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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ursula Kuschel und Claudio Bonvecchio

Ein zu kleiner König für eine zu große Epoche: Vittorio Emanuelle III.

Mit dem Faschismus ging auch die Monarchie in Italien zu Ende

Wer von der Monarchie in Italien spricht, meint damit die Zeit der Regentschaft des Hauses Savoyen. Das seit dem 10. Jahrhundert bekannte Herrschergeschlecht stammte aus dem französischen Burgund. Mit König Carlo Alberto von Piemont wurde im Jahre 1848 eine konstitutionelle Monarchie in Turin gegründet. Diese piemontesische Monarchie stellte sich in den Unabhängigkeitskriegen von 1848, 1859 und 1866 an die Spitze der italienischen Einheitsbewegung.

Im vereinten Italien gab es vier Savoyer Monarchen: Vittorio Emanuele II. (1861 bis 1878), der Sohn von Carlo Alberto; Umberto I. (1878 bis 1900); Vittorio Emanuele III. (1900 bis 1946) und Umberto II., der nach der Abdankung seines Vaters am 9. Mai 1946 für 35 Tage die Regentschaft übernahm.

Auf dem Höhepunkt der nationalen Einigung, am 17. März 1861, trat das erste aus nahezu ganz Italien entsandte Parlament zusammen und proklamierte Vittorio Emanuele II. zum ersten König von Italien. Damit begann - historisch gesehen - die Ära der Monarchie in Italien. Zehn Jahre später wurde Rom Hauptstadt Italiens. Das größte Verdienst von Vittorio Emanuele II. war seine Einsicht, dass das absolutistische Modell überholt war und dass stattdessen die Macht einer Monarchie aus der Stärke des sozialen Lebens kommt. Zahlreiche Legenden entwickelten sich um Viktor Emanuel. Sie zeigten das Bild eines mutigen Königs, ehrenhaft und fair, Vorbild und Garant für Sicherheit.

Seit 1861 präsentierte sich das vereinte Italien in der europäischen Szene als ein politisch junger Staat, zwar sozial noch rückständig, aber immerhin erste Macht im Europa der zweiten Reihe. Außenpolitisch löste der König die offenen Probleme Venetien und Rom. Diese Gebiete standen noch unter österreichischer beziehungsweise päpstlicher Herrschaft. Innenpolitisch zielte der König auf die Zentralisierung der staatlichen Macht, indem er die piemontesischen Gesetze und Verwaltungsordnungen auf das ganze damalige Italien ausdehnte. Vittorio Emanuele II. starb am 9. Januar 1878. Er war so populär wie kein anderer der Savoyer, die nach ihm kamen.

Der zweite König von Italien, Umberto I., wurde zehn Tage nach dem Tod des Vaters inthronisiert. Er nannte sich Umberto I. und nicht Umberto IV. - wie es sein sollte - um damit den Beginn einer neuen Ära zu betonen.

Das politische Profil von Umberto I. unterschied sich sehr stark von dem seines Vaters. Es fehlte ihm die lebendige ausgleichende Energie. Als er bemerkte, dass er nicht im Stande war, die Konstitution im parlamentarischen Sinn weiter zu entwickeln, setzte er alle seine Kräfte in die Verstärkung des Heeres. Nachdem Umberto I. in seinem Land viel Prestige verloren hatte, begann man im Sommer 1900 über seine mögliche Abdankung zu sprechen. Ein toskanischer Anarchist kam der Entscheidung zuvor und ermordete ihn in Monza.

Nach dem Tod seines Vaters Umberto begann die trostlose Periode von Vittorio Emanuele III.: ein eher bürgerlicher als adeliger Savoyer, der die Verpflichtung, König zu sein, geerbt hatte. Weit entfernt von der Tradition der Savoyer war er anspruchslos und sparsam bis zum Geiz, eigensinnig und skeptisch gegenüber Menschen und Ereignissen. Vittorio Emanuele hatte Komplexe wegen seiner kleinen Gestalt (148 Zentimeter) und seinem unangenehmen Äußeren. Er hielt sich instinktiv sehr zurück und war unsicher in allen interpersonellen Kontakten. Mittelmäßig gebildet - wenn auch mehr als Vater und Grosßvater - hatte er kein Interesse für Kunst und Kultur. Der kleine König heiratete 1896 Elena von Montenegro, die in Petersburg unter der Protektion der Zarin Maria Feodorowna erzogen worden war. In der Umgebung des neuen König verbreitete sich eine Mischung aus Neugier und Sorge.

Viele Momente großer Entscheidungen - zum Beispiel in den Zeiten des Ersten Weltkriegess ließ Vittorio Emanuele III. vorübergehen, ohne dass er offizielle Erklärungen abgab. Er zog es vor, hinter den Kulissen zu reden und zu handeln. Er hoffte sogar, dass politischer Streit im Land die Macht der Krone verstärken könnte.

Die Zeit des großen Durcheinanders in Italien nutzte Benito Mussolini, um in Mailand 1919 seine "Fasci italiani" zu gründen. Er mobilisierte alle konservativen Kreise, die sich vor der Aussicht auf eine bolschewistische Revolution fürchteten. Mussolini setzte den König mit seinem "Marsch auf Rom" und mit der Androhung eines Bürgerkrieges zusätzlich unter Druck. Diese Strategie führte zur halb revolutionären und halb legalen Machtübernahme Mussolinis im Oktober 1922. Für den kleinen König ging diese Herausforderung über seine Kräfte und seine Fähigkeiten. Er hat sich zwar nie mit Mussolini identifiziert, aber dessen Politik zwei Jahrzehnte lang legitimiert.

Im Sommer 1942 wurde klar, dass Italien kurz vor dem Zusammenbruch stand. Nun änderte der König seine Haltung gegenüber Mussolini. Es ging ihm vor allem um die Erhaltung seiner Dynastie. Mit einem Staatsstreich verhaftete Vittorio Emanuele den Diktator Mussolini am 24. Juli 1943 und beauftragte Pietro Badoglio, aus Militärs und hohen Beamten ein neues Kabinett zu bilden.

Es folgte in Italien eine Zeit des führungslosen Chaos mit dramatischer Ungewissheit und Zweideutigkeiten. Der Krieg an der Seite Deutschlands ging theoretisch weiter. Die Alliierten landeten an verschiedenen Punkten der süditalienischen Küste. Der König unterzeichnete einen geheimen Waffenstillstand mit ihnen. Mussolini, der von den Deutschen befreit worden war, kehrte 1943 von Deutschland nach Italien zurück, wo er in Salò am Gardasee die "Repubblica Sociale Italiana" gründete und ein republikanisch-faschistisches Heer aufstellte.

Die Deutschen besetzten Rom und zwangen das Königshaus und die Regierung zu einer chaotischen Flucht. Diese Flucht zu den Alliierten, die auch als königlicher Verrat interpretiert werden könnte, war das dramatische Ende eines viel zu kleinen Königs, der gezwungen wurde, in einer viel zu großen Epoche zu herrschen. Es war auch das Ende einer Monarchie, die Italien gründete und in diesem Moment im Stich ließ.

Vittorio Emanuele III. unterzeichnete am 9. Mai 1946 seine Abdankung - nach 46-jähriger Herrschaft - zugunsten seines Sohnes Umberto von Savoyen, Prinz von Piemont, und ging ins Exil nach Ägypten.

Der neue König Umberto II. war ein Thronerbe, der durch seine Erziehung nicht auf die Rolle vorbereitet war, die die Geschichte ihm zugewiesen hatte, zuerst als Statthalter und dann als König. Grundlos beschuldigte der König in einer Proklamation den Premier Alcide De Gasperi, "die Macht, die ihm nicht zusteht, mit einem unilateralen Akt erworben zu haben und den König in ein Dilemma gebracht zu haben: entweder Blutvergießen zu provozieren oder Gewaltakte zu dulden". Am 13. Juni, nach 35 Tagen Amtszeit, verließ Umberto II. ganz plötzlich Rom und flog mit einer Militärmaschine nach Portugal ins Exil.

In der Zwischenzeit hatte sich die Bevölkerung Italiens in dem Referendum vom 2. Juni 1946 mit 12,7 Millionen Stimmen für die Errichtung einer Republik und mit nur 10,7 Millionen für den Erhalt der Monarchie entschieden. Dieses Ergebnis wurde von den politischen Kommentatoren als "ein Wunder der Vernunft" definiert. Aber bei den Anhängern der Monarchie herrschte der Verdacht, die Ergebnisse des Referendums könnten gefälscht sein.

Danach entspannte sich die Situation sehr schnell. Seit dem 16. Juni wurde Umberto II. von den italienischen Medien komplett ignoriert. Die italienische Republik wurde am 18. Juni 1946 proklamiert. Die neue Verfassung schließt kategorisch aus, dass in Italien wieder eine Monarchie herrschen kann. Das Einreiseverbot für die Savoyer wurde kürzlich aufgehoben.

Der Untergang der Savoyer Dynastie, die in Italien 85 Jahre lang herrschte, passierte in einer Zeit von vergifteter Atmosphäre, Gejammer und Zweideutigkeit. Die zwei letzten Savoyer mussten sich nacheinander ohne Ruhm aus der Geschichte Italiens verabschieden.

Daraus kann man die Schlussfolgerung ziehen: Vittorio Emanuele III. hat 46 Jahre lang seine durch Erbschaft erhaltene königliche Macht oft mit dramati-schen Entscheidungen ausgeübt und sich schwerer Untaten schuldig gemacht. Ein Staatspräsident dagegen, der seine Macht durch eine Wahl erhält, hat nur sieben Jahre Zeit für solches Handeln. Seit 1946 gab es in der italienischen Republik zehn Präsidenten aus verschiedenen politischen Richtungen.

Einen guten König zu haben, ist ein Glücksfall. Einen guten Staatspräsidenten der Republik zu haben, ist jedoch eine demokratische Entscheidung, die durch Auswahl mehrerer Kandidaten aus unterschiedlichen Vorschlägen - abgesehen von der Zugehörigkeit zur politischen Farbe - getroffen wird.

Ursula Kruschel und Claudio Bonvecchio Die Autoren arbeiten als freie Journalisten in Düsseldorf.

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