So lebt man in Los
Angeles, California.
Im Vergleich zu manch anderem gigantischen
Anwesen ist das Reich des Briten Robbie Williams noch bescheiden.
US-Star Christina Aguilera zum Beispiel hat in ihrem Hollywood-Haus
im Wohnzimmer einen Wasserfall und ein Heimkino für 50
Personen. Für Korsett und Höschen gibt sie 350 Dollar
aus. Das alles erfährt der Zuschauer in der Viva-Show "It's
good to be …". In der Sendung wird das glamouröse und
verschwenderische Leben der Promis zelebriert. Geben die Stars
diese Informationen nicht freiwillig heraus, werden eben der
Architekt oder die Dessous-Boutique-Besitzerin befragt,
Klatschreporter kommentieren in der Show den Lebensstil. Noch nie
wussten Fans so viel über ihre Stars wie heute.
Dadurch ist der Einfluss auf die
Identitätsbildung von Jugendlichen gestiegen, sagt Uwe Sander,
Medienpädagoge und Jugendforscher an der Universität
Bielefeld. "Früher orientierten sich Jugendliche meist an
einer Person aus der Familie oder dem sozialen Nahraum. Heute gibt
es eher Patchwork-Identitäten." Jugendliche können sich
bei verschiedenen Vorbildern das heraussuchen, was ihnen
gefällt: Der Berufswunsch eines Bekannten, der Sprachstil
eines Freundes, ein paar eigene Vorstellungen und das Aussehen von
Pop-Sängerin Britney Spears oder Rapper Eminem. Eltern sind
als Vorbilder weniger prägend als früher.
Wohin der Starkult führen kann, zeigt
die Doku-Reihe "I Want A Famous Face", die seit 4. Juli bei MTV
läuft: Hier werden junge Menschen begleitet, die sich
Schönheitsoperationen unterziehen, etwa die
Zwillingsbrüder Matt und Mike, die beide wie Brad Pitt
aussehen wollen. So hoffen sie, leichter eine Freundin zu finden.
Ganz nebenbei wollen sie noch Schauspieler werden. Die
TV-Dokumentation begleitet die 21-jährigen Brüder aus
Arizona vor, während und nach ihrer Verwandlung. Zu sehen sind
auch blutige OP-Bilder: der Schönheitschirurg stochert an der
Nase herum; den Zwillingen werden Implantate in die Wangen und ins
Kinn eingesetzt. Danach sieht der Zuschauer ihre aufgequollenen
Gesichter. Obwohl der eine noch halb narkotisiert ist, nuschelt er
erwartungsvoll: "Ob ich wie Brad Pitt aussehe?"
Nachdem die Wunden verheilt sind und sie ein
neues Styling bekommen haben, präsentieren sich die Zwillinge
auf einer Party. "Die Jungs sehen jetzt schon gut aus", sagt
Monika, für die Mike schwärmt. Doch auch nach der OP hat
er keine Chance bei ihr. "Brad Pitt ist eben Brad Pitt." Und sie
fügt hinzu: "Nur, weil er sein Äußeres ändert,
verändern sich nicht meine Gefühle." Wirklich gelohnt hat
sich die OP also nicht, bleibt nur noch die Hoffnung, berühmt
zu werden.
Die MTV-Dokumentation beleuchtet das Thema
Schönheits-OP durchaus kritisch und betont auch, dass ihre
Protagonisten den Weg, unabhängig von der Sendung ohne
finanzielle Unterstützung durch MTV gewählt haben.
Zwischendrin wird noch Chris gezeigt, bei dem eine Nasenoperation
schief gelaufen ist. Dennoch: Am Ende bedient "MTV I Want A Famous
Face" den Voyeurismus der Zuschauer.
"Es erschließt sich mir nicht, warum man
eine Schönheits-OP machen sollte: die Jungs leiden richtig,
denen geht es dreckig", sagt Anke Greifeneder, Head of Program
Planing bei MTV Deutschland. Sie wählt vorab die US-Shows aus,
die für das deutsche Programm in Frage kommen. "Wir greifen
Themen auf, die für Jugendliche wichtig sind.
Schönheits-OPs sind in der Zielgruppe durchaus ein Thema, in
den USA natürlich mehr als bei uns." Doch Deutschland holt
nach, was in den USA bereits als normal gilt: Laut der Deutschen
Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie
(DGÄPC) sind mittlerweile ein Viertel aller
"Schönheits-Patientinnen" 15 bis 25 Jahre alt. Für
Medienpädagoge Uwe Sander ist das eine Folge "unserer
Gesellschaft, in der der erste Eindruck zählt". Dass Aussehen
immer wichtiger wird, hat auch Axel Dammler,
Kommunikationswissenschaftler und Jugendmarktforscher von der
Agentur Iconkids & Youth, herausgefunden. Für Bauer Media
hat das Forschungsteam die Studie "Bravo Faktor Jugend"
durchgeführt. Mehr als 70 Prozent der Befragten (zwischen 12
und 18 Jahren) gehen inzwischen davon aus, dass Aussehen wichtiger
ist als Charakter. Welches Styling und welche Musik "in" sind,
sehen die Jugendlichen als erstes im Musikfernsehen. "Viva ist
Trendfernsehen", sagt Programmdirektor Kauertz. Der deutsche Sender
begann 1993 mit folgendem Satz von Heike Makatsch, der auch heute
noch gilt: "Wir sind euer Sprachrohr und euer Freund. Ab jetzt
bleiben wir immer zusammen." Und so lernen sie von ihren
TV-Freunden, wie man zu sein hat - durch die Moderatoren und vor
allem durch die Popstars. Ähnlich wie die Jugendlichen selbst
müssen auch die Stars ihre eigene Identität erst finden.
Wenn sie im Business starten, wird eine öffentliche Person
kreiert, die nicht nur gut auszusehen hat, sondern auch ein Image
bedienen muss. "Als Star verlierst du deine Identität", sagte
der kürzlich verstorbene Schauspieler Marlon
Brando.
In der "MTV Cribs"-Wohnungstour irgendwann im
Badezimmer angekommen, bleibt Sänger Robbie Williams vor
seinem Garderobenspiegel stehen und redet mit seinem Spiegelbild:
"Lieben mich die Fans? Hören sie meine Liedtexte? Sehen sie
wirklich mich oder nur die Fassade?" Er macht Witze darüber,
liebt es, sarkastisch zu sein, und trotzdem weiß der gut
informierte MTV- und Viva-Zuschauer, dass der Musiker immer wieder
gesteht, sich einsam zu fühlen. Lange Zeit hatte er
Drogenprobleme.
Absurdes Leben der Promis
Drogen, Zickereien, Exzesse - wenn sie an die
Öffentlichkeit kommen, zeigt sich, wie absurd das Promi-Leben
sein kann. Und so verwundert es nicht, dass es auch dafür bei
Viva eine eigene Show gibt: "101 Most Shocking Moments in
Entertainment". Zu den schockierendsten Momenten zählen
misslungene Promi-Frisuren ebenso wie Michael Jackson, der in
Berlin sein Baby aus dem Hotelfenster baumeln lässt. Alles -
und sei es noch so schockierend - ist Unterhaltung.
Bislang handelt es sich bei allen
Celebrity-Formaten um US-Shows, die lediglich mit Untertiteln ins
deutsche Programm gebracht werden. "Ein deutsches ‚Cribs'
würde nicht funktionieren", sagt MTV-Programmplanerin Anke
Greifeneder. "Die deutschen Stars lassen sich einfach nicht in die
Häuser schauen. Und die Sternchen, die es vielleicht machen
würden, wollen wir nicht." Einzige Ausnahme sind bisweilen
Millionärinnen, wie Mutter und Tochter Ohoven. Während
die Mutter ihr Image als Charitylady pflegt, gibt sich Tochter
Chiara besonders extrovertiert in ihrer Neigung zum Glamour: Ihr
Hund heißt Gucci, ihr Lebensstil sind High-Heels. Zu der
Veränderung ihrer Lippen, die nun an einen Schmollmund
erinnern, erklärt sie vor laufender Kamera, dass es vielleicht
an der Haartönung liege. Da komme alles ein bisschen mehr zur
Geltung. Aber die Damen Ohoven sind in Deutschland Ausnahmen. Echte
Stars dosieren - so wie die Sportler Oliver Kahn und Boris Becker:
Bei ihnen gehört ein bisschen Glanz dazu. Manchmal.
"Anders als die Amerikaner haben wir
Deutschen ein zwiespältiges Verhältnis zu Luxus", sagt
Kommunikationswissenschaftler Axel Dammler. "Wer über Reichtum
verfügt, muss sich rechtfertigen, woher er das Geld hat." Ein
deutscher Promi hat bescheiden zu sein. Deutsche Showstars betonen
gerne, dass sie dank ihrer Familie auf dem Boden geblieben sind. So
kann sich jeder Fan mit ihnen identifizieren.
Genau mit diesem Image spielt eine andere
Viva-Show: "Deutschland gilt gemeinhin als Land der Neider",
heißt es in der Werbung, und die Macher titeln entsprechend
konfrontativ: "Nie war Sozialneid unterhaltsamer." Dass die
Jugendlichen ernsthaft neidisch sind, glaubt Stefan Kauertz,
Programmdirektor von Viva, aber nicht. "Der Unterhaltungsaspekt
steht ganz klar im Vordergrund." Schließlich ginge es um
Superstars, die mit der alltäglichen Welt der Zuschauer nichts
gemein hätten. Auch Medienpädagoge und Jugendforscher Uwe
Sander, glaubt, dass Stars wie Christina Aguilera für die
Jugendlichen eher Fabelwesen sind. "Irgendwann sind die Millionen
nicht mehr fassbar", sagt der Professor von der Universität
Bielefeld. "Der Neidfaktor setzt eher ein, wenn der Nachbar gut
aussieht, oder der Bekannte eine Lehrstelle bekommt, man selbst
aber arbeitslos ist." Doch wer gibt schon gerne zu, dass er
neidisch ist?
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