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Ulrike Riedel, Sachverständige, benannt von Bündnis90/GRÜNE
Transkripte der Online-Konferenz zum Thema "Patientenverfügungen"

Name

Frage

Antwort

 Jennifer Dewitz

 Was muss eine Patientenverfügung unbedingt enthalten, wenn man auf keinen Fall Lebenserhaltene Maßnahmen in Anspruch nehmen möchte?

 Die Patienentverfügung sollte schriftlich abgefasst werden und möglichst genau die medizinischen Maßnahmen enthalten, die sie nicht wünschen, z.B. keine Wiederbelebungen, keine künstliche Ernährung und keine künstliche Beatmung. Sie sollten sich unbedingt fachkundig beraten lassen, bevor sie eine so weit reichende Verfügung abgeben. Es gibt auch Broschüren mit Textbausteinen. Ich empfehle Ihnen vor allem die gemeinsame Broschüre der evangelischen und katholischen Kirche "christliche Patientenverfügung" oder die Broschüre der bayrischen Staatsregierung "Vorsorge für Alter und Krankheit.

 Nina

 Wer ist der Abgeordnete von BaWü im Bundesrat??? LG Nina

 Im Bundesrat gibt es keine Abgeordneten. Mieltglieder des Bundesrates sind der Ministerpräsident des jeweiligen Landes und seine Minister.

 Elli

 Haben Sie für sich selbst eine Patientenverfügung verfaßt? Warum?

 Ich habe keine Patientenverfügung abgegeben. Ich vertraue darauf, daß die Ärzte zusammen mit meinen Angehörigen entscheiden, was richtig ist für mich. Man muß vor allem bedenken, daß auch ohne Patientenverfügung in der Sterbephase keine lebensverlängernden intensiv- medizinischen Maßnahmen ergriffen werden dürfen, da die sinnlos sind.In sofern besteht auch ohne Patientenverfügung Schutz vor unsinnigen leidverlängernden Maßnahmen.

 Berger

 Kann die Patientenverfügung so ähnlich wie das Berliner Testament verfasst werden oder muss sie von einem Anwalt oder Notar beglaubigt werden?

 Die Patientenverfügung muß nicht notariell beglaubigt sein. Wenn sie gemeinsam mit ihrem Ehepartner Vereinbarungen über ihre Behandlung am Lebensende treffen wollen, rate ich ihnen eine Vorsorgevollmacht auszutauschen. Damit können sie sich gegenseitig bevollmächtigen für den jeweils anderen in Gesundheitsfragen am Lebensende zu entscheiden. Diese Vollmacht sollte schrifltich abgefasst sein. Die Einzelheiten über Behandlungsmaßnahmen sollten sie mündlich mit ihrem Partner vertrauensvoll besprechen. Sie sollten sich in jedem Falle auch von einem Arzt beraten lassen, wenn sie im Voraus auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten wollen.

 D. Nolar

 Ich verstehe Ihre Sorge, dass Menschen bestimmte Lebensphasen, die durch schweres Leid und Aussichtslosigkeit geprägt sind, gering schätzen. Was aber sagen Sie den Menschen, die für sich bewusst und überlegt entscheiden, eben nicht weiterbehandelt werden zu wollen, auch wenn das Grundleiden nicht zum Tode führt? Die persönliche Wertschätzung solcher Lebenssituationen ist das eine; den Umgang damit für alle restriktiv regeln zu wollen ist das andere. Die von der Enquetekommission geforderte Reichweitenbeschränkung hat ehrenwerte Motive, ist aber nichts anderes als der elende alte Paternalismus.

 Ich halte das nicht für Paternalismus. Wenn der Arzt oder Betreuer auf Grund einer Patientenverfügung verpflichtet ist, Sie sterben zu lassen, obwohl Ihre Krankheit heilbar ist, verstößt er gegen die ethischen Schranken des Tötungsverbotes denn in diesem Falle würden Sie nicht an Ihrer Krankheit sterben, sondern am Unterlassen der Behandlung, z.B. dem Entzug der künstlichen Ernährung. Die passive Sterbehilfe ist aber nur dann straflos, wenn der Patient an seiner Krankheit und nicht an der Versagung der Hilfe stirbt. Unsere gesellschaftliche Einstellung zu Krankheit, vor allem wenn sie mit dem Verlust der Kommunikationsfähigkeit einher geht, würde sich zum negativen wenden. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Behinderte und pflegebedürftige Menschen ein minderwertigeres Leben führen.

 J. Stein

 Wie kann durch den Zypries-Entwurf sichergestellt werden, dass wir nicht schon bald tausende von "Verfügungen" von demenzkranken haben, die von ihrer Umwelt dazu gedrängt wurden? Eine so weit gehende Vorgehensweise halte ich für gefährlich; die Vormundschaftgerichte sollten eingebunden bleiben (s. Enquete-Kommission). Muss der Bundesrat dem Gesetz zustimmen?

 Der Bundesrat müßte einem solchen Gesetz nach dem jetzigen Inhalt des Entwurfes zustimmen. Ihre in der Frage geäußerte Befürchtung ist sehr Ernst zu nehmen. Deshalb hat die Enquete-Kommission auch eine Einschränkung verlangt dahin gehend, dass auf medinzinische Maßnahmen nur dann verzichtet werden darf, wenn sein Leiden tödlich verläuft. Demenz ist keine tödliche Krankheit, es sei denn, der Demente hat zusätzlich eine andere tödliche Erkrankung. Leider hat die Justizministerin in ihrem Gesetzentwurf diese wichtige Einschränkung nicht aufgenommen.

 Elli

 Und wenn Sie sich auf die Ärzte verlassen und auf Ihre Angehörigen - hätten die denn z.B. das Recht nach einem Jahr im Wachkoma bspw. die Geräte abzuschalten (ohne Patientenverfügung)?

 Wenn es nach ärztlicher Erkenntnis keinerlei Besserungschancen mehr gibt, dürfen meines Erachtens die Geräte abgeschaltet werden, wenn Ihre Angehörigen sich sicher sind, daß dies Ihrem wirklichen Willen entspricht. Es gibt aber Fälle, wo Wachkomapatienten auch nach Jahren wieder aufgewacht sind. Hier sollte man nicht leichtfertig zu früh aufgeben.

 D. Nolar

 Hilfe gegen den Willen des Betroffenen ist keine Hilfe, sondern Zwang. Deshalb kann der selbst gewünschte Behandlungsverzicht auch nicht strafbar sein. Sie wollen ja die Gültigkeit einer PV nicht nur dann ausschließen, wenn die Krankheit heilbar ist, s. Wachkoma und Demenz. Es handelt sich nicht um eine Überschreitung des Tötungsverbots, wenn man eine auf einem invasiven Eingriff beruhende PEG-Ernährung beendet. Schon gar nicht, wenn das auf eigen Wunsch hin geschieht. Es ist nicht so, dass ich keine Risiken hinsichtlich der von Ihnen genannten gesellschaftlichen Entwicklungen sehe. Aber es gibt bei allen Handlungen und gesetzlichen Regelungen Risken. Beim Behandlungsverzicht handelt es sich - im Gegensatz zu Dingen wie PID oder Abtreibung nach PND, wo andere mescnhliche Wesen betroffen sind - um eine Entscheidung, wo nur ich selbst betroffen bin. Wie weit wollen Sie die Selbstbestimmung von Menschen wegen eventueller Fremdbestimmungen und um möglicher gesellschaftlicher Folgen willen eigentlich noch beschränken? Ich plädiere keineswegs für einen eindimensionalen Liberalismus, aber Ihre bioethische Angstkultur finde ich wirklich bedrückend.

 Es handelt sich um keine Angstkultur. Eine Patientenverfügung kann nicht mit einer im bewusstseinsklaren Zustand abgegebenen Erklärung gleichgestellt werden. In der Patientenverfügung wird eine Erklärung für eine Situation abgegeben, die man selbst nicht durchlebt hat und die man nur sehr begrenzt antizipieren kann. Es ist bekannt, dass gesunde Menschen die lebenqualität von Kranken meist gringer einschätzen als dies die Kranken selbst tun. Auch sprechen sich Gesunde eher für den Fall schwerer Krankheit für einen Behandlungsverzicht aus, als Kranke dies tun. Unter anderem deshalb ist es gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber zum Schutz des Lebens Vorausverfügungen mit aktuellen Verfügungen nicht in jedem Falle gleich setzt. Wenn der Patientenwille absoluten Vorrang hat, dann gäbe es auch keine Begründung mehr für das Verbot der aktiven Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten.

 U. Hagen

 Sehen Sie einen großen Unterschied zwischen der Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht?

 Ja. In der Patientenverfügung treffen Sie selber die Entscheidung über Art und Umfang Ihre Behandlung, in der Vorsorgevollmacht überlassen Sie die Entscheidung einem Anderen. Wenn Sie einen Menschen haben, dem Sie voll vertrauen, würde ich in jedem Falle die Vorsorgevollmacht einer Patientenverfügung vorziehen, denn es ist sehr schwer, Behandlungsituationen vorwegzunehmen und es kann daher auch sehr gefährlich sein, sich im Vorhinein festzulegen. Es ist mir nicht bekannt, das Menschen, deren Patientenverfügung auf Abbruch von Behandlung nicht befolgt wurde, sich anschließend darüber beklagt haben, dass sie noch leben. Im Gegenteil, gibt es Untersuchungen darüber, dass 40 % der befragten Patienten, die eine Patientenverfügung abgegeben hatten, die strikte Verbindlichkeit ihre Verfügung auch gar nicht wollten, sondern davon ausgegangen waren, dass Arzt und Angehörige aus wichtigen Gründen davon abweichen können.

 D. Nolar

 Der Patientenwille hat an der Stelle seine Grenze, wo die (Tötungs)Handlungen anderer zum Tragen kommen. Das ist beim Behandlungsverzicht nicht der Fall. Der Mensch wirt nicht getötet, er stirbt auch nicht an einer nicht-vorhandenen Magensonde, sondern an seinem umfassenden Krankheitszustand, in dem er nicht weiter medizinisch behandelt zu werden wünscht. Insofern ist Ihr Vergleich mit aktiver Sterbehilfe irreführend. Auch ich bin strikt gegen aktive Sterbehilfe. Sie haben Recht, die PV macht Festlegungen für Situationen, die man noch nicht durchlebt hat. Aber für Sie, Frau Riedel, und für alle anderen, die sich über die Gültigkeit von PV Gedanken machen, und ebenso für die Entscheider in der PV-Anwendungssituation gilt doch dasselbe. Sie wissen dennoch besser bescheid, was ein solcher Mensch, der sich nicht mehr äußern kann, will oder was für ihn gut ist, nicht wahr? Meinen Sie das ernsthaft? Ich würde mich freuen, wenn Sie auf diese Frage ehrlicherweise mit Ja antworten würden.

 Es gibt inzwischen zum Glück etliche Untersuchungen, die sich mit Patientenverfügungen befassen. Daraus ist durchgängig zu entnehmen, dass eine Voraussage über eine noch unbegannte Behandlungssituation mit noch unbekannten Behandlungsoptionen und noch nicht bekannten Ärzten nur sehr bedingt möglich ist. Man kann natürlich sich auf den Standpunkt stellen, dass der Patient selber das Risiko des Schadens tragen muß, wenn er trotzdem eine Verfügung abgibt. Ich meine, was Sie dem Bericht der Enquet-Kommission ausführlich entnehmen können, dass der Wille des Patienten soweit wie möglich ermittelt werden muß, aber dass die Ärzte die Möglichkeit haben müssen, gemeinsam mit den Angehörigen und einem eventuellen Betreuer des Patienten die Verfügung dann nicht zu beachten, wenn dies den wohlverstandenen Interessen des Patienten dient.

Quelle: http://www.bundestag.de/dialog/Konferenzen/2004/patient/01_b90gruene_trans
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