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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Robert von Lucius

Diskrete Politik

Die Dänen sind zufrieden
Allenfalls an Fernsehabenden, an denen die dänische Fußballmannschaft Chancen hat auf das Finale eines internationalen Wettbewerbes, sind die Einschaltquoten noch höher. Sonst wiederholt sich alljährlich am Neujahrstag um sechs Uhr das gleiche Zeremoniell: Jeder Däne sitzt vor dem Fernsehschirm und hört die Neujahrsansprache von Königin Margrethe II.

Auch wenn sie zur politischen Neutralität gehalten ist, kann sie sich bisweilen deutliche Worte erlauben. Vor genau 20 Jahren rief sie bei der Neujahrsansprache die Dänen dazu auf, "dumme" Äußerungen gegenüber Neueinwanderern zu unterlassen; und als Dänemark vor zwei Jahren wegen einer scharfen Ausländerpolitik allerorten kritisiert wurde, verstand jeder Däne ihre nur scheinbar beiläufige Bemerkung, Dänen seien stets ein gastfreies und weltoffenes Volk gewesen. Bei anderen Neujahrsansprachen forderte sie Solidarität gegenüber Entwicklungsländern, Umweltbewusstsein oder Vertrauen untereinander.

Dieses Vertrauen haben sie und ihre Familie sich indes verdienen müssen. Dass es nicht unbegrenzt ist, zeigt die verhaltene Kritik an einem Zeitungsinterview ihres jüngeren Sohns Joachim im Spätsommer, der sich besorgt zeigte über die Zukunft der dänischen Landwirtschaft nach der EU-Erweiterung. Politiker und Historiker des Königshauses verwiesen auf knapp 200.000 Euro EU-Subventionen, die Prinz Joachim als Landwirt auf der Schackenborg in Süddänemark erhält; es sei unerlässlich für die Zukunft des Königshauses, dass dessen Mitglieder sich aus politischen oder wirtschaftlichen Kontroversen heraushielten.

Die dänische Monarchie gilt als die älteste der Welt, zumindest aber Europas. Margrethe ist die 54. in dieser direkten Linie dänischer Monarchen, die sich über drei Jahrtausende hinweg auf den 958 verstorbenen Gorm den Alten zurückleiten lässt. Wie Island, das bis 1944 zum Königreich gehörte, verband es früh Wahl und Amt: Bis zur Einführung des Absolutismus 1660 wurde der Monarch gewählt, auch wenn meist der älteste Sohn des Königs seinem Vater folgte. 1849, als andere europäische Fürsten freiheitliche Gedanken unterdrückten, erhielt Dänemark eine demokratische Verfassung und eine konstitutionelle Monarchie; und früher als in den anderen nordischen Monarchien in Schweden und Norwegen wurde 1953 die weibliche Erbfolge eingeführt.

In der staatsrechtlichen Stellung gleicht Dänemark Norwegen, wobei dessen König, als Vorsitzender des wöchentlichen Kabinettstreffens noch eine stärkere Stellung besitzen dürfte. Die schwedische Monarchie dagegen verlor mit einer Verfassungsreform vor knapp 30 Jahren jeden politischen Einfluss. Und in Schweden tritt die Mehrheit des Reichstages für eine Abschaffung der Monarchie ein. Auch in Norwegen gibt es republikanische Politiker und Parteien. In Dänemark undenkbar: Dort tummelt sich im Reichstag und außerhalb eine bunte Vielfalt von Parteien, aber keine kam seit der Thronbesteigung Margrethes Anfang 1972 je auf den Gedanken, für eine Abschaffung des Königshauses einzutreten.

Ihre starke Stellung beruht auf dem Traditionsbewusstsein und natürlichen Patriotismus der Dänen, aber mehr noch auf der Rolle, die ihre Familie und sie sich geschaffen haben. So wie die norwegische Monarchie den Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg anführte und die Königsfamilie ins britische Exil ging, war auch Christian X., der Großvater Margrethes, ein Sinnbild für stillen, aber festen Widerstand. Während das schwedische Königshaus etwa wenige Monate vor Kriegsende noch an der Wiederöffnung der Deutschen Schule in Stockholm unter der Hakenkreuzfahne teilnahm, ritt Christian in den Jahren der Besetzung durch die Straßen Kopenhagens und wurde dadurch zum Symbol nationaler Einheit, so wie er als "Reiterkönig" 1920 gleich zur Wiedervereinigung Nordschleswigs mit Dänemark über die Grenze ritt. Christian führte noch den mittlerweile still unterschlagenen Titel "König von Dänemark, der Wenden und der Gothen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stormarn, Dithmarschen, Lauenburg und Oldenburg" - das Königshaus selber ist adelsrechtlich das Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg.

Sein Sohn Frederik IX. verkörperte die volkstümlichen Werte der Nachkriegszeit, während dessen älteste Tochter Margrethe eine gediegene Ausbildung - sie studierte in Kopenhagen, Århus, Cambridge, an der London School of Economics und an der Sorbonne - mit Charme und künstlerischem Talent verbindet: Bühnen vom Tivoli bis zum Königlichen Theater nutzen ihre Bühnenentwürfe. Königliches Theater: Selbst in Großbritannien dürfte das Beiwort "königlich" weniger oft als in Dänemark genutzt werden, von der Bibliothek über das Ballett und die Porzellanmanufaktur bis zu Hoflieferanten schmücken sich viele Unternehmen damit.

Margrethe nutzt ihre Möglichkeiten, politisch zu wirken, diskret. Da sie aber vom Ministerpräsidenten und Außenminister regelmäßig unterrichtet wird und sich vor der Unterzeichnung der Gesetze informiert, steht sie nicht nur bei Staatsbesuchen und Brückeneröffnungen im oder zumindest nahe dem Mittelpunkt. Ihren "Job", wie sie ihre Aufgabe spöttelnd nennt, wolle sie mit der gleichen Energie füllen wie es Verantwortliche in der Privatwirtschaft tun. Nach der Verfassung hebt sich ihre Rolle wenig ab von jener anderer Staatschefs. Das Land nach außen zu repräsentieren und nach innen zu einen. Mit ihrer Entscheidung, sanft aber deutlich auf Fehlentwicklungen in der Gesellschaft hinzuweisen, ähnelt sie der Aufgabe, die einige der deutschen Bundespräsidenten erfüllten. Eine ihrer als gewagt empfundenen Neuerungen in der Geschichte der dänischen Monarchie sind Pressekonferenzen: Sie ist selbstbewusst und firm genug, auch auf schwierige Fragen zu antworten, aber für allzu schwierige Fragen sind dänische Journalisten dann doch zu ehrerbietig - mit einem echten, nicht aufgesetzten Respekt.

Wenig beachtet oder zumindest außerhalb Dänemarks bekannt ist eine andere Aufgabe, mit der sich Margrethe II. von den meisten anderen Staatsoberhäuptern abhebt: Sie ist Oberhaupt der nationalen Kirche, die in Dänemark nicht Staatskirche heißt, sondern Volkskirche. Die evangelisch-lutherische Kirche ist neben dem Staatsgebiet, der Monarchie und der Gewaltenteilung die vierte Grundlage, auf dem das dänische Staatswesen beruht, aufgezählt gleich zu Beginn der Verfassung von 1953. Enger als in jedem anderen Staat Europas ist in Dänemark die Verflechtung von Staat und Kirche. Königin und Kirchenministerin gemeinsam, nicht die Kirchensynoden oder Bischöfe, entscheiden über Liturgie, Rituale, Bibelübersetzungen, die äußere Gestaltung des Psalterbuches. Religionsfreiheit gibt es zwar in Dänemark, nicht aber für den Monarchen, der Lutheraner sein muss.

Ihre Zuwendung versucht Margrethe allen Landesteilen zu zeigen, nicht nur durch regelmäßige Fahrten auch mit der Dannebrog, einer der letzten Königsjachten der Welt, "in die Provinz" und durch wechselnde Aufenthalte in ihren Schlössern, vom Stadtschloss Amalienborg bis zu zwei Sitzen im Süden und der Mitte Jütlands. In Grönland schaffte es Kronprinz Frederik gar, einen Landstreifen nach sich benannt zu erhalten, nachdem er, der Sportler, auf Hundeschlitten drei Monate durch Grönlandeis zog. Schon kurz nach der Hochzeit mit der Australierin Mary Donaldson im Mai fuhr er auch mit ihr dort Schlitten. Warum diese Hochzeit in Deutschland so populär gewesen sei, wurde Königin Margrethe unlängst von deutschen Journalisten gefragt, und ihre Antwort war ebenso diplomatisch wie schelmisch: Sie sei doch keine Soziologin.

Robert von Lucius ist Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Nordeuropa und die baltischen Länder.

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