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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Martin Kohlrausch

"A cup of tea, please"

Ende einer Epoche: Der Untergang der Habsburger und Hohenzollern
Der fast zeitgleiche Zusammenbruch der beiden so mächtigen wie unterschiedlichen Dynastien war nicht zwangsläufig. Noch 1913 beging man in Berlin unter großer Anteilnahme des Publikums das 25-jährige Regierungsjubiläum Wilhelms II. In der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn wuchs die Zuversicht in die Zukunft eines Staates, der bereits so oft totgesagt worden war, dass ihm - trotz der Spannungen auf dem Balkan - nichts mehr etwas anhaben zu können schien.

Ein Konflikt von den Dimensionen des Ersten Weltkrieges stellte für beide Dynastien ein unabsehbares Risiko dar. Während die Hohenzollern zunächst von der Kriegseuphorie profitieren konnten, gerieten die Habsburger in eine legitimationsgefährdende Zangenbewegung. Mit Kriegsbeginn zeigte sich, dass Österreich-Ungarn weit stärker als befürchtet auf deutsche Unterstützung angewiesen war. Nahezu alle erfolgreichen Operationen wurden von deutschen Generälen geleitet und deutschen Truppenteilen unterstützt. Die zunehmende Orientierung an Deutschland verschärfte wiederum die zweite Herausforderung der Habsburgdynastie - die stärker werdende Unzufriedenheit der hinter den Deutschösterreichern und Ungarn benachteiligten Völkerschaften.

Ein Pietätsgefühl gegenüber dem greisen Kaiser, gewissermaßen die personifizierte Habsburg-Monarchie, vermochte die Wirkungen der Unabhängigkeitsagitation noch zu begrenzen. Der Vertreter einer Politik des "Durchwurstelns" aber starb im November 1916. Das mit allem Pomp begangene Begräbnis Franz Josefs war der letzte große Staatsakt der Habsburgdynastie. Sein Großneffe, der nun als Karl I. den Thron bestieg, war fast schon ein König ohne Reich. Karl war, trotz des absehbaren Thronwechsels, nicht auf sein Amt vorbereitet worden. Zwar erkannte der erst 29-jährige Monarch deutlich, dass nur ein schnelles Ende des Krieges die Monarchie retten könnte. Die Versuche aber, dieses Ende herbeizuführen, blieben dilettantisch und bewirkten lediglich, dass Österreich noch stärker unter deutsche Vormundschaft geriet.

Lieber kein spektakulärer Tod

Nach der Kriegswende zuungunsten der Mittelmächte im Sommer 1918 verlief das Schicksal der Hohenzollern- und Habsburgdynastie, die sich beide in solch starkem Maße vom militärischen Erfolg abhängig gemacht hatten, nahezu synchron. In Deutschland sollen hektische "Oktoberreformen" das Reich parlamentarisieren, in Wien bildet sich gleichzeitig eine "Provisorische Nationalversammlung" des selbständigen deutschösterreichischen Staates. Es folgt die Proklamation diverser Teilrepubliken und am 3. November 1918 die Einstellung der Kampfhandlungen. Am Namenstag Karls ertönt ein letztes Mal beim Feldgottesdienst die Hymne "Gott erhalte unsern Kaiser".

Der Wegfall des Bundesgenossen wirkte wiederum verschärfend auf die Situation in Deutschland. Bereits am 30. Oktober hatte der deutsche Kaiser Potsdam verlassen, um im Hauptquartier im belgischen Spa den in Berlin immer unverhohlener geäußerten Abdankungsforderungen zu entgehen. Konfrontiert mit der revolutionären Situation in Deutschland, tat sich in Spa ein Entscheidungsvakuum auf. Die Optionen lauteten Abdankung, aktives Vorgehen gegen die abtrünnige Heimat mit dem Kaiser an der Spitze und bloßes Ausharren. Da in Spa keiner der Militärs in der Lage war, den gordischen Knoten zu durchschlagen, erfolgte die Abdankung Wilhelms II. schließlich am 9. November eigenmächtig durch den Reichskanzler Max von Baden in Berlin. Er wurde ins niederländische Exil geschickt. Pläne für einen spektakulären Tod Wilhelms II. an der Front wurden hingegen als unpraktikabel verworfen.

Der über 30 Regierungsjahre hinweg so aktive Monarch blieb vollkommen passiv und fügte sich in sein vermeintliches Schicksal. "A cup of tea, please", sollen die ersten Worte gegenüber seinen holländischen Gastgebern gewesen sein.

Anders als Wilhelm II. musste Kaiser Karl weder durch die Generäle noch durch den Regierungschef zum letzten Regierungsschritt gezwungen werden. Spätestens nach dem Rückzug des deutschen Kollegen war die Situation für den Kaiser in Wien aussichtslos. Die Monarchie war auf einen einzigen Raum geschrumpft, in dem die verbliebenen Bürokraten nurmehr die persönliche Sicherheit des Kaisers verhandeln konnten. Im Schloss Schönbrunn unterschrieb Karl mit Bleistift eine Erklärung, mit der der letzte Regent in der langen Reihe der Habsburger "jeden Anteil an den Staatsgeschäften" aufgab. Die ambivalente Formulierung bedeutete einen Verzicht auf die Macht, nicht auf die Krone. Förmlich abdanken sollte der letzte Habsburger nie. Als letzte Amtshandlung entließ er die kaiserliche Regierung aus dem Amt und verteilte noch einmal Orden, Titel und Pensionen. Während sich Wilhelm zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Rumpfhofstaat in Holland aufhielt, blieb Karl zunächst in Österreich und zog sich auf sein Jagdschloss Eckartsau bei Wien zurück. Erst der zunehmende Druck der neukonstituierten deutsch-österreichischen Nationalversammlung, demokratisch-klare Verhältnisse zu schaffen, zwang den letzten Habsburger im März 1919 ins Schweizer Exil.

Keiner der beiden ehemaligen Kaiser war bereit, den tiefen Fall zu akzeptieren. Restaurationspläne, die Wilhelm II. ab 1919 im heimeligen Doorn schmiedete, blieben auf der Ebene der Phantasie, diejenigen Karls waren konkreter. Immerhin hatte er sich in der Tradition seines Hauses auch als König von Ungarn krönen lassen, und dort war die Habsburgmonarchie - anders als mittlerweile in Österreich - nicht offiziell abgeschafft. Zwei nicht gänzlich aussichtslose Versuche Karls, im März und Oktober 1921 seine ungarischen Thronansprüche durchzusetzten, scheiterten jedoch an den manifesten Eigeninteressen der neuen ungarischen Machthaber. Für die Siegermächte boten die monarchistischen Störmanöver den Anlass, den letzten Habsburger ins Exil auf die unter englischem Mandat stehende Insel Madeira zu verbannen. Dort stirbt Karl am 1. April 1922 und wird als einer der wenigen Habsburger nicht in der Wiener Kapuzinergruft beigesetzt. Wilhelm II., dessen Auslieferung die Alliierten gegenüber Holland vergeblich gefordert hatten, erlebte in Doorn noch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und den Einmarsch der Wehrmacht in seine "Wahlheimat". Er stirbt 1941 fern der Heimat.

Das Ende der ehrwürdigen Habsburger und der - im Vergleich - parvenühaften Hohenzollern und der gleichfalls so unterschiedlichen letzten Träger der Krone weist offensichtliche Parallelen auf. Obwohl beide Dynastien, die sich in vier Kriegen bis an den Rand des Zusammenbruchs bekämpft hatten, einer jeweils ganz eigenen Herrschaftslogik folgten, konnte sich keine dem Umbruchsereignis Erster Weltkrieg entziehen. Die nationale Loyalität rückte im Krieg vor die dynastische, ein langer Prozess, der sich in den vier Jahren bis 1918 erheblich beschleunigte. In unterschiedlicher Weise waren beide Dynastien von dem Phänomen betroffen. Im Habsburgreich hatte Monarchie immer eine doppelte Bedeutung und bezeichnete sowohl die Institution wie das Staatsgebilde an sich. Jenseits dynastischer Organisation ließ sich das Miteinander verschiedener Völkerschaften kaum denken. Aber ohne den "Herrschaftsauftrag" über das ethnisch gemischte Südosteuropa verlor auch die Dynastie ihre Legitimation. Auch in Deutschland war nach über vier entbehrungsreichen Kriegsjahren die Bereitschaft gering, für den Monarchen zu kämpfen.

So, wie der Untergang der Dynastien - vor allem in Deutschland - ablief, waren negative Folgen vorprogrammiert. Was das Ende der beiden Herrscherhäuser verbindet, ist, dass sie weniger Opfer einer Revolution wurden, sondern unentschlossen von der Bühne abtraten. Das Ereignis glich der Implosion einer maroden, aber generell intakten Institution, weniger der Explosion eines neuartikulierten Willens, die alles Alte hinwegfegte.

Im Vakuum eines "monarchenberaubten Staates" (Karl Dietrich Bracher) hatten es neuartige Führerfiguren, die in vielem an die monarchische Symbolik anknüpften, leicht. Der Kult um Hindenburg und Hitler in Deutschland, später auch in Österreich und mitteleuropäische Ersatzkönige von Pilsudski in Polen bis Horthy in Ungarn zeigen, dass die Monarchie als Institution zwar erloschen war, durchaus aber noch prägend weiter wirkte. Wie eng der Zusammenhang zwischen monarchistischer Sehnsucht und Loyalität sowie dem aufkommenden Faschismus war, belegen auch die verzweifelten Versuche, im Angesicht der nationalsozialistischen Machtübernahme den monarchischen Rettungsanker auszuwerfen. Im Umfeld der Präsidialkabinette am Ende der Weimarer Republik wurden verschiedene Restaurationsoptionen diskutiert. In Österreich erwog der 1934 ermordete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß eine Restauration der Habsburger, um einer nationalsozialistischen Machtübernahme zuvorzukommen. 1935 wurden die Anti-Habsburg-Gesetzte abgeschafft. Eine Restauration scheiterte aber an massiven außenpolitischen Widerständen.

Dr. Martin Kohlrausch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der Technischen-Universität Berlin.

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