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Claudia Heine
Ein amerikanischer Traum: König Artus in
Washington
Die perfekte Verkörperung des
Königsmythos
Da es anscheinend den Orientierungssinn sehr
vieler Menschen erleichtert, gibt es zwei Möglichkeiten:
Entweder, man "leiht" sich benachbarte Monarchen zur Sinnstiftung
aus oder man schafft sich eine eigene Ersatz-Königsfamilie. In
Ländern, in denen nie eine Monarchie existierte, wie in den
USA, und in Ländern, in denen sie beseitigt worden ist, wie in
Deutschland, gibt es eben nur diese beiden Varianten. Dass es nicht
darum geht, eine historische Lücke zu füllen, zeigt sich
am Beispiel der Vereinigten Staaten. Hier wird nur König, wer
von der Gesellschaft dazu gemacht wird, als ständig
präsenter Medienstar.
Ein paar Bedingungen müssen jedoch
erfüllt sein und eine zentrale ist: Reichtum. Entweder kann
der Auserwählte seine Geschichte vom Tellerwäscher zum
Millionär erzählen, oder aber - eher wahrscheinlich - er
wurde vermögend geboren, was seine Chancen automatisch
erhöht. Ob man bei den Kennedys die erste, gerechtere,
Variante oder die zweite erblickt, hängt ganz vom Standpunkt
ab. Beginnt man mit den Urgroßeltern von John Fitzgerald
Kennedy, landet man bei irischen Einwanderern, die sich vom Rand
der Gesellschaft hochgearbeitet haben. Beginnt man bei John F.
Kennedy selbst, liest sich die Geschichte schon anders. Als er 1917
in Brooklin (Massachusetts) wurde, war sein Vater, Bankdirektor,
später Reedereibesitzer und Politiker, bereits mehrfacher
Millionär: "In dieser Familie wollen wir nur Gewinner",
lautete seine Maxime. Ihr hatten sich zuerst die eigenen neun
Kinder unterzuordnen. Seit er in den 40er-Jahren des 20.
Jahrhunderts seine eigene politische Laufbahn - als US-Botschafter
in London - beendete, kannte er nur ein Ziel: einen seiner vier
Söhne zum amerikanischen Präsidenten zu
machen.
Reichtum und Macht allein aber erklärt
den Zauber nicht. Für eine Aura des Monarchischen bedarf es
noch einiger anderer Zutaten. Die wichtigste ist die Familie
selbst. Je größer dieser Kreis, desto höher die
Chancen auf Intrigenspiele, Skandale, Tragödien, sympathische
Figuren und schwarze Schafe. In seiner Mitte jedoch braucht es eine
Lichtgestalt, auf die kein Schatten fällt oder fallen darf.
All dies vereinte die Familie der Kennedys, die heute ungefähr
90 Mitglieder zählt.
Und diese zentrale Lichtgestalt war John F.
Kennedy. Nachdem sein älterer Bruder Joseph die Mission des
Vaters nicht mehr erfüllen konnte, war er an der Reihe. Joseph
starb im Zweiten Weltkrieg bei einem Flugzeugabsturz, und so begann
der systematische Aufbau Johns durch den Vater aus einem tragischen
Zufall heraus. Er konnte sich jedoch auf eine solide Basis
stützen: John hatte an der Elite-Universität Harvard
Politische Wissenschaften studiert und schrieb während und
nach dieser Zeit bereits journalistische Artikel und Reden für
seinen Vater. Und "für sich" ein Buch: Seine Erfahrungen
während einer ausgedehnten Europareise 1937 mündeten
zunächst in eine Examensarbeit, die unter dem Titel "Why
England slept" veröffentlicht und dann ein Bestseller wurde.
Die Innenansichten des Faschismus und die Auseinandersetzung mit
der zögerlichen Haltung Englands führten John F. Kennedy
zu einer grundsätzlichen Kritik an der Apeasment-Politik.
Darin unterschied er sich deutlich von der Position seines Vaters,
konnte auf dessen finanzielle Unterstützung aber voll bauen.
Mit seinem Millionen-Vermögen (es wurde bei seinem Tod auf
ungefähr 500 Millionen Dollar geschätzt) hatte dieser
sich politische Bedeutung und publizistische Wirkung erkauft. Er,
der die Demokratische Partei regelmäßig mit großen
Summen unterstützte, war bereits eine öffentliche
Erscheinung - und damit auch die Familie.
Eine Beziehung John F. Kennedys zu einer
dänischen Schönheitskönigin, die er sogar heiraten
wollte, beschäftigte in den 40er-Jahren bereits die
Klatschpresse und drohte, den Ruf der Familie zu beschädigen.
Inga Arvad, so ihr Name, lebte mittlerweile als Journalistin in den
USA, hatte jedoch in den 30er-Jahren als Korrespondentin einer
dänischen Tageszeitung in Berlin über gute Kontakte zur
NS-Elite verfügt. Nach langem Zögern beendete Kennedy die
Beziehung, die eigene Karriere bereits im Blick. 1947 wird er
Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus und 1953 Senator
für Massachusetts.
Der attraktive und charmante Kennedy hatte
bereits wertvolle Vorleistungen erbracht - es war die Rolle des
Prinzen. Für die Aura des Königlichen fehlte noch ein
entscheidender Baustein: die Frau an seiner Seite, die in der
Person Jacqueline Lee Bouviers nicht perfekter hätte sein
können. Nur mit ihr glänzte er wirklich. Wir kennen sie
aus dem Märchen: Prinzen- oder Königspaare, die jung und
schön sind, in samtende Gewänder gehüllt und in
Schlössern residierend. Sie müssen jedoch ein
Bedürfnis befriedigen: Das kindliche, eine schöne
Märchenprinzessin oder stolzer Ritter zu sein, traf im Amerika
der 50er- und 60er-Jahre auf das reale Bedürfnis breiter
Schichten nach gesellschaftlicher Erneuerung.
So waren es vor allem junge Frauen und junge
Männer, die sich von dem Politiker und seiner Frau angezogen
fühlten. Für viele Frauen, die während des Krieges
den Herd gegen die Werkbank getauscht hatten und nach Kriegsende,
nicht ganz unfreiwillig, zu einem Rücktausch gezwungen wurden,
war Kennedy der Mann, der mit jugendlichen Charme an diese alten
Fortschritte anknüpfte. Und seine Frau verkörperte ein
neues (wenn auch nicht sehr emanzipiertes) Rollenbild: nicht mehr
vergleichbar mit ihren Vorgänger-Mamis. Stets elegant
gekleidet wurde "Jackie" zur Stilikone. Für die Männer
versprach Kennedy etwas anderes: 46 Prozent der Männer
zwischen 18 und 40 Jahren hatten - wie er - als Soldat im Zweiten
Weltkrieg gekämpft und warteten danach vergeblich auf ihre
gesellschaftliche Anerkennung. Doch die alten Vorkriegseliten waren
nicht gewillt, das Ruder aus der Hand zu geben. John F. und
Jacqueline Kennedy verkörperten also in mehrfacher Hinsicht
einen Bruch mit alten Strukturen.
Sie erfüllten außerdem das private
Bedürfnis nach romantischer Liebe und einer familiär
heilen Welt. Immer strahlend, niedliche Kinder im Arm oder auf der
Wiese vor ihrem Schloss, dem Weißen Haus: das war das Bild
einer völlig neuen Präsidentenfamilie in den wenigen
Jahren vom Wahlsieg 1960 bis zum Attentat in Dallas 1963. Gerade
diese neue, private Seite der Macht gab ihr die Legitimation,
ließ die Popularitätswerte des Präsidenten in bisher
unbekannte Höhen ansteigen.
Doch das Ausmaß der Inszenierung war
ernorm: Weder war John F. Kennedy so dynamisch wie er vorgab zu
sein. Eine Rückenverletzung aus der Jugend zwang ihn mehrfach
und ohne rechten Erfolg auf den Operationstisch und später oft
in ein Korsett. Eine seltende Immunkrankheit machte ihn
abhängig von einem Dutzend Tabletten täglich. Die Ehe
wurde durch seine zahlreichen Affären belastet.
Ohne zwei Dinge lässt sich die Bedeutung
der Kennedys aber nicht verstehen: das Fernsehen und der zu
frühe, gewaltsame Tod des Protagonisten. John F. Kennedy war
zu einer Zeit Präsident, in der das Fernsehen zum Massenmedium
wurde. In einem nie gekannten Ausmaß war er präsent,
beinahe täglich, und wurde zu einem Stück Alltag der
Bevölkerung. Die Kennedys schlüpften so fast automatisch
in die Rolle der fürsorgenden Landeltern, die immer da, immer
nahe sind. So verband sich die emotionale Nähe mit der
visuellen; eine moderne Variante des Märchenbuchs.
Zum Mythos gehört die Tragik oder
umgekehrt: Ein tragischer Tod beliebter Persönlichkeiten
schafft erst jene Verklärung, in der es dann keine Rolle mehr
spielt, dass der 35. Präsident der USA politisch eine eher
mittelmäßige Bilanz vorzuweisen hat. In der es auch keine
Rolle spielt, dass der politische Einfluss und Erfolg der
Kennedy-Erben insgesamt doch eher bescheiden blieb. Durch seinen
Tod wurde nicht nur er zu einem überidealisierten Figur, mit
der man noch 30 Jahre später erfolgreich Wahlkampf machen
kann. Noch heute ist die Familie von dieser geheimnisvollen Aura
umgeben. Als 1999 der Sohn des Paares bei einem Flugzeugabsturz
starb, verfiel das ganze Land in kollektive Trauer; der Mythos
erhielt neue Nahrung.
Und seine Frau? Ihr Bild im blutbefleckten
Kleid war omnipräsent - sie war die tragische Heldin des
Augenblicks, der seine Mystik noch dadurch bewarte, dass Jackie
Kennedy schwieg. Lediglich zwei Interviews gab sie bis zu ihrem Tod
1994. In ihrem ersten, eine Woche nach der Tat, überredete sie
den Journalisten Theodore White von "Life", die
Präsidentschaft Kennedys als eine Version der Artussage
darzustellen: das mythisch verlorene Königreich von König
Artus, das damals durch ein Musical in aller Munde war, und dessen
Mitschnitt sich das Präsidentenpaar im Weißen Haus oft
angehört hatte. White schrieb später über die Folgen
des Gesprächs mit ihr: "So wurde Camelot zur Grabinschrift der
Regierung Kennedy - ein magischer Augenblick in der amerikanischen
Geschichte, als galante Herren mit wunderschönen Frauen
tanzten, als man große Taten vollbrachte und das Weiße
Haus zum Mittelpunkt des Universums wurde."
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