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12.09.2000
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- Fototermin -
Kunstbeirat: Einweihung des Kunstprojektes von Hans Haacke im Innenhof Nord des Reichstagsgebäudes

Der Präsident des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Kunstbeirates Wolfgang Thierse übergibt mit Mitgliedern des Kunstbeirates

am Dienstag, den 12. September 2000 um 16.30 Uhr
im Innenhof Nord des Reichstagsgebäudes

das Kunstprojekt von Hans Haacke seiner Bestimmung. Dabei werden die Abgeordneten Erde aus ihrem Wahlkreis in den Holztrog füllen. Der Künstler wird anwesend sein.

Auf der Website www.DerBevoelkerung.de kann neben Informationen zum Kunstwerk der Fortgang des Projektes mit Hilfe einer Webcamera beobachtet werden, die täglich eine Aufnahme des Innenhofes sendet.

Das Kunstprojekt von Hans Haacke im Reichstagsgebäude

- Erläuterungen der Arbeitsgemeinschaft Kunstprojekt im nördlichen Innenhof -

Das Kunstprojekt:

Im Rahmen des Kunst-am-Bau-Programms für die Berliner Parlamentsbauten hatte der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages den in New York lebenden Künstler Hans Haacke um einen Entwurf für den Innenhof Nord des Reichstagsgebäudes gebeten. Hans Haacke schlug im August 1999 vor, einen 21 x 7 Meter große Holzeinfassung am Boden des Lichthofes zu installieren und dort der Inschrift des Westportals "Dem Deutschen Volke" seine Widmung "Der Bevölkerung" in weißen Leuchtbuchstaben zur Seite zu stellen. Die Bundestagsabgeordneten sind von ihm eingeladen, Erde aus ihren Wahlkreisen um die Buchstaben zu streuen. Der Künstler setzt keinen Endtermin für die Fertigstellung des Projektes: Solange Abgeordnete demokratisch in das Parlament gewählt werden, bleibt die Einladung, Erde aus den Wahlkreisen nach Berlin in das Reichstagsgebäude zu bringen, bestehen.

Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages stimmte dem Entwurf zu. Nach kontroverser Debatte inner- und außerhalb des Parlamentes wurde das Projekt am 5. April 2000 vor dem Plenum des Deutschen Bundestages erörtert und fand auch dort mehrheitliche Zustimmung.

Der Künstler stellt mit seiner Arbeit heraus, dass die Beschlüsse der Bundestagsabgeordneten faktisch die gesamte Bevölkerung ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit betreffen. Auch wenn für die Abgeordneten verfassungsrechtlich nur "Dem Deutschen Volke" gegenüber eine Verantwortung gegeben ist, weist der Künstler auf diese faktisch vorhandene erweiterte Verantwortung hin, zumal das Grundgesetz in Art. 3 ausdrücklich "alle Menschen" einbezieht.

Das Zusammentragen der Erde im Innenhof erfolgt auf Einladung des Künstlers ohne jeden Zwang und versinnbildlicht Gleichheit und solidarisches Handeln. Es stellt keine Aufgabe eigener politischer Positionen dar. Zugleich ist das Zusammentragen der Erde als Hinweis auf die ökologische Verantwortung des Menschen zu sehen. Ferner mahnt der Umgang mit Erde sowie das nicht Vorhersehbare der Vegetationsentwicklung, die Grenzen des technisch und politisch Machbaren zu respektieren. Durch dieses Biotop wird unkontrollierte Vegetation im Innenhof des hochtechnisch ausgestatteten Gebäudes einen lebendigen und reizvollen Gegensatz zum steinernen Innenhof schaffen. Die Vermischung der Erde aus allen Wahlkreisen wird darüber hinaus die Zusammengehörigkeit aller Regionen und die Feststellung, daß die im Parlament verhandelten Fragen alle Bürger gemeinsam betreffen, bekräftigen.

Der Künstler:

Der 1936 in Köln geborene Künstler Hans Haacke lebt seit den 60er Jahren in New York und lehrt dort an einer der bedeutendsten Kunsthochschulen der Vereinigten Staaten, der Cooper Union. Er vertrat Deutschland auf der Internationalen Kunstbiennale in Venedig 1993 und erhielt für seinen Beitrag gemeinsam mit Nam June Paik den goldenen Löwen für den besten Pavillon. Einzelausstellungen seiner Werke zeigten u.a. das Kaiser-Wilhelm-Museum/Haus Lange in Krefeld, die Tate Gallery in London, das Museum of Contemporary Art in New York, das Centre Pompidou in Paris und die Fundació Tàpies in Barcelona.

Im Jahre 1998 verlieh ihm die Bauhaus-Universität Weimar die Ehrendoktorwürde.

Haackes künstlerisches Schaffen ist seit Beginn der sechziger Jahre von der Entwicklung spezifischer Formen einer "Prozesskunst" bestimmt. Haackes Ziel ist es, modellhaft physikalische, biologische oder soziologische Prozesse vor Augen zu führen und auf diese Weise komplexe Prozesse durch die Zurückführung auf ihre Grundstrukturen anschaulich werden zu lassen. Diese Form der Prozeßkunst läuft "realzeitlich" ab, d.h. die entsprechenden Vorgänge können beobachtet werden, während sie stattfinden, und in "offener" Form, d.h. sie können auch von außen beeinflußt werden.

In seinen frühen Arbeiten, beispielsweise den "Kondensationskästen" der sechziger Jahre, führt Haacke zunächst physikalische Prozesse vor, die selbsttätig, also ohne Eingriff des Betrachters, ablaufen: In einem geschlossenen Glaskasten verwandelt sich Wasser durch die natürliche Einwirkung der Umwelt (Sonneneinstrahlung, Erwärmung) in Dampf und kondensiert durch die Abkühlung an den Glasscheiben wieder zu Wasser. Der Betrachter ist gefordert, diese Demonstration eines umweltbezogenen Ursache-Wirkung-Zusammenhanges auf seinen eigenen ebenfalls umweltbezogenen Lebenszusammenhang zu übertragen.

Es lag für den Künstler nahe, den gedanklichen Ansatz dieser Skulpturen auf gesellschaftliche Prozesse zu übertragen, in denen ja ebenfalls eine Umsetzung von Energie, Materie oder Informationen stattfindet. Die Zusammenhänge von Wirtschaft, Politik und Kultur analysierte Haacke beispielsweise durch eine Besucherbefragung im Museum of Modern Art in New York. Der Künstler forderte die Museumsbesucher auf, ihre Meinung zu aktuellen politischen Fragen, die in einem Zusammenhang mit der sozialen und politischen Einbindung des Museums (z.B. zur gesellschaftlichen Stellung von Förderern des Museums) standen, zu äußern. Dieses Projekt ist charakteristisch für Haackes (ergebnis-)offene "Realzeit-Systeme" und ihre Einbindung in einen gesellschaftlichen Kontext. Seine Installationen beziehen sich in diesem Sinne immer auf das konkrete politische, soziale und kulturelle Umfeld und suchen auf diesem Wege den Dialog mit dem Betrachter. Dieser Dialog ist mithin Teil des Kunstwerkes, unabhängig davon, ob es sich um ablehnende oder zustimmende Stellungnahmen handelt. Entscheidend ist, daß der Betrachter Stellung bezieht und sich gedanklich mit Haackes Projekten auseinandersetzt.

Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2000/pz_000912
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