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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Jan Kanter

Feierlaune und Skepsis stören sich nicht

Die Niederländer sind auf ihre Königsfamilie nicht wirklich angewiesen, aber sie brauchen sie trotzdem
Rein optisch gesehen hat die Verehrung des Königshauses in den Niederlanden in den vergangenen Jahren eher zugenommen. Auslöser war die Hochzeit des Thronfolgers Willem Alexanders mit seiner argentinischen - im Vorfeld nicht unumstrittenen - Braut Maxima. Hunderttausende begleiteten am Straßenrand die Feierlichkeiten und noch Wochen später standen verkitscht idealisierende Ölgemälde und Fotos in den Schaufenstern beinahe aller Geschäfte. Die Niederlande hatten neue Helden, und die Verehrung brach sich ungehindert ihre Bahn. Immer wieder tanzt das Volk seither bei gegebenen Anlässen wie der Geburt des Stammhalters oder den einschlägigen Feiertagen in einer Orgie in Orange durch die Straßen.

Vermutlich ist es aber nicht tief verwurzelter Royalismus, der die Niederländer antreibt, sondern schlicht die Gelegenheit, gemeinsam mit der "ersten Familie" des Landes sowie zufällig auf der Straße vorbei schauenden Nachbarn eine wilde Party zu feiern.

Eigentlich ist das Königshaus im Lande nicht unumstritten - schließlich sind die Niederlande eines der Länder in Europa mit der geringsten Tradition in Sachen blaublütiger Herrscher. Die Ausbildung der modernen niederländischen Nation begann mit einem Aufstand gegen einen König. Im Zuge der Reformation lehnten sich die Städte - und damit ein protestantisch geprägtes Bürgertum - gegen einen katholischen, das Land aus der Ferne regierenden König der Habsburger auf. Die Rebellion, unter anderem angeführt von Wilhelm von Oranien, war erfolgreich, das Bürgertum wurde mächtig und die Bedingungen für einen neuen König dementsprechend schwierig. Zwar suchten die Aufständischen einen Herrscher, konnten aber angesichts des sich abzeichnenden Absolutismus keinen Kandidaten finden, der sich mit beschnittener, vom gemeinen Volk verliehener Macht zufrieden gegeben hätte. So wurden die Niederlande bereits am Ende des 16. Jahrhunderts eine Republik.

Das heutige Königshaus verdankt seine Herrschaft wiederum weniger einem freien Akt der Bürger: Die Wirren der Napoleonischen Kriege brachten den Nachfahren Wilhelm von Oraniens, dem Haus Oranien-Nassau, die Krone.

Formeller Spielraum

Die merkwürdige Geschichte der niederländischen Monarchie trägt mit Sicherheit viel dazu bei, dass die Niederländer ein zumindest zwiespältiges Verhältnis zu ihren Königen hatten und bis heute haben.

Die Verfassung räumt dem König (oder der Königin) rein formell einigen Spielraum ein. Zunächst ist der König Staatsoberhaupt und Teil der Regierung. Der König ist auch Vorsitzender des Staatsrates, dem wichtigsten beratenden Gremium des Landes. Der Monarch ernennt und erlässt den Ministerpräsidenten und die Minister, auch kann er nach Wahlen einen ihm genehmen Kandidaten mit der Suche nach einer tragfähigen Regierungskoalition beauftragen, der nicht zwingend der Wahlsieger sein muss.

Dieser Punkt ist insofern interessant, weil hier gleich mehrere Besonderheiten des niederländischen Politikstils deutlich werden: Zunächst gab es bei den zurückliegenden Wahlen nie eine Partei, die die absolute Mehrheit erringen konnte, es war sogar in den seltensten Fällen ein Duell zweier Parteien. Man könnte eher von drei bis vier nach deutschem Maßstab mittelgroßen Fraktionen im Parlament sprechen, die noch von vier bis fünf kleineren Parteien ergänzt werden.

Dass die Monarchen dennoch selten der Versuchung erlagen, übermäßig auf die Regierungsbildung einzuwirken, hat mit zwei Charakteristika niederländischer Mentalität zu tun.

Die Niederlande waren lange Zeit durch das Prinzip der Versäulung bestimmt. Die ursprünglich durch die Konfessionen, schnell durch die Liberalen und später durch die Sozialisten ergänzten Säulen bestimmten das gesamte Leben der Menschen: So gab es katholische Schulen, katholische Geschäfte, katholische Vereine und so weiter. Beinahe das gesamte Leben der Menschen spielte sich in seiner Säule ab. Gleichzeitig dominiert in den Niederlanden das - die Versäulung machte es beinahe zwingend notwendig - Prinzip des Kompromisses. Bevor eine Entscheidung getroffen wird, gibt es ausgiebige Beratungen mit möglichst allen gesellschaftlichen Kräften. Es gilt die "Konsenskultur". Die aber lässt wenig Spielraum für eigenmächtige Entscheidungen der Königinnen. Die faktische Macht des Königs als institutionelle Kraft ist also eher gering. Der Verfassung folgend, kann er sogar abgesetzt werden, wenn der König nach Meinung des Ministerrates "außerstande ist, sein Amt auszuüben". Nicht einmal das Recht auf freie Partnerwahl hat der Herrscher - zumindest wenn er sein Amt behalten oder im Falle eines Thronfolgers erst noch erlangen will.

Als politische Figur wird das Staatsoberhaupt des Königreiches der Niederlande daher von vielen Bürgern eher abgelehnt: Die politischen Reden, die vom Ministerpräsidenten vorgegeben oder zumindest abgesegnet werden müssen, werden argwöhnisch begutachtet. Es gibt eine kleine, aber hartnäckig werbende Vereinigung der Republikaner, die die Monarchie gleich ganz abschaffen möchten.

Auch das Vermögen der Königin gibt Anlass zur Kritik: Zunächst erhält die Monarchin ein jährliches Einkommen von 3,9 Millionen Euro vom Staat, Prinzgemahl, Thronfolger und Prinzessin jeweils etwas weniger. Darüber hinaus verfügt das Königshaus über ein beträchtliches Privatvermögen: Wie hoch das genau ist, bleibt das Geheimnis der Familie: "In unserem Land gilt das Prinzip, die Privatsphäre zu schützen. Das gilt auch für die königliche Familie", kommentierte sie Erwartungen auf Information. Auf der Webseite des Hauses ist immerhin zu erfahren, dass das Vermögen, "längst nicht so hoch ist, wie allgemein spekuliert wird".

Vor allem die Intellektuellen arbeiten sich an der Königsfamilie ab. Kronprinz Willem Alexander, der erste männliche Thronfolger des Landes seit 116 Jahren, wurde lange Zeit als "Prins Pilsje" verpottet, gegen den, so der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, "Prinz Charles ein intellektueller Latin Lover ist". Auch die Königin sah sich derart großem Spott ausgesetzt, dass sich der christdemokratische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende im vergangenen Jahr genötigt sah, eine Debatte darüber anzustoßen, ob man nicht entsprechende Comedy-Sendungen im Fernsehen absetzen könnte.

Als Figur hat die Königin aber eine integrative Kraft, eine Vorbildfunktion, an der sich die Bürger des Landes in schweren Zeiten aufrichten konnten. Das galt für Wilhelmina, die im Zweiten Weltkrieg aus dem Londoner Exil regierte, das galt seit 1949 für Juliana, die sich bewusst volkstümlich gab, und die Bezeichnung "Mefrouw" dem standesgemäßen "Majestät" vorzog. Und das gilt mit einigen Einschränkungen für die seit 1980 "herrschende" Beatrix, die allerdings früh bekundet hatte, dass ihr eine passive Rolle nicht liegt und die sich deshalb immer wieder in die Politik einmischte - und sich damit nicht nur Freunde machte. So sprach sie sich öffentlich gegen die Stationierung von US-Raketen in den Niederlanden aus, mahnte früh eine aktive Umweltpolitik an. Dass sie 1994 das tat, wozu sie eigentlich verpflichtet ist, den Wahlsieger (den Sozialdemokraten Wim Kok) mit der Regierungsbildung zu beauftragen, wurde als "Staatsstreich" kommentiert.

Überraschenderweise gilt die Zuneigung außerhalb des politischen Raumes auch für Maxima, die Frau des derzeitigen Thronfolgers. Die Wahl Willem-Alexanders, die Argentinierin zu heiraten, wurde scharf kritisiert, weil ihr Vater der argentinischen Militärjunta als Landwirtschaftsminister diente. Anlässlich der Hochzeit schrieb de Winter: "Sie sind sehr verliebt. Er ist dumm, und sie ist blondiert. Ein Traumpaar". Unmittelbar nach der Hochzeit schwärmte die Öffentlichkeit allerdings vom Charme und der Anmut Maximas. Schnell wurde sie populärer als ihr Gemahl. Dieser Verlauf der königlichen Romanze war für die Niederländer allerdings beinahe schon Routine. Ähnlich kritisch wurden auch die Ehen von Mutter und Großmutter Wilhelm-Alexanders begleitet.

Die Niederländer sind auf ihre Könige nicht wirklich angewiesen, aber sie brauchen sie doch. So konnte man das Dasein der Herrscher innerhalb ihres Volkes im vergangenen Jahrhundert zusammenfassen. Politisch ein tolerierter Anachronismus, zwischen- menschlich eine immer kritisch beäugte, aber meist hochgradig verehrte "erste Familie" des Landes. Mittlerweile gibt es erste Signale, dass sich das wandelt. Prinzessin Maxima, das erste akzeptierte katholische Mitglied der Famile, ist so ein Indiz, die Gelassenheit der Öffentlichkeit angesichts der öffentlichen Rechtfertigung Prinz Bernhards zu angeblichen und tatsächlichen Verfehlungen früherer Tage ein anderes. Es scheint als begänne langsam eine Diskussion über die künftige Rolle des Königshauses, ohne dass an deren Ende eine Revolution, das Ende der Monarchie stehen müsse.

Jan Kanter arbeitet in Berlin als Journalist für "Die Welt".

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