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Oliver Heilwagen
Gottesruhm und Zarenpracht
Der Kreml und sein absoluter Anspruch an
Macht
Russland ist der Kreml, und der Kreml ist Russland. In keinem
anderen Land Europas ist die gesamte Macht auf so engem Raum
konzentriert worden wie im Zarenreich. Und so abgeschottet von der
übrigen Gesellschaft: Unnahbar und abweisend erheben sich
seine roten Mauern in Moskaus Stadtmitte. Kein Neugieriger soll
sehen, was im Inneren der Trutzburg vor sich geht. Das gilt bis
heute: Wer als Tourist den Kreml besichtigen will, muss auf genau
vorgezeichneten Wegen bleiben. Beim kleinsten Schritt zur Seite
wird er sofort von Milizionären zurückgepfiffen.
Einen Einblick in die Geschichte des 850 Jahre alten
Machtzentrums gewährt eine große Ausstellung, "Der Kreml.
Gottesruhm und Zarenpracht", die bis Mitte September im Berliner
Martin-Gropius-Bau gezeigt wird. Im Untertitel heißt die Schau
"Gottesruhm und Zarenpracht". Damit sind ihre beiden Pole
präzise benannt: Das Erste hatte Letzterem zu dienen. Der Bau
von Kirchen und Klöstern im Kreml, ihr Sammeln zahlreicher
Reliquien und ihre verschwenderische Ausstattung mit
Kunstschätzen verfolgte nur einen Zweck: Den absoluten
Machtanspruch des Alleinherrschers zu begründen. Gezeigt
werden rund 260 Werke, unter anderem Schmuck, Kleidung,
Rüstungen, Waffen, Bücher und historische Karten.
Etwa 100 der erlesenen Exponate haben Moskau noch nie verlassen
und wurden allein aus Anlass der Deutsch-Russischen
Kulturbegegnungen 2003/4 an die Bundesrepublik ausgeliehen. Schon
die historischen Stadtpläne am Eingang verdeutlichen, dass der
Kreml stets den Mittelpunkt der Hauptstadt bildete. Sie wurde in
konzentrischen Kreisen um ihn herum angelegt; alle Achsen
führen auf ihn zu. Ab dem 15. Jahrhundert heuerten die Zaren
italienische Baumeister an. Sie errichteten Paläste und
Kathedralen, die mit ihren goldenen Kuppeln dem Kreml seine
berühmte Silhouette verliehen.
Bis Ende des 17. Jahrhunderts arbeiteten Hunderte von Malern und
Goldschmieden in den Werkstätten des Kremls. Sie belieferten
den Monarchen und den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche,
der hier ebenfalls residierte, mit einzigartigen Kleinodien.
Präsentiert werden kostbare lithurgische Geräte,
ausgeführt in aufwändiger Niello-Technik: Die
geschwärzte Gravur hebt sich fein ziseliert vom massiven
Goldgrund ab. Von der Hof- und Kirchenkunst, die zur gleichen Zeit
in Westeuropa entstand, unterschieden sich diese Werke aber radikal
in ihren Produktionsbedingungen, wie der vorzügliche Katalog
dokumentiert. Die Künstler, die sie schufen, waren an den
Kreml gebunden und durften ihre Auftraggeber nicht wechseln.
Unabhängige Kunstzentren oder -schulen mit eigenem
Gestaltungsspielraum gab es nicht: Das vorgegebene Bildprogramm war
absolut verbindlich. In diesen Gedankenkosmos der russischen
Orthodoxie wird der Besucher ebenfalls eingeführt: Jeder
Mensch hatte seinen festgelegten Platz in einer unverrückbaren
Hierarchie. Die räumliche Einheit von geistlicher und
weltlicher Macht endete erst 1712, als Peter der Große die
Hauptstadt nach Sankt Petersburg verlegte.
Danach kehrten die Zaren nur noch zur Krönung in den Kreml
zurück. Der Pomp dieses Rituals wird ebenfalls
ausführlich dargestellt: Zuvor wurde die Anlage monatelang
renoviert und allein für diesen Anlass der gesamte Hof
komplett neu ausgestattet. Denn im Bewusstsein der Russen blieb der
Kreml das Herz des Landes. Das belegt etwa ein mit Juwelen
geschmücktes Osterei, das die Firma Fabergé in Petersburg
für den letzten Zaren Nikolaus II. herstellte, der solche
Objekte sammelte: Es ist auf ein Modell des Gebäudeensembles
montiert und enthält eine Spieldose, die ein Kirchenlied
wiedergibt. Dieses Prestige des Kremls nutzten die Bolschewiki aus,
als sie 1918 die Hauptstadt zurück nach Moskau verlegten, um
ihrer Macht mehr Legitimität zu verleihen.
Natürlich sind die mit Edelsteinen besetzten
Reichs-insignien und reich bestickten Gewänder vor allem ein
Augenschmaus: So viele prachtvolle Unikate wie in dieser
Ausstellung sieht man selten. Doch sie vermitteln auch eine
zeitlose Wahrheit über Russland. Wenn Präsident Wladimir
Putin an Nationalfeiertagen erst eine Militärparade abnimmt
und dann einer Messe im Kreml beiwohnt, obwohl ihm dies die
Verfassung wegen des Prinzips der religiösen Neutralität
des Staates eigentlich verbietet, knüpft er nahtlos an
zaristische Traditionen an. Oliver Heilwagen
Der Kreml. Gottesruhm und Zarenpracht:
bis 13. September, Katalog 29 Euro.
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