Online-Konferenz
EU-Aussschuss
Thomas Silberhorn, CDU/CSU
Transkript der Online-Konferenz zum Thema "Europa geht uns alle an!"
Name | Frage | Antwort |
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Henriette Kramer | Für den europäischen Einigungsprozess wird auch wichtig sein, inwieweit sich in den neuen Mitgliedsländern stabile Parteienlandschaften herausbilden. Ich denke hierbei insbesondere an Polen. Was kann Ihre Partei dafür tun, um diesen Prozess zu unterstützen? | Die CSU hat zahlreiche Kontakte zu den bürgerlichen Parteien gerade in den neuen EU-Mitgliedstaaten. Ein Knotenpunkt des Netzwerks ist die Europäische Volkspartei, die Dachorganisation der bürgerlichen Parteien in Europa. Institutionalisierte Kontakte unterhalten auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und des Deutschen Bundestages, z.B. in bilateralen Parlamentariergruppen. Darüber hinaus pflegen wir einen regelmäßigen Austausch bei Parteitagen und anderen Anlässen. Besonders enge Kontakte haben wir in der CSU mit den bürgerlichen Parteien in unserer engeren und weiteren Nachbarschaft bis nach Ungarn und Kroatien. Mit Polen verbinden mich mittlerweile eine Reihe guter persönlicher Kontakte. Zusammen mit mehreren Kolleginnen und Kollegen der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war ich erstmals im letzten Jahr drei Tage in Polen. Zur Zeit habe ich einen Praktikanten aus Lodz für drei Monate in meinem Berliner Büro. Voraussichtlich im Herbst werde ich wieder zu Gesprächen und Vorträgen nach Polen reisen. Sie sehen, es tut sich eine ganze Menge. |
Miller, Gerd | Mich interessiert Ihre Argumentation zur Verfassung der Europäischen Union: warum sind Sie gegen einen Volksentscheid über den vorgelegten Verfassungsentwurf in Deutschland? | Woher wissen Sie, dass ich gegen einen Volksentscheid bin? Die Einführung eines Volksentscheids wäre nur durch eine Verfassungsänderung möglich. Für die Ratifikation des Europäischen Verfassungsvertrags alleine das Grundgesetz zu ändern, halte ich für verfehlt. Dies wäre ein Maßnahmegesetz für eine einmalige Volksabstimmung, das dann wieder obsolet würde. So sollten wir mit unserer Verfassung nicht umgehen. In der Sache stehe ich Volksentscheiden durchaus aufgeschlossen gegenüber. Ich hielte es für überlegenswert, Volksabstimmungen in EU-Angelegenheiten einzuführen, insoweit aber nicht auf Einzelfälle beschränkt. Art. 23 GG könnte entsprechend geändert werden. |
Herr Köpke | Wie wollen Sie die "grenzüberschreitende Kriminalität" denn konkret bekämpfen? | Die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität gehört mit zu den Aufgaben der EU. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden (Zoll, Polizei, Bundesgrenzschutz) ist auf einem guten Weg. Gerade in den Grenzregionen - ich komme selbst aus Oberfranken - zeigt sich, dass diese Kooperation erfolgreich ist. Die EU-Osterweiterung hat insoweit die Lage bei uns sicherer gemacht. Erkennbar ist auch, dass sich die neuralgischen Punkte in der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität an die neuen EU-Außengrenze verlagern. |
Herr Köpke | Zum Teil fehlt es den neuen Beitrittsländern doch aber an Geld? Unterstützen wir hier wieder mit Steuergeldern? | Die Beitrittsländer sind in alle Programme der EU einbezogen und erhalten insbesondere die Höchstförderung in der Strukturpolitik. Diese Ausgaben werden wie alle Ausgaben der EU zu ca. 22 Prozent von Deutschland bezahlt. Deutschland erhält im Übrigen ebenfalls Fördermittel aus den EU-Strukturfonds. Eine angemessene Berücksichtigung insbesondere der neuen Bundesländer und der Grenzregionen zu Polen und Tschechien steht gerade auf der Tagesordnung, da die finanzielle Vorausschau der EU für die Jahre 2007 bis 2013 erst noch beschlossen werden muss. |
Ivon | Wie soll die Abwanderung der Industrie in die Billiglohnländer Europas Ihrer Meinung nach verhinert werden? | Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Staaten mit niedrigerem Lohnniveau kann nur dann verhindert werden, wenn wir selbst wettbewerbsfähig bleiben. Einen Wettlauf um den niedrigsten Lohn werden wir allerdings nicht gewinnen können. Um das Maß, um das wir teurer sind, müssen wir daher besser sein. Dazu müssen die staatlichen Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass Unternehmen bei uns eine hohe Produktivität erzielen können. Die dringendsten Reformen wären eine Vereinfachung des Steuersystems und die Deregulierung des Arbeitsmarktes. Hier zeigt sich, dass die neuen EU-Mitgliedstaaten ihre Reformen wesentlich schneller und tiefgreifender vornehmen als wir. Daneben halte ich es für erforderlich, ein Steuerdumping im Binnenmarkt zu unterbinden. Es kann nicht angehen, dass EU-Mitgliedstaaten ihre Unternehmensbesteuerung auf Null zurückfahren und gleichzeitig Investitionen in diesen Ländern mit EU-Mitteln, die zu etwa einem Viertel von Deutschland gezahlt werden, gefördert werden. So finanzieren wir die Verlagerung unserer Arbeitsplätze zu einem guten Teil selbst. Aus diesem Grund muss die Auszahlung von EU-Fördermitteln an die Bedingung geknüpft werden, dass die Empfängerländer ein Mindestaufkommen aus der Besteuerung von Unternehmen selbst erzielen. |
Lutz | Arbeitnehmer in Deutschland bekommen im Verhältnis zu ihren polnischen Nachbarn ein hohes Einkommen. Muss jetzt nicht damit gerechnet werden, dass das Lohnniveau in Grenznähe zu Polen sinkt und damit im Vergleich zu Deutschland noch weiter abfällt? | Das Lohnniveau wird durch Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. Die Löhne können also dann sinken, wenn Arbeitnehmer Arbeitsleistung gegen geringere Bezahlung anbieten und dafür auch eine Nachfrage besteht. Nach meiner Einschätzung wird dies nicht generell der Fall sein. Das liegt u.a. daran, dass die Mobilität polnischer Arbeitnehmer nicht sonderlich hoch ist. Hinzu kommt, dass Pendler aus Polen in begrenztem Umfang schon seit Jahren nach Deutschland kommen. Insoweit hat sich die Situation durch die EU-Osterweiterung nicht wesentlich geändert. Im Übrigen wurden für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in den Beitrittsverträgen Übergangsfristen vereinbart, so dass die Arbeitsmigration weiterhin begrenzt bleibt und eine große Welle von Zuwanderern aus Polen daher nicht zu erwarten ist. Eine ähnliche Situation ergibt sich an der deutsch-tschechischen Grenze, wo das Lohngefälle noch wesentlich schärfer ist als zwischen Deutschland und Polen. Ich komme selbst aus Oberfranken und musste feststellen, dass wir das Problem der Migration und Billiglohnkonkurrenz in den letzten Jahren überschätzt haben. Viel schwieriges ist, dass Betriebe ihre Arbeitsplätze von Deutschland direkt in die osteuropäischen Nachbarstaaten verlagern. Zu diesem Problem vg. meine zuvor gegebene Antwort an Ivon aus Berlin. |
Daniela Petrides | Lieber Herr Silberhorn, glauben Sie nicht, dass es langsam an der Zeit ist von der Politik der "schürenden Ängste" gegen die neuen Partner und Nachbarn im Osten abzurücken und sich stattdessen für eine Politik des "miteinander" einzusetzten? | Es ist langsam an der Zeit, dass wir von den Sonntagsreden abrücken, in denen die europäische Integration in rosaroten Farben geschildert wird, ohne auf die in der Praxis bestehenden Probleme einzugehen. Bei der EU-Osterweiterung wird die Diskrepanz besonders deutlich. Alle Parteien - auch ich - begrüßen diesen Schritt. Aber es ist einfach zu kurz gesprungen, nur die epochale Bedeutung dieser Erweiterung zu würdigen und darüber die konkreten Auswirkungen vor Ort zu übersehen. Weshalb wohl ist eine Mehrheit der Deutschen der Ansicht, dass die Osterweiterung für sie eher Nachteile als Vorteile bringen wird? Weil viele mit den Schwierigkeiten wie etwa der Arbeitsplatzverlagerung konkret betroffen sind, aber gerade die Bundesregierung darauf keine Antwort bietet. Diese Probleme zu benennen, ernst zu nehmen und Lösungen zu entwickeln, hat nichts mit Schüren von Ängsten zu tun. Im Gegenteil: Die Ängste, die in weiten Teilen der Bevölkerung tatsächlich bestehen, wird nur abbauen können, wer ihre Probleme nicht ignoriert, sondern sich ihrer annimmt. |
Malte Milatz | Was wird für sprachliche Gleichberechtigung getan und für das "Problem Babel" im europäischen Parlament und in Brüssel? Welche Argumente sprachen gegen Esperanto als neutrale Lösung zur Überwindung sprachlicher Barrieren bei internationalen Veranstaltungen, was im Plenum des Staßburger Parlaments abgelehnt wurde? | Die "sprachliche Gleichberechtigung" wird dadurch sicher gestellt, dass die Amtssprache jedes Mitgliedstaates auch Amtssprache der EU ist. Auf Arbeitsebene hat man sich auf weniger Sprachen verständigt. Hierbei ist es wichtig, dass Deutsch als die von den meisten Unionsbürgern gesprochene Sprache auch in der Praxis berücksichtigt wird. Der Bundestag hat im letzten Jahr dazu einen fraktionsübergreifenden Antrag verabschiedet. Das babylonische Sprachgewirr ließe sich nach meiner Auffassung am einfachsten dadurch entwirren, dass man sich auf Englisch als Sprachenbrücke verständigt. Das bedeutet, dass nicht mehr von allen in alle Amtssprachen gedolmetscht würde, sondern von allen Sprachen ins Englische und von dort zurück (Nabenmodell). Abgesehen davon muss sich natürlich jeder Unionsbürger auch weiterhin in seiner Muttersprache an die Organe der EU wenden können, z.B. in Verhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof. |
Klaus Heuberg | Hallo Herr Silberhorn, könnten Sie sich vorstellen Europaabgeordneter zu werden? Oder ist diese Aufgabe nur etwas für "Ältere"? | Ein Mandat im Europäischen Parlament ist kein Austragsstüberl für elder statesmen. Im Gegenteil: Wir brauchen in Brüssel kompetente Kollegen, die sich mit hohem Engagement einbringen. Auf der Europaliste der CSU finden Sie daher eine gesunde Mischung aus erfahrenen Abgeordneten und jungen Kandidaten. Ich selbst habe übrigens 1999 für das Europäische Parlament kandidiert. Als nach den bayerischen Landtagswahlen vom September 2003 das Kabinett neu gebildet wurde, hatte ich die Chance, nachzurücken. Da Oberfranken mit meinem Kollegen Dr. Wuermeling hervorragend vertreten ist und ich zwischenzeitlich in den Bundestag gewählt wurde, habe ich das Mandat nicht angenommen. |
Hase | Warum werden sie am Freitag den Antrag der FDP auf Volksabstimmung über die EU-Verfassung ablehen? | Die FDP beantragt eine Verfassungsänderung nur für eine einzige Volksabstimmung über den Europäischen Verfassungsvertrag. Mit dieser Abstimmung wäre der vorgeschlagene Verfassungstext schon wieder obsolet. Nach meiner Auffassung ist das Grundgesetz keine Spielwiese für Einzelfallgesetze. Es muss grundlegende Fragen generell regeln. Wir müssen also die Entscheidung, ob Volksabstimmungen ermöglicht werden sollen, nicht nur in Bezug auf den Europäischen Verfassungsvertrag, sondern allgemein treffen. |
Quelle:
http://www.bundestag.de/dialog/Konferenzen/2004/europa/silberhorn_transkript