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Thomas Biskup
Adel als Exportschlager
Im Angebot: Deutsche Dynastien auf dem
europäischen Binnenmarkt
Die Briten haben ihre Windsors, die Niederlande das Haus
Oranien, und auch in den ehemaligen Monarchien Frankreich und
Russland gibt es mit den Bourbonen und den Romanows eindeutige
dynastische Referenzpunkte. In Deutschland ist die Situation
weniger übersichtlich, denn jahrhundertelang bedingten hier
einander föderale politische Struktur und dynastische
Vielfalt.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, bis 1806 das
völkerrechtliche Gehäuse der Deutschen, war kein "Staat"
im modernen Sinne und schon gar keine Erbmonarchie, sondern eine
"Rechts- und Friedensordnung", deren Oberhaupt als Römischer
(!) Kaiser nur beschränkte Machtbefugnisse besaß. Auch
wenn seit dem 15. Jahrhundert nahezu alle Kaiser aus dem Hause
Habsburg kamen, so blieb das Alte Reich eine Wahlmonarchie, und die
Habsburger mussten sich immer wieder gegen Rivalen aus anderen
Dynastien durchsetzen. Immerhin stand ihnen nach 1815 das
Präsidium des Deutschen Bundes zu, der als loser Staatenbund
eine Art säkularisierter light-Version des untergegangenen
Reiches darstellte.
Mit der Niederlage gegen Preußen im deutsch-deutschen Krieg
von 1866 jedoch schieden die Habsburger - die gleichsam die
Dynastie des Alten Reiches schlechthin gewesen waren - bereits
Jahrzehnte vor dem Ende der Monarchie in Deutschland aus der
"kleindeutschen" Politik aus und wurden auf ihre
österreichisch-ungarischen Länder beschränkt. Seit
der Gründung des Deutschen Reiches 1871 trugen nun zwar die
Hohenzollernkönige Preußens den Titel "Deutscher Kaiser",
aber dies nur in ihrer Eigenschaft als Präsidenten des "ewigen
Bundes" von deutschen Fürsten und freien Städten, der die
Grundlage der Reichsverfassung bildete. Im Gegensatz zu den
britischen oder französischen Souveränen war also der
Deutsche Kaiser nicht Monarch des Reiches. Träger der
Staatsgewalt waren vielmehr die 26 Bundesstaaten, deren
Verfassungsspektrum von parlamentarisch kontrollierter
konstitutioneller Monarchie bis hin zu ständischem
Autoritarismus reichte.
Damit gab es im Deutschen Reich bis zur Revolution von 1918
neben den Hohenzollern etwa ein Dutzend regierender Häuser,
die meist schon seit dem Mittelalter und häufig durch
Erbteilungen in mehrere Linien geteilt über ihre Territorien
herrschten. Die Länder der bayerischen und pfälzischen
Wittelsbacher, der Welfen sowie der Häuser Württemberg,
Hessen, Baden, Oldenburg, Anhalt und Waldeck wurden dabei bis Ende
des 19. Jahrhunderts durch Aussterben von Nebenlinien,
Erbverträge oder Annexionen unter jeweils einer Linie
vereinigt, und die fürstlichen Häuser Lippe, Schwarzburg
und Reuß führten die Zahl ihrer Linien immerhin auf zwei
zurück. Allein das in die Albertinische und die
thüringische Ernestinische Linie aufgespaltene Haus Wettin
verteilte sich weiterhin auf fünf Staaten, von denen das
Königreich Sachsen freilich der mit Abstand größte
war. Diese monarchische Tradition des deutschen Föderalismus
wird auch heute noch in der Pluralität der "ehemals
regierenden Häuser" deutlich.
Die Zahl der regierenden Häuser war jedoch bereits
während des 19. Jahrhunderts reduziert worden: Zunächst
verloren mit den "Mediatisierungen" am Ende des Heiligen
Römischen Reiches 1803/1806 Hunderte von geistlichen und
weltlichen Herrschern die Landeshoheit, die sie als
reichsunmittelbare Fürsten innegehabt hatten, und wurden
Untertanen und Angehörige eines anderen Staates. Sechs
Jahrzehnte nach dem Untergang des Alten Reiches
vergrößerte Bismarcks Expansionspolitik die Zahl der
"Ehemaligen" weiter: Preußen annektierte im Zuge des
deutsch-deutschen Krieges das Königreich Hannover,
Hessen-Nassau und die Herzogtümer Schleswig und Holstein.
Besonders in Hannover wurde die abgesetzte Welfendynastie in der
Folge zu einem Kristallisationspunkt der anti-preußischen
Opposition, die mit der "Welfenpartei" bedeutende Wahlerfolge
erzielen konnte.
Dennoch waren viele Dynastien die längste Zeit über
weder an "Deutschland" noch auch nur an "ihre" Länder
gebunden. Die Kategorie des Nationalen, mit der das Bürgertum
seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert seine Ansprüche auf
politische Partizipation verband, war für die jenseits
sprachlicher und kultureller Grenzen agierenden Dynastien nicht
ungefährlich. Viele deutsche Fürsten suchten dem
deutschen Nationalismus durch die Förderung regionaler
Identitätsbildungsprozesse entgegenzuwirken.
Weniger Identität als Kalkül
Zumeist waren die regionalen Bindungen eines Geschlechts
lediglich Resultat politischer Konjunkturen und ökonomischer
Konzentration. So hatten die Wittelsbacher, deren Haus seit dem
"Märchenkönig" Ludwig II. zu einem Inbegriff bayerischer
Identität geworden ist, bis Ende des 18. Jahrhunderts immer
wieder Pläne geschmiedet, aus dem vergleichsweise armen Bayern
auszubrechen und die Krone Spaniens oder das heutige Belgien zu
erwerben. Konkrete Planungen zum Wegtausch Bayerns scheiterten
zuletzt ausgerechnet am Widerstand Preußens. Erst im Gefolge
der Revolution von 1848 entdeckte die Dynastie mit König
Maximilian II. die Pflege bayerischen Brauchtums als Bollwerk gegen
demokratische wie deutschnationale Umtriebe.
Auch die Hohenzollern verfolgten mit der Reichsgründung von
1871 keine "nationale" Politik. Vielmehr bedienten sie sich, die
noch 1848 die vom Paulskirchenparlament angetragene Kaiserkrone
abgelehnt hatten, nationaler Argumente, um in einer günstigen
außenpolitischen Großwetterlage die Vorherrschaft
über die anderen deutschen Staaten zu erringen sowie ihre
Stellung im Kampf gegen neue innenpolitische Kräfte wie den
Sozialismus zu befestigen. Die erfolgreichsten Dynastien wurden
dabei professionell als geographisch wie konfessionell
diversifizierte Familienbetriebe geführt. Das Haus
Sachsen-Coburg-Gotha etwa schaffte von seiner schmalen
thüringischen Basis aus innerhalb weniger Jahrzehnte den
Aufstieg in die europäische Spitzenliga, indem es seine
exzellenten dynastischen Verbindungen und seine machtpolitische
Harmlosigkeit zu einem für Heirats- oder Thronkandidaten
suchende "head hunters" attraktiven Paket schnürte: So
gelangte dieser Zweig der Wettiner auf die Throne Belgiens,
Portugals, Bulgariens und schließlich Großbritanniens, wo
es mit den hannoverschen Welfen eine andere deutschstämmige
Dynastie ablöste. Die nationale Massenmobilisierung
während des Ersten Weltkrieges machte die deutsche Herkunft
allerdings plötzlich zum Problem, und das Haus suchte durch
Annahme des urbritisch klingenden Markennamens "House of Windsor"
den Verdacht allzu enger Verbindungen zum Gegner abzuweisen.
Der Exportschlager deutscher Hochadel ist in den letzten
Jahrzehnten jedoch in die Krise geraten. Wie die königlichen
Hochzeiten in den Niederlanden, Dänemark und Spanien in
jüngster Zeit zeigen, wählen die Mitglieder der
verbliebenen europäischen Königshäuser ihre Partner
heute verstärkt entlang anderer Kriterien aus. Fragen nach
standesgemäßer Verbindung spielen eine geringere Rolle
denn je. Ob es sich dabei um eine vorübergehende Schwäche
handelt oder um einen endgültigen "crash" des bereits seit
längerem schrumpfenden dynastischen Heiratsmarktes, lässt
sich noch nicht sagen. Jedenfalls hat mit der aus Argentinien
stammenden Máxima von Oranien und der Australierin Mary von
Dänemark die Globalisierung Einzug in die
Königshäuser Europas gehalten und das Kartell der
europäischen Dynastien, von dem die deutschen Adelshäuser
so lange profitiert haben, aufgebrochen.
Dr. Thomas Biskup arbeitet als Junior Research Fellow am
Somerville College der Universität in Oxford.
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