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Für das Recht gleichwertiger
Lebensverhältnisse
Bewerbungsrede von Claudia Roth als
Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen
Wir sind ein wichtiger Teil der Epoche, in der wir leben und die
wir mitgestalten. Wir haben Positionen entwickelt, verteidigt und
ausgebaut, haben Politik gestaltet, wir haben gekämpft haben
manchmal verloren und öfter gewonnen. Wir sind die
Zukunftspartei, weil wir auf Gemeinsinn setzen und nicht auf
Bereicherung, nicht auf individuelles Sich-Durchschlängeln und
neoliberales Wolfsgesetz; wir sind glaubwürdig, weil wir nicht
um den heißen Brei herumreden, sondern Probleme benennen und
in der Lösung neue Wege gehen. (...)
Dieses Land darf aber nicht in die Hände derjenigen fallen,
denen bei steigenden Ölpreisen nur der Ruf nach Atomkraft
einfällt. Die Verlängerung der Laufzeiten bei alten
Reaktoren oder gar der Bau von neuen AKWs - das sind abenteuerliche
Pläne, das ist gefährlich, das ist keine
zukunftsfähige Politik. Wir wollen und wir müssen weg vom
Öl: aus ökologischen, ökonomischen und
sicherheitspolitischen Gründen.
Aber wir setzen nicht auf Atomkraft - wir setzen auf
nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien, und wir schaffen
mit innovativen Technologien in diesem Bereich sichere neue
Arbeitsplätze.
Davon lassen wir uns nicht abbringen - weder von durchsichtigen
Spiegelkampagnen noch von Steinkohle-Nostalgie in der
Sozialdemokratie. (...)
Unsere Energiepolitik ist auch Sicherheitspolitik. Mit den
knapper werdenden Ressourcen wächst die Gefahr der
Abhängigkeit, die Gefahr der Verwundbarkeit in Zeiten des
internationalen Terrorismus - und die Gefahr verschärfter
Verteilungskämpfe. Globale geostrategische Umweltpolitik ist
mehr denn je Sicherheits- und Friedenspolitik.
Ökologische Gerechtigkeit herzustellen, den Zugang zu
Trinkwasser, die gerechte Verteilung und der schonende Umgang mit
den natürlichen Ressourcen - die gerechte Globalisierung - das
ist die Herausforderung für grüne Politik. Und das
verlangt eben auch bei uns die Veränderung von Konsummustern
und das Aufbrechen von Machtstrukturen. Die ökologische Frage
ist ganz entscheidend eine Gerechtigkeitsfrage - nicht nur zwischen
heutigen und kommenden Generationen, sondern auch zwischen Nord und
Süd und Arm und Reich. Diese Überlebensfrage dürfen
wir Schwarz-Gelb nicht überlassen. Und Hasardeure dürfen
keine Außenpolitik machen.
Was Angela Merkel in der Türkei-EU Frage treibt, ist
beispielhaft für ihre gefährlich-falsche Politik.
Außenpolitische Ignoranz paart sich mit innenpolitischer
Stimmungsmache. Sie zündelt, statt zu argumentieren. Sie
spaltet, statt zu integrieren. Und ihre Haltung hat nichts, aber
auch gar nichts mit Menschenrechten zu tun - und ich weiß
wovon ich spreche. In einer Zeit, in der wir so dringend den Dialog
der Religionen und Kulturen brauchen, in der die EU mit der
Integration einer demokratischen Türkei weltweit ein Zeichen
dafür setzen kann, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch
sind, betreibt die Union einen Kulturkampf der übelsten Art.
(...)
Das ist keine Politik der inneren Sicherheit, sondern eine
Politik des inneren Unfriedens. Diese Politik ist
demokratiefeindlich und standortgefährdend. Und bitte keine
Krokodilstränen, wenn das Kind dann bei den Neonazis in den
Brunnen gefallen ist! Die Gründe für das Wiedererstarken
dieser Dunkelmänner von Vorgestern sind vielfältig. Sie
haben auch damit zu tun, dass die Merkel-Politik einen
Sündenbock ausdeutet - diejenigen, die angeblich nicht zu
"Deutschland" oder zum "Christlichen Europa" passen. Wer so einen
Kulturkampf führt, arbeitet den Rechtsradikalen in die
Hände. Wir setzen rechtsextremer Monokultur eine Kultur der
Vielfalt, die gar nicht immer einfach ist, entgegen. Es ist unsere
Aufgabe, dabei die sächsischen und brandenburger FreundInnen
zu unterstützen. Aber Vorsicht! Rechtsextremismus Rassismus
und Antisemitismus sind keine rein ost-spezifischen Probleme.
Liebe Freundinnen und Freunde, gerade bei der Zukunft des
Sozialstaates haben wir es mit diametral entgegengesetzten
Positionen zu tun. Wir wollen den Sozialstaat nicht abschaffen,
sondern ihn zukunftsfest sichern. Wir sind nicht das kleinere
Übel - nach der Ausrede: Was die anderen wollen, ist doch noch
viel schlimmer. CDU und FDP geht es nicht um ein biss-chen Mehr
oder Weniger, sondern um eine andere Republik. Mit den Plänen
zum radikalen Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten beamt sich die CDU
hinter Ludwig Erhardts soziale Marktwirtschaft zurück.
Die Kopf-Pauschale von Angela Merkel ist der Ausstieg aus
unserem Solidarsystem. Das Koch'sche Existenzgrundlagengesetz
vernichtet Existenzen und schafft neue Armut. Stoibers
Vorstoß, die Sozialhilfe um 30 Prozent zu kürzen - ist
die endgültige Aufkündigung der christlichen Sozialethik.
Frei nach dem Motto: Wenn du Geld brauchst, nimm's von den Armen,
denn davon gibt es viele.
Der Reformprozess ist keineswegs zu Ende. Schritt für
Schritt zur Bürgerversicherung, Schritt für Schritt zu
unserer grünen Grundsicherung.
Diejenigen, die mehr haben, können auch mehr geben - die
Vermögenden, die Erbenden, die Steuerflüchtenden und die
Topmanager, die nach dem schwäbischen Motto agieren: Geld
braucht Dunkel. Wir bringen Licht ins Dunkel. (...)
Wer dagegen für einige Wenige Schlupflöcher baut
gefährdet den ganzen Prozess. Das sage ich sehr eindringlich
an alle erfahrenen Schlupflöchle-Bauer aus FDP und Union: Mit
der Lobbymacht, der Sie sich verschrieben haben, würde eine
von Ihnen geführte Regierung den Reformprozess an die Wand
fahren. Heuchelei von Rechts und pseudolinker Populismus sind Gift
für unser Land. Sie sind verantwortlich für die erneute
Polarisierung zwischen Ost und West. Was richtig ist: wir haben ein
Gerechtigkeitsproblem, das sind die unterschiedlichen
Lebensverhältnisse. Dass wir aber gravierende Unterschiede
einfach akzeptieren sollen, wie es bei Präsident Köhler -
hoffentlich missverständlich - anklang, ist keine Lösung.
Ich halte fest am Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse.
(...)
Gerechtigkeit meint auch Teilhabegerechtigkeit. Es ist eine
Schande, dass die soziale Herkunft unserer Kinder noch immer
für ihre Bildungschancen entscheidend ist. In einigen
Bundesländern wird das möglichst frühe Aussortieren
zum Bildungsdogma erhoben. Die erfolgreichen Pisa-Länder aber
lassen Kinder möglichst lange gemeinsam lernen und
fördern gezielt. 9 macht klug. Wir wollen jedem einzelnen Kind
mehr Bildungschancen, mehr Teilhabechancen, mehr Chancen für
sein ganzes weiteres Leben geben. Und wenn der Satz stimmt, dass
wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben, dann
müssen wir sie mit allem ausstatten, was sie brauchen, um die
Zukunft gestalten zu können. Unser Credo muss lauten: Die
besten Kindergärten und Schulen für unsere Kinder, die
besten Hochschulen für unsere Studierenden!
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