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Bernd Jürgen Wendt
Eine Rehabilitation der Kronen
Gute Übersichten zu deutschen und
europäischen Fürstenhäusern
Europäische Fürstenhäuser haben
in unserer republikanischen Tristesse offenbar einen hohen
kompensatorischen Unterhaltungswert. Blaublütiger Klatsch und
Tratsch lassen die Einschaltquoten und die Auflagen der
"Regenbogenpresse" in die Höhe schnellen. Die hier
vorgestellten Bücher bedienen das Interesse auf sehr
unterschiedliche Weise.
In dem schon älteren Sammelband von
Schindling und Ziegler porträtieren namhafte Historiker unter
Berücksichtigung des damals neuesten Forschungsstandes auch
für den Nichthistoriker anschaulich die neuzeitlichen
Kaisergestalten des Heiligen Römischen Reiches deutscher
Nation von Karl V. (1519-1556) bis zu seinem Ende 1806 und dann die
der Nachfolgestaaten, Österreichs und des Deutschen Reiches,
bis 1918. In ihrer informativen Einleitung "Das deutsche Kaisertum
in der Neuzeit. Gedanken zu Wesen und Wandlungen" formulieren sie
Leitperspektiven und -fragen, deren Berücksichtigung durch die
Autoren dem Band eine gewisse Geschlossenheit verleihen.
Die jeweils konkrete Ausübung der
zentralen kaiserlichen Exekutivgewalt durch ihre Inhaber als
Reichsoberhäupter, deren Programmatik, Denken und Handeln
vermitteln jenseits der individuellen Charakterbilder wesentliche
Einblicke in das Funktionieren und die inneren Mechanismen der
Verfassung des "Alten Reiches". Im Einzelnen untersucht werden etwa
die hergebrachten institutionellen Einrichtungen wie die Reichstage
und ihre Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse der Moderne,
Kooperation und Konfrontation des Kaisers mit den
Reichsständen und allmähliche Durchsetzung des
Territorialstaatsprinzips, die Selbstdarstellung der Monarchen im
höfischen Zeremoniell und der "Hof als Seele des
Fürstenstaates" (K .Repken) mit seiner Vorbild- und
Leitfunktion für Kunst und Kultur, kaiserliche Außen- und
Europapolitik, die Verfolgung habsburgisch-dynastischer Interessen
mit den Mitteln kaiserlicher Macht und "die Spannung zwischen
Österreich "als der deutschen Kaisermacht und dem deutschen
Reich" als "eines der tragenden Element für die
Aufrechterhaltung des neuzeitlichen deutschen Reichssystems"
(Schindling/Ziegler).
Skepsis gegenüber der
Friedensfähigkeit des modernen Nationalstaates und dem Erbe
der kleindeutsch-borussischen Historiographie hat die
Geschichtswissenschaft längst die Bedeutung des "Alten
Reiches" und seines Kaisertums mit fortwirkender Kraft bis ins
20.Jahrhundert wiederentdecken lassen, und zwar nicht negativ als
Inbegriff fortschreitender Erstarrung, Immobilität und
Zerrissenheit, sondern positiv als einen "defensiven Rechtsverband,
dessen eigentlicher Sinn darin bestand, das friedliche
Zusammenleben überaus vielfältiger sozialer und
politischer Gebilde, mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen von
ihrer Herkunft und ihrer Zukunft, vor der Einwirkung unrechter
Gewalt zu schützen" (Repken).
Die Autoren lassen "die die konfessionellen
Trennlinien im Reich übersteigende und den Zusammenhang des
Reiches symbolisierende Funktion des Kaisertums" (Schindling),
seine integrierende Kraft in der Zeit der Glaubenskämpfe als
Symbol nationaler Zusammengehörigkeit deutlich werden.
Besondere Aufmerksamkeit mit Blick auf das 20.Jahrhundert verdienen
die Hohenzollernportraits von Wilhelm I. (H. Seier), Friedrich III.
(H. Seier) und Wilhelm II. (J. Röhl). Zwar blieb Wilhelm I.
zeitlebens in kritischer Distanz zum Reichseinigungswerk Bismarcks
und achtete nach Aussage Friedrich Naumanns stets darauf, an erster
Stelle preußischer König und nur "im Nebenamte deutscher
Kaiser" zu sein , dennoch wuchs er in die Rolle einer
populären, achtungsgebietenden, das Zusammenwachsen der
Deutschen und die Entstehung eines Reichspatriotismus
fördernden Integrationsfigur an der Spitze des Reiches
hinein.
Mit dem frühen Krebstod Friedrichs III.
verbindet sich bis heute das Bedauern, dass dadurch
möglicherweise die Chance einer liberal-demokratischen
Westorientierung des Reiches verpasst war. Der Regierungsantritt
Wilhelms II. 1888, eines - auch nach zeitgenössischen
Beobachtungen - offenkundigen, von körperlichen Fehlern und
mentaler Labilität gezeichneten Psychopathen, ließ einen
englischen Chirurgen, der ihn wegen eines chronischen Ohrenleidens
behandelte, und nicht nur ihn Zweifel an seiner geistigen
Normalität und die prophetische Warnung äußern, dass
seine Thronbesteigung. "möglicherweise eine Gefahr für
Europa" bedeuten könnte.
Der renommierte britische Biograph John
Röhl gibt ein vernichtendes Resümee über die
Regierungstätigkeit dieses Monarchen, der mit seinen
gewaltigen Aufgaben als Reichsoberhaupt, Chef der Exekutive und
Oberster Kriegsherr völlig überfordert war: "In den
letzten Vorkriegsjahren gleicht die deutsche Regierungsmaschine
einem Narrenschlitten, der nahezu außer Kontrolle dem Abgrund
entgegenschleudert." Ein umfangreicher tabellarischer Anhang und
eine kommentierte Auswahlbibliographie für jeden Herrscher
runden dieses gelungene Buch ab.
Europas Königshäuser
Ein aktuelles Informationsbedürfnis
breiter Schichten bedienen auf unterhaltsame und anschauliche
Weise, unterlegt mit zahlreichen brillanten Hochglanzfotos, Horst
Menger und Jürgen Worlitz, ohne dabei auf
historisch-politische Hintergründe und genealogischer
Traditionslinien zu verzichten. Freilich hätte man sich -
analog zum Sammelband und ohne wissenschaftliche Überfrachtung
- eine stärkere Akzentuierung des verfassungsmäßigen
und institutionellen Gewichts der vorgestellten Monarchen und
Monarchinnen und ihrer Funktion in ihren Staaten gewünscht, um
ihren Handlungsspielraum ausloten zu können.
Das Buch knüpft insofern an den
Sammelband an, als die Häuser Hohenzollern und Habsburg,
obwohl nicht mehr regierend, doch mit zwei bekannten
Persönlichkeiten einbezogen werden: Prinz Louis Ferdinand als
langjähriger Chef des Hauses Hohenzollern und der profilierte
Europapolitiker und Kaisersohn Otto von Habsburg. Inmitten des
jeweils eingehend ausgemalten Geflechts von blaublütigen
Skandalen, Kabalen und Seitensprüngen werden aber auch
markante und achtungsgebietende Persönlichkeiten vorgestellt,
glaubwürdige und einsatzfreudige Identifikationsobjekte und
Repräsentanten ihrer Völker: allen voran Queen Elizabeth
II., die in beispielhafter Pflichterfüllung und
Selbstdisziplin seit mehr als ein halbes Jahrhundert "die Firma
Windsor" immer wieder mit straffer Hand über alle Untiefen
hinweg, obwohl oft "not amused", in ruhiges und sicheres Fahrwasser
steuert und damit der Monarchie Popularität
erhält.
Respekt fordern auch König Juan Carlos
als Retter und Garant der Demokratie in Spanien nach Jahrzehnten
der Franco-Diktatur, König Albert II. von Belgien, als
farbloser Bruder des glücklosen Königs Baudoin lange
unterschätzt, heute in einem tief zerrissenen Land als
Symbolfigur der Einheit beliebt und populär, starke
Frauengestalten wie die Königinnen Beatrix der Niederlande,
Margrethe von Dänemark und Silvia von Schweden, letztere eine
kluge und diskrete Ratgeberin und Stütze ihres Mannes Carl
XVI.Gustaf. Am Ende auch Fürst Rainier III. von Monaco, der
sein kleines Fürstentum mit über 80 Jahren noch fest im
Griff hat.
Die Stunde der Monarchien als Elemente
innerer staatlich-gesellschaftlicher Stabilität hat in Europa
allen Unkenrufen zum Trotz keineswegs geschlagen, wenn sie sich
reform- und anpassungsfähig erweisen. Sicher wäre uns
viel erspart geblieben, wenn das Haus Hohenzollern Deutschland
unter überzeugenden, modernen, reformbereiten und
demokratiefähigen Monarchen ins 20. Jahrhundert geführt
hätte.
Anton Schindling / Walter Ziegler
(Hrsg.)
Die Kaiser der Neuzeit 1519 - 1918.
Heiliges Römisches Reich, Österreich,
Deutschland.
Verlag C.H.Beck, München 1990; 506
S., 29,90 Euro
Horst Menger / Jürgen
Worlitz
Die europäischen Königs- und
Fürstenhäuser.
Gondrom Verlag, Bindlach 2003; 240 S.,
7,95 Euro
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