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Robert von Lucius
Diskrete Politik
Die Dänen sind zufrieden
Allenfalls an Fernsehabenden, an denen die
dänische Fußballmannschaft Chancen hat auf das Finale
eines internationalen Wettbewerbes, sind die Einschaltquoten noch
höher. Sonst wiederholt sich alljährlich am Neujahrstag
um sechs Uhr das gleiche Zeremoniell: Jeder Däne sitzt vor dem
Fernsehschirm und hört die Neujahrsansprache von Königin
Margrethe II.
Auch wenn sie zur politischen
Neutralität gehalten ist, kann sie sich bisweilen deutliche
Worte erlauben. Vor genau 20 Jahren rief sie bei der
Neujahrsansprache die Dänen dazu auf, "dumme"
Äußerungen gegenüber Neueinwanderern zu unterlassen;
und als Dänemark vor zwei Jahren wegen einer scharfen
Ausländerpolitik allerorten kritisiert wurde, verstand jeder
Däne ihre nur scheinbar beiläufige Bemerkung, Dänen
seien stets ein gastfreies und weltoffenes Volk gewesen. Bei
anderen Neujahrsansprachen forderte sie Solidarität
gegenüber Entwicklungsländern, Umweltbewusstsein oder
Vertrauen untereinander.
Dieses Vertrauen haben sie und ihre Familie
sich indes verdienen müssen. Dass es nicht unbegrenzt ist,
zeigt die verhaltene Kritik an einem Zeitungsinterview ihres
jüngeren Sohns Joachim im Spätsommer, der sich besorgt
zeigte über die Zukunft der dänischen Landwirtschaft nach
der EU-Erweiterung. Politiker und Historiker des Königshauses
verwiesen auf knapp 200.000 Euro EU-Subventionen, die Prinz Joachim
als Landwirt auf der Schackenborg in Süddänemark
erhält; es sei unerlässlich für die Zukunft des
Königshauses, dass dessen Mitglieder sich aus politischen oder
wirtschaftlichen Kontroversen heraushielten.
Die dänische Monarchie gilt als die
älteste der Welt, zumindest aber Europas. Margrethe ist die
54. in dieser direkten Linie dänischer Monarchen, die sich
über drei Jahrtausende hinweg auf den 958 verstorbenen Gorm
den Alten zurückleiten lässt. Wie Island, das bis 1944
zum Königreich gehörte, verband es früh Wahl und
Amt: Bis zur Einführung des Absolutismus 1660 wurde der
Monarch gewählt, auch wenn meist der älteste Sohn des
Königs seinem Vater folgte. 1849, als andere europäische
Fürsten freiheitliche Gedanken unterdrückten, erhielt
Dänemark eine demokratische Verfassung und eine
konstitutionelle Monarchie; und früher als in den anderen
nordischen Monarchien in Schweden und Norwegen wurde 1953 die
weibliche Erbfolge eingeführt.
In der staatsrechtlichen Stellung gleicht
Dänemark Norwegen, wobei dessen König, als Vorsitzender
des wöchentlichen Kabinettstreffens noch eine stärkere
Stellung besitzen dürfte. Die schwedische Monarchie dagegen
verlor mit einer Verfassungsreform vor knapp 30 Jahren jeden
politischen Einfluss. Und in Schweden tritt die Mehrheit des
Reichstages für eine Abschaffung der Monarchie ein. Auch in
Norwegen gibt es republikanische Politiker und Parteien. In
Dänemark undenkbar: Dort tummelt sich im Reichstag und
außerhalb eine bunte Vielfalt von Parteien, aber keine kam
seit der Thronbesteigung Margrethes Anfang 1972 je auf den
Gedanken, für eine Abschaffung des Königshauses
einzutreten.
Ihre starke Stellung beruht auf dem
Traditionsbewusstsein und natürlichen Patriotismus der
Dänen, aber mehr noch auf der Rolle, die ihre Familie und sie
sich geschaffen haben. So wie die norwegische Monarchie den
Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg
anführte und die Königsfamilie ins britische Exil ging,
war auch Christian X., der Großvater Margrethes, ein Sinnbild
für stillen, aber festen Widerstand. Während das
schwedische Königshaus etwa wenige Monate vor Kriegsende noch
an der Wiederöffnung der Deutschen Schule in Stockholm unter
der Hakenkreuzfahne teilnahm, ritt Christian in den Jahren der
Besetzung durch die Straßen Kopenhagens und wurde dadurch zum
Symbol nationaler Einheit, so wie er als "Reiterkönig" 1920
gleich zur Wiedervereinigung Nordschleswigs mit Dänemark
über die Grenze ritt. Christian führte noch den
mittlerweile still unterschlagenen Titel "König von
Dänemark, der Wenden und der Gothen, Herzog von Schleswig,
Holstein, Stormarn, Dithmarschen, Lauenburg und Oldenburg" - das
Königshaus selber ist adelsrechtlich das Haus
Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg.
Sein Sohn Frederik IX. verkörperte die
volkstümlichen Werte der Nachkriegszeit, während dessen
älteste Tochter Margrethe eine gediegene Ausbildung - sie
studierte in Kopenhagen, Århus, Cambridge, an der London
School of Economics und an der Sorbonne - mit Charme und
künstlerischem Talent verbindet: Bühnen vom Tivoli bis
zum Königlichen Theater nutzen ihre Bühnenentwürfe.
Königliches Theater: Selbst in Großbritannien dürfte
das Beiwort "königlich" weniger oft als in Dänemark
genutzt werden, von der Bibliothek über das Ballett und die
Porzellanmanufaktur bis zu Hoflieferanten schmücken sich viele
Unternehmen damit.
Margrethe nutzt ihre Möglichkeiten,
politisch zu wirken, diskret. Da sie aber vom
Ministerpräsidenten und Außenminister
regelmäßig unterrichtet wird und sich vor der
Unterzeichnung der Gesetze informiert, steht sie nicht nur bei
Staatsbesuchen und Brückeneröffnungen im oder zumindest
nahe dem Mittelpunkt. Ihren "Job", wie sie ihre Aufgabe
spöttelnd nennt, wolle sie mit der gleichen Energie
füllen wie es Verantwortliche in der Privatwirtschaft tun.
Nach der Verfassung hebt sich ihre Rolle wenig ab von jener anderer
Staatschefs. Das Land nach außen zu repräsentieren und
nach innen zu einen. Mit ihrer Entscheidung, sanft aber deutlich
auf Fehlentwicklungen in der Gesellschaft hinzuweisen, ähnelt
sie der Aufgabe, die einige der deutschen Bundespräsidenten
erfüllten. Eine ihrer als gewagt empfundenen Neuerungen in der
Geschichte der dänischen Monarchie sind Pressekonferenzen: Sie
ist selbstbewusst und firm genug, auch auf schwierige Fragen zu
antworten, aber für allzu schwierige Fragen sind dänische
Journalisten dann doch zu ehrerbietig - mit einem echten, nicht
aufgesetzten Respekt.
Wenig beachtet oder zumindest außerhalb
Dänemarks bekannt ist eine andere Aufgabe, mit der sich
Margrethe II. von den meisten anderen Staatsoberhäuptern
abhebt: Sie ist Oberhaupt der nationalen Kirche, die in
Dänemark nicht Staatskirche heißt, sondern Volkskirche.
Die evangelisch-lutherische Kirche ist neben dem Staatsgebiet, der
Monarchie und der Gewaltenteilung die vierte Grundlage, auf dem das
dänische Staatswesen beruht, aufgezählt gleich zu Beginn
der Verfassung von 1953. Enger als in jedem anderen Staat Europas
ist in Dänemark die Verflechtung von Staat und Kirche.
Königin und Kirchenministerin gemeinsam, nicht die
Kirchensynoden oder Bischöfe, entscheiden über Liturgie,
Rituale, Bibelübersetzungen, die äußere Gestaltung
des Psalterbuches. Religionsfreiheit gibt es zwar in Dänemark,
nicht aber für den Monarchen, der Lutheraner sein
muss.
Ihre Zuwendung versucht Margrethe allen
Landesteilen zu zeigen, nicht nur durch regelmäßige
Fahrten auch mit der Dannebrog, einer der letzten
Königsjachten der Welt, "in die Provinz" und durch wechselnde
Aufenthalte in ihren Schlössern, vom Stadtschloss Amalienborg
bis zu zwei Sitzen im Süden und der Mitte Jütlands. In
Grönland schaffte es Kronprinz Frederik gar, einen
Landstreifen nach sich benannt zu erhalten, nachdem er, der
Sportler, auf Hundeschlitten drei Monate durch Grönlandeis
zog. Schon kurz nach der Hochzeit mit der Australierin Mary
Donaldson im Mai fuhr er auch mit ihr dort Schlitten. Warum diese
Hochzeit in Deutschland so populär gewesen sei, wurde
Königin Margrethe unlängst von deutschen Journalisten
gefragt, und ihre Antwort war ebenso diplomatisch wie schelmisch:
Sie sei doch keine Soziologin.
Robert von Lucius ist Korrespondent der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Nordeuropa und die
baltischen Länder.
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