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Die CDU/CSU geht zwar aus der Bundestagswahl von 1969 weiterhin als größte Fraktion hervor, doch SPD und FDP verfügen erstmals über eine knappe Mehrheit. In nächtlichen Verhandlungen gelingt dem Vizekanzler der Großen Koalition, Willy Brandt, die Sensation: eine sozialliberale Regierungsmehrheit. Auch für die SPD ist das eine Überraschung. In den Parteigremien hat es vorher keine Gespräche gegeben. Umso größer die Freude: Nach 20 Jahren einer CDU/CSU-Regierung wählt der Bundestag den ersten SPD-Kanzler.
Brandt tritt sein Amt in einer Phase wichtiger Neuorientierungen im Ost-West-Verhältnis an. Die Hallstein-Doktrin, nach der zu allen Staaten außerhalb der Sowjetunion, die die DDR anerkennen, diplomatische Beziehungen abgebrochen werden, ist längst einer Politik vorsichtiger Annäherung zwischen Bonn und Ost-Berlin gewichen. Brandt beschleunigt die Gangart und löst während seiner Verhandlungen mit Polen und der UdSSR eine über viele Monate sich immer wieder zuspitzende Debatte aus: Die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze bedeutet den Verzicht auf ehemals deutsche Ostgebiete. Auch innerhalb der Koalition gibt es Zweifel; durch den Übertritt einzelner Abgeordneter zur Opposition wird die Mehrheit immer dünner. Tagelang debattiert der Bundestag „voller menschlicher Hingabe und Leidenschaft“ (Richard von Weizsäcker, CDU) über die Ratifizierung der Ostverträge, dann entschließt sich die Mehrzahl der Oppositionsabgeordneten, durch Stimmenthaltung die Ostverträge am 17. Mai 1972 passieren zu lassen. Schon zuvor ist Brandt für seine Ostpolitik der Friedensnobelpreis zuerkannt worden.
Die Wähler bestätigen den Kurs, machen 1972 die SPD zur stärksten Fraktion. Renger wird die erste Präsidentin eines deutschen Parlaments. „Ich habe mich im Vorstand meiner Partei und als deren Präsidiumsmitglied selbst für das Amt vorgeschlagen“, erläutert sie. „Ich erinnere mich sehr gern daran, dass es mir gelungen ist, zu zeigen, dass eine Frau das kann. Die Akzeptanz ging durch alle Reihen.
Das war ein großer Schritt vorwärts auch für die Frauenbewegung.“ Vorläufiger Höhepunkt: Debatte und Reform des Ehe- und Familienrechts 1976 unter dem Gesichtspunkt konsequenter Gleichberechtigung der Geschlechter. Im Bundestag selbst nimmt der Frauenanteil aber erst in den 80er Jahren spürbar zu.
Text: Gregor Mayntz
Foto: Ullstein Bild
Erschienen am 14. Februar 2005
Ratifizierung:
Außenpolitik ist gewöhnlich Sache der Bundesregierung,
aber auch das Parlament spielt eine entscheidende Rolle, immer wenn
es um völkerrechtliche Verträge geht. Die werden zwar von
der Regierung ausgehandelt und formal vom Bundespräsidenten
geschlossen. Damit sie aber wirksam werden können, müssen
sie erst von einer Mehrheit im Bundestag ratifiziert (genehmigt)
werden. Deshalb führten die Verträge etwa zur
Gründung der NATO und auch die Ostverträge zu großen
nationalen Debatten im Bundestag.
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Bundestagspräsidenten:
Das Recht, den Bundestagspräsidenten zu stellen, steht
gewohnheitsgemäß der stärksten Fraktion zu.
Protokollarisch ist es das zweithöchste Amt im Staat. Die
Bundestagspräsidenten:
Erich Köhler (CDU/1949),
Hermann Ehlers (CDU/1950), Eugen Gerstenmaier (CDU/1954), Kai-Uwe
von Hassel (CDU/1969), Annemarie Renger (SPD/1972), Karl Carstens
(CDU/1976),
Richard Stücklen (CSU/1979),
Rainer Barzel (CDU/1983),
Philipp Jenninger (CDU/1984),
Rita Süssmuth (CDU/1988),
Wolfgang Thierse (SPD/1998).
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Parlamentarierinnen: Im
ersten Bundestag 1949 sind von 410 Abgeordneten nur 28 Frauen (6,8
Prozent). Dieser Anteil bleibt in den ersten zehn Wahlperioden im
Wesentlichen gleich. 1987 steigt der Anteil der Parlamentarierinnen
auf 15,5 Prozent, 1990 auf 20,5, dann auf 26,2 und 30,9 Prozent,
bis er zu Beginn des 15. Bundestag im Jahr 2002 bei 32,8 Prozent
angekommen ist. Daneben nehmen weibliche Abgeordnete immer mehr
Führungspositionen ein.
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