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Juni 06/2000
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PLENARDEBATTE ÜBER GEPLANTE REFORM DER BUNDESWEHR

"Wehrpflicht kann im Augenblick nicht zur Disposition gestellt werden"

(vt) Nach Ansicht der SPD-Fraktion kann die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland derzeit nicht zur Disposition gestellt werden. Dies erklärte der Abgeordnete Gernot Erler in einer Debatte über die geplante Reform der Bundeswehr am 7. Juni im Plenum des Bundestages.

Zur Begründung führte Erler aus, dies gebiete zum einen die langjährige sicherheitspolitische Vorsorge, zu der man verpflichtet sei und bei der man nicht ausschließlich von der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ausgehen könne. Zum anderen, so der Sozialdemokrat weiter, gebe es für die Beibehaltung der Wehrpflicht auch ein friedenspolitisches Argument. Wer das Ziel der Krisen-Deeskalation, also die Möglichkeit, in einer sicherheitspolitisch herausfordernden Situation nicht verschärfend, sondern krisenbeherrschend zu reagieren, ernst nehme, der brauche Flexibilität. Diese werde nur durch die Wehrpflicht gewährleistet.

Erler stellte für seine Fraktion im Übrigen fest, die Rahmendaten der von der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter Vorsitz von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und des so genannten Eckpfeilerpapiers von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) seien richtig. Scharping habe in 16 Monaten nach Amtsantritt die entscheidenden Schritte zu einer zukunftsfähigen Bundeswehr vorbereitet und zu einem erheblichen Teil bereits eingeleitet. Demgegenüber sei es in 16 Jahren Regierungsverantwortung von CDU/CSU und F.D.P. versäumt worden, die deutschen Streitkräfte zukunftssicher zu machen.

Sorgfalt bei Standortplanung

Die SPD unterstütze zudem ausdrücklich die Bemühungen des Verteidigungsministeriums, die Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr zu stärken. Auch die Partnerschaft mit Industrie und Wirtschaft, die notwendige Mittel für die erforderliche Erweiterung des Investitionsanteils im Bundeswehrhaushalt mobilisiere, sei zu begrüßen.

Den Sozialdemokraten zufolge muss der Verteidigungshaushalt im Übrigen an dem beschlossenen Konsolidierungsprogramm der Regierung teilhaben. Sehr sorgfältig und nachvollziehbar, so Erler weiter, sei mit der Frage der künftigen Standortplanung umzugehen. Hierbei sei das Wichtigste, die Betroffenen zu beteiligen sowie für Transparenz und Verlässlichkeit zu sorgen.

Für die CDU/CSU-Fraktion warf demgegenüber Paul Breuer der Koalition vor, sie verfüge über kein gemeinsames Konzept. Wenn sich die SPD aus Gründen, die im Übrigen auch von der Union geteilt würden, dafür ausspreche, die allgemeine Wehrpflicht im Wesentlichen beizubehalten, so votierten die Grünen genau gegenteilig. Damit sei deren Unterstützung für das Konzept des Verteidigungsministers in Frage gestellt.

"Schweinsgalopp" kritisiert

Breuer warf der Regierung zudem vor, ihr Konzept zur Reform der Streitkräfte im "Schweinsgalopp" durchpeitschen zu wollen. Es sei deutlich, dass Scharping zu keinem Zeitpunkt Interesse an den Ergebnissen der Wehrstrukturkommission gehabt habe. Der Minister hat zudem nach Worten Breuers die deutsche Öffentlichkeit weiter verunsichert, indem er parallel zur Arbeit der Kommission eine Planung seines Ministeriums in Auftrag gegeben habe. Kritikwürdig sei ferner, dass es keine Analyse der deutschen Sicherheitsinteressen als Basis für ein Konzept gegeben habe.

Die Seriosität des Regierungsprogramms sei auch deshalb in Frage zu stellen, weil niemand wisse, ob die Finanzierung gesichert sei. In dem Konzept des Ministers sei keine einzige konkrete Haushaltszahl zu finden. Als Konsequenz sei zu befürchten, dass es unter dem Diktat des Rotstifts zu einer massiven Schließung von Standorten in Deutschland kommen werde, so Breuer.

Demgegenüber erklärte Angelika Beer (Bündnis 90/Die Grünen), die frühere Bundesregierung unter Führung von Helmut Kohl habe nie eine außen- und sicherheitspolitische Analyse vorgenommen oder den Mut gehabt, notwendige Reformschritte zu gehen. Der Analyse der Weizsäcker-Kommission sei zuzustimmen, dass die Bundeswehr überdimensioniert und unterfinanziert sei. Die deshalb notwendige Reform muss laut Beer in eine Reform der Außen- und Sicherheitspolitik eingebettet werden. Dies treffe gerade auf präventiven Bereich zu. Man lebe in einer Industriegesellschaft, die nicht in erster Linie durch "militärische Power" verteidigt werden könne. Vielmehr gelte es, Demokratien zu stärken und zu unterstützen. Die Abgeordnete erklärte zudem namens ihrer Partei und Fraktion die Wehrpflicht für ein "Auslaufmodell".

Für die F.D.P.-Fraktion warf Jörg van Essen der Bundesregierung vor, diese habe "unheimlich viel Zeit dadurch verspielt", dass sie eine Kommission einberufen habe, anstatt unverzüglich an die notwendigen Planungen für eine Bundeswehrreform zu gehen. Seine Fraktion habe bereits im Frühjahr 1999 ein Positionspapier vorgelegt, das 80 Prozent dessen enthalte, was der Minister nunmehr als sein eigenes Konzept vorstelle. Auch der Liberale kritisierte die seines Erachtens mangelnde Übereinstimmung in Fragen der Bundesreform zwischen SPD und Grünen. Van Essen sprach sich außerdem gegen das von der Regierung vorgesehene Modell eines so genannten flexiblen Wehrdienstes aus. Dies sei in der Praxis nicht durchführbar. Einen Entschließungsantrag der F.D.P. (14/3511), in dem unter anderem gefordert wird, die "Wehrgerechtigkeit ohne Abstriche" zu erhalten, überwies das Plenum zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuss.

Auf Verfassung verwiesen

Der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi, kritisierte, alle jetzt gemachten Vorschläge zu künftigen Aufgaben der Streitkräfte liefen "mehr oder weniger" darauf hinaus, zu klären, wie die Bundeswehr international eingesetzt werden könne, auch wenn kein Fall von Landes- oder Bündnisverteidigung vorliege. Derartige Vorschläge gingen aber an der Verfassung vorbei. Gysi sagte zudem voraus, es werde "keine zehn Jahre" mehr dauern, bis die Wehrpflicht vorüber sei, "einfach weil sie nicht mehr zeitgemäß ist".

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0006/0006019
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