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Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Roger Boyes

Prinz Charles als rot-grüner König

Wie kann die königliche Mission der Zukunft aussehen?

Die Queen kommt! Allein die Aussicht darauf, dass eine kleine, ungewöhnlich gekleidete Frau mit einer riesigen Handtasche und einer größeren Liebe zu Pferden als zu Menschen, in Kürze nach Berlin kommen wird, hat die deutsche Hauptstadt auf den Kopf gestellt. Es gibt ein Gerangel um Einladungen, und junge deutsche Aristokraten suchen per E-Mail bei der "Times" um Rat: "Wie war das noch gleich, Roger, sagen wir ?Ma'am' zu ihr, wenn wir sie das erste Mal treffen, oder ,Your Majesty'?"

Über die Queen of England gibt es nichts wahrhaftig Interessantes. Sie ist nicht ausgesprochen geistreich - die Witze stammen meist noch von ihrem Ehemann. Ihr Small-Talk hält sich in engen Grenzen. Selbst ein quiekender Michael Jackson ist da interessanter. Ihre Talente beschränken sich aufs Winken und Lächeln. Dennoch umstrahlt sie der Glanz des Königlichen. Ein Teil davon ist ein bewusster Mystizismus. Bei ihrer Krönung wurde die Queen mit heiligem Öl gesalbt. Der während dieser Zeremonie verwendete Löffel wurde zum ersten Mal 1042 benutzt. Das Öl sollte der Queen, wenn schon nicht göttliche Macht, so doch zumindest den göttlichen Segen zur Macht geben: eine Löffelportion Charisma.

Welcher Natur ist dieser primitive Zauber - und welche Relevanz hat er für moderne Gesellschaften im Umbruch? Könige und Königinnen sind nicht gänzlich überflüssig geworden. Es gibt mächtige und intelligente Monarchen: sowohl König Hassan von Marokko als auch König Abdullah von Jordanien bewirken mit Vorsicht eine Liberalisierung ihrer jeweiligen Bevölkerungen und suchen nach Wegen für eine Entradikalisierung des Islams. Sie sind jedoch keine konstitutionellen Monarchen. Ihr Aktionsrahmen zur Herbeiführung von Veränderungen ist an die Tatsache gebunden, dass sie über eine undemokratische Ordnung herrschen, ihre Autorität wird von einem undemokratischen Rechtswesen gefiltert. Früher oder später werden sie eher Hindernisse des Fortschritts sein als Katalysatoren. Könige und Königinnen, die nicht durch konstitutionelle Beschränkungen gehemmt werden, sind potentiell gefährlich.

Königshöfe neigen dazu, das Verhältnis der Monarchen zur Außenwelt zu filtern; sie fungieren häufig als eine diktatorische Gesellschaft. Die Versuche des Hofes von Prinz Charles, das öffentliche Image seiner entfremdeten Ehefrau Diana zu zerstören, beinhalteten einige der giftigen Techniken der kommunistischen Propaganda. Eine demokratische Gesellschaft kann das gestörte Gleichgewicht teilweise korrigieren. Doch eine Monarchie ohne konstitutionelle Beschränkungen wird immer einen Schutzschild vor dem Machtmissbrauch errichten. Ryszard Kapuscinski hat einprägsam den Hof um Haile Selassie, Herrscher von Äthiopien, beschrieben: "Nach einer Entscheidung gefragt, antwortete der Herrscher nicht gerade heraus, sondern sprach mit einer so leisen Stimme, die nur einen Minister erreichte, welcher sein Ohr wie ein Mikrophon vor ihn hielt. [...] Aus dem geheimen Kabbala der Worte des Monarchen konnte er eine Entscheidung nach seinem eigenen Wunsch konstruieren."

Konstitutionelle Beschränkungen für Könige und Königinnen sind von essentieller Wichtigkeit, doch sie machen die Monarchie letztendlich bedeutungslos. Tony Blair erklärte sich nur zögerlich einverstanden, eine Tradition fortzuführen, die eine regelmäßige Unterweisung mit der Queen an Dienstagabenden vorsieht; die dänische Königin Margrethe erhält ihren politischen Bericht mittwochs. Von keiner der beiden Königinnen wird eine Entscheidung oder ein politischer Ratschlag erwartet. Sie stehen jedoch an der Spitze eines leistungsorientierten Ameisenhaufens. Selbst noch so republikanisch denkende Persönlichkeiten zeigen sich offen gegenüber dem Privileg, mit ?Sir' oder ?Lady' angesprochen zu werden. Es ist eine preiswerte, effektive Form, unterbezahlte Staatsdiener oder Wohltätigkeitsmitarbeiter zu belohnen; das Bundesverdienstkreuz kann nicht mithalten mit einer Medaille, die von der Queen dem "Commander of the Order of the British Empire" überreicht wird. Doch selbst diese großartig aristokratisch klingenden Auszeichnungen sind auf eine Liste zurückzuführen, die von der Regierung erstellt wird. Die Queen unterschreibt die Formulare; sie macht nichts weiter, als ihren Namen tausendmal am Tag zu verleihen.

Doch sieben der 25 Mitgliedsländer der EU sind Monarchien; die Europäische Kommission und weitere EU-Institutionen haben ihren Standort im Königreich Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg. Irgendwo, versteckt in diesen nackten Tatsachen, muss eine kohärente königliche Mission, eine europäische Mission liegen.

Eine mögliche Antwort darauf ist Juan Carlos, der Spanien erfolgreich durch die Post-Franco Ära geführt hat. Als der Kommunismus zusammenbrach, spielten einige osteuropäische Gesellschaften mit der Idee, die Monarchie wiederherzustellen: Das Beispiel Juan Carlos schien Stabilität zu versprechen und die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Juan Carlos war es, der 1978 die demokratische Verfassung unterzeichnete und der einige Jahre später durch die Niederschlagung eines Staatsstreichs demonstrierte, dass dies nicht bloß ein rein protokollarischer Akt war. Der König ist auch der Oberbefehlshaber des Militärs, und er setzte seine Macht dazu ein, das Offizierskorps anzuweisen, die Ordnung in Spanien aufrecht zu erhalten. Er meisterte die Krise, indem er sich per Rundfunk direkt an die Nation wandte. Und er überlebte Attentatsversuche. Ein tapferer Mann, der bereit ist, die demokratische Ordnung zu verteidigen.

Europa kann wählen, schrieb 1927 der polnische Futurist Alexander Wat voll Ironie, zwischen der Vernichtung und der Monarchie. Tatsache ist, dass Monarchen nicht länger ihre Nationen retten können. Alles, was sie hoffen tun zu können, ist, sich selbst vor der Bedeutungslosigkeit zu bewahren.

Den interessantesten Versuch, aus der Talfahrt auszubrechen, hat der frühere König Simeon von Bulgarien unternommen, der jetzt bulgarischer Premierminister ist. Simeon bestieg den bulgarischen Thron 1943 im Alter von sechs Jahren, nach dem Tod seines Vaters Boris III., wurde jedoch 1946 des Landes verwiesen. Einige, wie der Politikwissenschaftler Andrei Ivanov, glauben, dass Simeon Bulgarien langsam zu einer konstitutionellen Monarchie führen wird: "Ich glaube, das ist seine heimliche Agenda." Zurzeit ist Simeon bereit, mit mehreren Identitäten zu leben. Als er 1946 aus Bulgarien floh, wurde er Simeon Rilski, als er ins Geschäftsleben eintrat, nahm er den Namen seines Vaters, Saxe-Coburg, an. Heute hat er einen bulgarischen Pass, in dem Simeon Saks-Koburggotski steht. Er ist nicht nur Premierminister, sondern auch der Kopf einer politischen Bewegung und, wie er es beschreibt, Vorstandsvorsitzender der Bulgarien AG. Dies scheint der Schlüssel zum Überleben des Königtums zu sein: Es muss sich selbst wichtig und verantwortlich machen.

Überall in Europa tun Kronprinzen dasselbe: mit Politikern reden, zum Nordpol wandern, sie lernen, per Fernsehen zu kommunizieren. Die meisten verstehen, dass man, um ein moderner König oder eine Königin zu sein, im voraus Respekt erheischen und sich selbst der öffentlichen Anerkennung unterwerfen muss. Natürlich gibt niemand vor sich selbst zu, bereit zu sein, in Simeons Fußstapfen zu treten. Aber wenn man die Aktivitäten von Prinz Charles betrachtet, sieht man eher die Entstehung eines Politikers als eines Monarchen. Er interessiert sich für Architektur, Landwirtschaft, Osteuropa, die Finanzwirtschaft und Arbeitslosigkeit. Charles wird eines Tages der erste rot-grüne König sein. Dies scheint ein intelligenter Weg nach vorn zu sein. Moderne Monarchen sollten ein Programm haben, auch wenn sie nicht die direkte Macht haben, es einzuführen. Während sie das Volk für ihre Ideen gewinnen, können sie einen Wechsel voranbringen - oder politische Attacken gegen Traditionen überstehen.

Die meisten Kronprinzen Europas sind aber nicht so selbstbewusst politisch. Sie begreifen lediglich, dass sie eine Brücke zur Mittelschicht bauen müssen, verwenden dabei aber die älteste Methode überhaupt, die der sozial-technischen Heirat. So wie die Habsburger in ihrem Reich Frieden durch intelligente (und gewöhnlich lieblose) Hochzeiten schufen, schaffen die neuen Hoheiten Frieden mit der Bourgeoisie. Heiraten aus Liebe ist eben doch eine Erfindung der Mittelschicht. Der Eintritt in die Monarchie war für die Gescheiten, Gutaussehenden und Ehrgeizigen niemals leichter.

Die Erfahrung mit Prinz Charles und Prinzessin Diana zeigt, dass nur wenige Ehen intensive Überwachung überstehen können. Dennoch muss die moderne Monarchie einen Pakt mit den Medien eingehen, sie muss sich selbst der Welt zeigen. Es muss ein frischer Wind durch die Paläste wehen.

Der erste Schritt in konstitutionellen und auch in sich erneuernden absolutistischen Monarchien muss eine Art Selbstbegrenzung sein. Es gibt einfach zu viele Prinzen und Prinzessinnen, die finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. Ja, ein Monarch braucht einen Erben, aber er oder sie braucht keine Horde von Reserve-Sprösslingen. Es gibt zu viele Prinzessinnen, die ihre Zeit in Ski-Orten oder in Nachtclubs verbringen. Die Titel sollten allen außer den direkten Thronerben aberkannt werden: Die anderen müssten verdienen und sich benehmen wie gewöhnliche Bürger. Das, als ein Anstoß, würde das Ansehen der Königshäuser verbessern. Es würde natürlich auch ein Problem für die Regenbogenpresse schaffen. Man stelle sich vor, Prinz Ernst-August wäre lediglich Diplom-Landwirt Hannover; wie oft würde sein exzentrisches Verhalten in der Zeitung dargestellt werden?

Allein diese Gedanken überzeugen mich, dass Deutschland eine sinnvolle Staatsverfassung hat: Besser ein gewählter und machtloser Präsident, der an seiner Ausstrahlung und seinen Fähigkeiten gemessen wird, als ein Dutzend unmotivierte und desorientierte Könige. Es lebe der Bundespräsident!

Roger Boyes ist Korrespondent von "The Times" in Berlin.

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