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Alle warten auf Bewegung. Doch nach dem vorläufigen Scheitern der Föderalismusreform Ende 2004 scheint die deutsche Bildungspolitik gegenwärtig wie erstarrt. Der viel beschworene gemeinsame Aufbruch zu einer zweiten großen Bildungsreform ist nicht in Sicht. Gesucht wird jetzt zunächst nach einem Rezept, Bund und Länder wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.
Hochschulen wie Bildungsorganisationen beklagen derzeit die Folgen: Das von den Wissenschaftsministern von Bund und Ländern unterschriftsreif ausgehandelte 1,9-Milliarden-Euro-Programm zum Aufbau international anerkannter Spitzenforschungszentren und Elite-Hochschulen liegt nach dem Veto der Ministerpräsidentenkonferenz auf Eis. Eine Wiedervorlage ist fraglich. Die Zukunft der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) ist ungewiss – zumindest was ihre weitere politische Handlungsfähigkeit bei der Bildung angeht.
Die meisten Bundesländer möchten das 1970 im Zuge der damaligen Reformeuphorie gegründete Bund-Länder-Koordinierungsgremium am liebsten gänzlich auflösen. Gemeinsame Projekte – wie etwa die Vier-Milliarden-Euro-Hilfe des Bundes zum Aufbau von Ganztagsschulen – soll es nach dem Willen einiger Länderregierungschefs künftig nicht mehr geben. Bundesweit wirksame Bildungsprogramme passen aus ihrer Sicht nicht in die Philosophie von Wettbewerbsföderalismus und des von ihnen beanspruchten Gestaltungsmonopols der Länder in der Bildungspolitik.
Das war schon einmal grundsätzlich anders, auch wenn die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik nie ganz frei von Spannungen war – gleich welche Partei seit Bestehen der Bundesrepublik den Kanzler stellte oder im Bundesrat über die Mehrheit verfügte. Der so genannte Sputnik-Schock, der nach 1957 angesichts des ersten Starts eines sowjetischen Erdsatelliten ins All in allen westlichen Industrienationen öffentliche Debatten über eine vermeintliche Überlegenheit des Ostens in Forschung und Wissen auslöste, erfasste damals auch Westdeutschland und bereitete den Boden für die nachfolgende deutsche Bildungsexpansion. Die Warnungen des Pädagogen Georg Picht vor einer „deutschen Bildungskatastrophe“ und dem absehbaren Mangel an hochqualifizierten Fachkräften sowie das von dem Liberalen Ralf Dahrendorf seinerzeit proklamierte „Bürgerrecht auf Bildung“ taten ein Übriges.
Die Länder suchten für den als notwendig erkannten Ausbau des Bildungssystems die Hilfe des Bundes. 1964 heißt es dazu in einer einstimmigen Erklärung der Kultusministerkonferenz der Länder: „In einem demokratischen Bundesstaat kann und darf Bildungsplanung nur in einer steten Wechselwirkung zwischen den Ländern und dem Bund erfolgen. Die Bildungsplanung der Länder setzt auch die Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und des sich daraus ergebenden langfristigen Bedarfs an qualifizierten Kräften der einzelnen Aus- und Fortbildungsstufen voraus. Hierzu ist die Hilfe des Bundes erforderlich.“ 1968 forderte der Bundestag parteiübergreifend eine „Rahmenkompetenz“ für die Bildung. Doch die anschließenden Beratungen mit dem Bundesrat über eine Verfassungsänderung wurden Zug um Zug parteipolitisch polarisiert, insbesondere nach Ablösung der Großen Koalition infolge der Bundestagswahl von 1969 und dem anschließenden sozial-liberalen Regierungsbündnis unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Erst im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wurde nach längeren Auseinandersetzungen die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern als so genannte „Kann-Vorschrift“ in Artikel 91 b des Grundgesetzes aufgenommen – sozusagen als Zugeständnis der Länderseite gegenüber der weiter zielenden Forderung des Bundesgesetzgebers.
Die Folge war im Juni 1970 die Gründung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung durch ein Verwaltungsabkommen von Bund und Ländern. Das BLK-Aufgabenspektrum wurde 1975 durch die weniger strittige gemeinsame Forschungsförderung ergänzt.
Auch wenn in der Bildungspolitik die großen Meinungsverschiedenheiten etwa bei der Einführung der Gesamtschule oder der Organisation der Lehrausbildung sowohl zwischen den Ländern untereinander als auch zwischen Bund und Ländern nicht überbrückt werden konnten, so wurden dennoch in den vergangenen 35 Jahren in der BLK eine Fülle von Reformvorhaben gemeinsam auf den Weg gebracht. Sie zeigen heute unstreitig Wirkung.
Zur Verbesserung der Schulqualität hat die BLK seit ihrer Gründung über 300 Modellversuche gefördert. Dazu gehören unter anderem die Projekte zur Einführung eines gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und Nichtbehinderten. Zu den BLK-Schulvorhaben aus jüngster Zeit zählt SINUS – das Programm zur Verbesserung des Mathematikunterrichts, das 1998 nach dem miserablen deutschen Abschneiden bei der PISA-Vorgängerstudie TIMSS gestartet worden war.
Der Bildungsforscher Jürgen Baumert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin sieht in dem SINUS-Programm ein besonders gelungenes Beispiel für erfolgreiche Bund-Länder-Zusammenarbeit und plädiert für die Ausweitung solcher Projekte auf andere Schwachstellen der deutschen Schule. Als 2002 der Bund ein ähnliches Programm zur Behebung der beim ersten PISA-Test offenkundig gewordenen Leseschwächen deutscher Schüler auflegen wollte, mauerten die Länder. Sie versperrten dem Bund unter Hinweis auf ihre Gestaltungskompetenz die Schulpforten und erlaubten zunächst sein Engagement ausschließlich in der außerschulischen Jugendarbeit. Nur Dank mühsamer Überzeugungsarbeit gelang schrittweise die Ausdehnung auf einzelne Schulen.
Nicht minder konfliktbeladen wurden die großen gemeinsamen Bund-Länder-Projekte im Hochschulbereich aus der Taufe gehoben. Baden-Württemberg ließ sich in den 70er Jahren den Aufbau seiner heute gern vorgezeigten Berufsakademien kräftig vom Bund mitfinanzieren. Zunächst maßlos empört, reagierten die Kultusminister von CDU/CSU wie SPD gleichermaßen, als ihnen der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann (FDP) in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ein Bund-Länder-Sonderprogramm zum Ausbau des Mangelfaches Informatik an den Hochschulen anbot.
Die gleichen Reaktionen folgten auf das kurz darauf offerierte zweite Hochschulsonderprogramm – diesmal zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Rund 8.000 junge Wissenschaftler erhielten letztlich durch die Milliarden-Unterstützung des Bundes eine Qualifizierungschance an einer deutschen Hochschule oder konnten mit Lehraufträgen die damaligen Personalengpässe lindern. Unstrittig war, dass in der Sache jeweils Handlungsbedarf bestand. Nur an der Kompetenzverteilung schieden sich die Geister.
Die Mitwirkung an großen Vorhaben in der Bildungspolitik ist für den Bund spätestens seit dem Ganztagsschulprogramm schwieriger geworden. Die Vier-Milliarden-Euro-Hilfe, von Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 im Bundestagswahlkampf versprochen und von einigen Ländern zunächst als „Programm zum Ausbau von Suppenküchen“ verspottet, hat sich für den Bund als der „absolute Nachfragerenner“ unter den bisherigen Bildungsprojekten erwiesen. Die Kommunen – oft gedrängt von örtlichen Elterninitiativen – stehen bei der Mittelvergabe Schlange. Viele Länder fürchten hingegen die hohen Folgekosten bei der Ausweitung der Ganztagsbetreuung. Der Artikel 91 b über die gemeinsame Bildungsplanung gilt inzwischen vielen Kultusministern als „ungeliebtes Einfallstor des Bundes in ihre alleinigen Gestaltungskompetenzen“, wie es der SPD-Länder-Bildungskoordinator, der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner, auch im Sinne seiner Länderkollegen von der CDU/CSU formuliert. Zwar unterscheiden sich die Länder-Positionen hinsichtlich einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Bund in Detailfragen erheblich – vor allem dann, wenn es ums Geld geht und der Bund in der Rolle des „Zahlmeisters“ und Ausgleichenden zwischen ‚armen’ und ‚reichen’ Ländern gefragt ist.
Die von Bundestag und Bundesrat im Herbst 2003 eingesetzte Föderalismuskommission hatte über ein ganzes Jahr hinweg über einen neuen Aufgabenzuschnitt von Bund und Ländern und die dafür notwendigen Verfassungsänderungen beraten. Natürlich ging es um erheblich mehr als nur um die Bildung. Der Bund wollte die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze im Bundesrat deutlich reduzieren und dabei wieder mehr politischen Handlungsspielraum gewinnen. Die Länder hingegen wollten ihre Gestaltungshoheit neu definieren, die sie durch immer mehr Bundesgesetze in den vergangenen drei Jahrzehnten und vor allem durch die zunehmende Zahl von EU-Rahmenregelungen gefährdet sehen.
Erste Vorüberlegungen und Planspiele der Länder dazu hatte es bereits Mitte der 90er Jahre gegeben. 2002/2003 tagte eine Arbeitsgruppe, der auf Länderseite Bayerns damaliger Staatskanzleichef Erwin Huber (CSU) und sein Bremer Kollege Reinhard Hoffmann (SPD) angehörten. Der Bund war durch Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier vertreten. Schon bei diesen Gesprächen schien für einige Länder der Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik ausgemachte Sache. Bildungspolitiker aller Bundestagsfraktionen hatten das Vorgehen in dieser Runde eher mit Argwohn verfolgt. Mit der Einsetzung der gemeinsamen Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat wurde die Debatte dann ins Parlament geholt. Doch den Bildungspolitikern – gleich welcher Fraktion – gelang es nicht, auch nur einen ihrer Fachpolitiker in die Föderalismuskommission zu platzieren. Bereits im frühen Stadium der Kommissionsarbeit hatte die Bundesregierung ihre Bereitschaft signalisiert, auf das Hochschulrahmengesetz mit Ausnahme weniger Kernbereiche ganz zu verzichten. Auch die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und die damit verbundene Bund-Länder-Mischfinanzierung sollten im Wesentlichen entfallen. Im Gegenzug hätte die Bundesregierung gern die eher unverbindliche „Kann-Vorschrift“ über die gemeinsame Bildungsplanung nach Artikel 91 b konkreter gefasst.
Zwischen den beiden Kommissionsvorsitzenden, SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), bestand anfangs noch Einvernehmen darüber, dass alle Themen, über die keine Einigung erzielt werden konnte, von dem Verhandlungspaket „abgesprengt“ werden sollten. Dass die Nichteinigung bei der Bildung dann die gesamte Arbeit der Föderalismuskommission in Frage stellen sollte – damit hatte niemand so konkret gerechnet. Die Kritiker eines Ländermonopols, darunter große Bildungsverbände wie der Bundeselternrat, führen an: Der Zustand der deutschen Schulen, so wie er sich auch im zweiten PISA-Test offenbart, sei kein Argument, den Ländern noch mehr Alleinverantwortung bei der Bildung zuzusprechen. Den Bundesländern fehle es nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte an Sinn und an Kraft, sich allein auf eine nationale Strategie in der Bildungspolitik zu verständigen. Der Blick reiche zunächst nur bis zur eigenen Landesgrenze – was im Föderalismus systembedingt ist. Für einen Ausgleich im gemeinsamen Wirtschafts- und Sprachraum Bundesrepublik Deutschland sei deshalb das weitere Mitwirken des Bundes unverzichtbar.
Text: Karl-Heinz Reith
Fotos: Picture-Alliance
Grafiken: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 15. März 2005
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