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Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Claudia Heine

Es gibt keine absolute Sicherheit

Diskussion um Gesetzeslage nach Londoner Terror-Anschlägen
Nach den Terror-Anschlägen vom 7. Juli in London ist auch in Deutschland erneut eine Debatte über die Innere Sicherheit entbrannt. Zwar waren sich Regierung und Opposition in der Bewertung der Sicherheitslage relativ einig: Bundesinnenminister Otto Schily sagte am Tag der Anschläge: "Es gibt einen weltweiten Gefahrenraum, in dem die Strukturen des islamischen Terrors noch handlungsfähig sind." Dennoch gäbe es keine Hinweis auf eine erhöhte Gefahrenlage für die Bundesrepublik.

Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein teilte diese Aufassung: "Es gibt keinen Hinweis auf irgend einen bevorstehenden Anschlag, aber eine abstrakte Gefahr ist offensichtlich gegeben", sagte der CSU-Politiker einen Tag nach den Anschägen. Unterschiedlicher Aufassung waren die Parteien jedoch in der Frage, welche politischen Reaktionen auf die Londner Anschläge folgen müssten.

Nicht abstrakt, sondern ganz konkret reagierten zunächst die deutschen Sicherheitsbehörden und Verkehrsunternehmen noch am Tag der Anschläge. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erhöhten ihre Sicher-heitsvorkehrungen in U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen, indem sie vorbeugend die Sicherheitsstufe "gelb", die zweite von drei Stufen, ausriefen. Mit dieser Maßnahme ist das Personal angewiesen, auf herrenlose und verdächtige Gegenstände zu achten. Außerdem wurden die Patrouillen des Sicherheitspersonals ausgeweitet. Auch die Deutsche Bahn verstärkte ihre Sicherheitsvorkehrungen. Auf Anordnung des Bundesinnenministeriums wurde zudem die Polizei-Präsenz auf Flughäfen und Bahnhöfen sowie die Überwachung der Grenzen verstärkt.

Nicht umsonst steht der öffentliche Nah- und Fernverkehr im Zentrum der Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane. In London explodierten am vergangenen Donnerstag Bomben in drei U-Bahnzügen und einem Buss. Sie rissen mehr als 50 Menschen (Stand: 8. Juli) in den Tod und verletzten über 700 schwer. Londons Polizeichef Ian Blair sagte jedoch am Freitag, er gehe davon aus, dass die Gesamtzahl der Todesopfer auf eine dreistellige Zahl steigen werde. Zwar trügen die Attentate die Handschrift von Al Qaida, jedoch deute nichts auf einen Selbstmordanschlag hin. Ein im Internet aufgetauchtes Bekennerschreiben einer europäischen Al Qaida-Gruppe nehmen die britischen Behörden "sehr ernst", bekräftigte Innenminister Charles Clarke.

In der britischen Hauptstadt hatte man schon seit längerem mit solchen Anschlägen gerechnet und sich intensiv darauf vorbereitet. Ken Livingston, der Bürgermeister, sagte schon vor Jahren, dies sei nur eine "Frage der Zeit". In einer aufwendigen Übung hatte die Polizei vor einigen Monaten ihr Vorgehen nach einem Anschlag auf die U-Bahn geprobt. Entsprechend reibungslos und professionell verlief dann auch der Ernstfall vom 8. Juli. Um eine Massenpanik zu verhindern, verbreitete die Polizei zunächst das Gerücht, ein Kurzschluss habe zu den Unglücken geführt. Anschließend klappte das Zusammenspiel von Polizei und Notdiensten, die Versorgung der Verletzten, die Räumung der Straße nach einstimmigen Berichten perfekt. Damit konnte jedoch nicht verhindert werden, dass in der Millionenmetropole, in der täglich drei Millionen Menschen die U-Bahn nutzen, zunächst Chaos ausbrach. Viele Pendler mussten zu Fuß zu ihren Arbeitsstätten und auch wieder nach Hause laufen. Schon am Freitag normalisierte sich der Zustand aber wieder.

Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) bekräftigte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, auch in der deutschen Hauptstadt sei man auf eine solche Anschlagserie sehr gut vorbereitet: "Wir haben dafür Pläne. Wir haben Evakuierungspläne. Wir haben für Großschadensereignisse oder auch für Katastrophenereignisse das entsprechende Wissen. Das wird auch geübt." Gleichzeitig lehnte er jedoch den Ruf nach stärkeren Sicherheitsgesetzen ab, wie er insbesondere aus den Reihen der CDU/CSU am Ende vergangener Woche laut wurde. Körting kritisierte statt dessen, dass sich die Union bisher geweigert habe, den Bundesnachrichtendienst und Teile des Bundeskriminalamtes nach Berlin zu verlegen. "Man sollte erst einmal damit beginnen, bevor man Bürgerrechte weiter einschränkt, das organisatorisch zu machen, was machbar ist", sagte der Politiker. Dazu gehöre die "Zusammenführung der Dienste in der Nähe der Bundesregierung", um einen ständigen Informationsaustausch zu gewährleisten.

Den Informationsaustausch zwischen den Behörden möchte auch die Union verbessern und bekräftigte ihre Forderung nach einer Anti-Terror-Datei. Die Einrichtung einer solchen Datei, in die die zuständigen Sicherheitsbehörden ihre Informationen in Bezug auf terroristische Aktivitäten einstellen und auf die auch alle anderen Behörden Zugriff haben sollen, war jedoch erst kürzlich am Widerstand der Koalitionsfraktionen im Bundestag gescheitert. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach betonte in einem Zeitungsinterview: "Wir müssen jetzt Sicherheitslücken schließen und dürfen damit nicht bis zur nächsten Wahlperiode warten." Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung zur Terrorismusbekämpfung forderte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble. Gleichzeitig betonte er, islamische Bürger in Deutschland nicht unter Generalverdacht zu stellen. Sie müssten aber mithelfen, Terroristen zu finden, die sich hinter dem Islam versteckten.

"Wir sollten jetzt nicht Aktionismus verfallen", sagte dagegen der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz. Es gebe keine Lücken in der Gesetzgebung. Ex-Bundesjustizmisterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) betonte: "Ich sehe nicht, dass man aus diesen schrecklichen Ereignissen Gesetzgebungsbedarf ableiten kann."

Wie in fast allen europäischen Staaten, so schnürte auch der deutsche Innenminister Schily nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 umfangreiche Gesetzes-Pakete zur Terrorbekämpfung, die von Menschenrechtsgruppen als Einschränkung elementarer Bürgerrechte kritisiert worden waren. Das Sicherheitspaket I machte es mit dem neu ins Strafgesetzbuch eingefügten Paragrafen 129b möglich, in Deutschland lebende Mitglieder und Unterstützer ausländischer Terrorgruppen zu bestrafen. Außerdem wurde das Religionsprivileg abgeschafft, das extremistische Religionsgemeinschaften vor dem Verbot schützte. Mit dem zweiten Sicherheitspaket wurden die Kompetenzen der Geheimdienste, des Bundskriminalamtes (BKA) und des Bundesgrenzschutzes (BGS) gestärkt. BGS-Beamte können zum Beispiel in Flugzeugen als so genannte Sky-Marshals zum Schutz der Passagiere eingesetzt werden. Außerdem wurden die ausländerrechtlichen Bestimmungen weiter verschärft und Ausweisungen erleichtert. Zu den umstrittensten Maßnahmen gehört das im vergangenen Jahr verabschiedete Luftsicherheitsgesetz, das es erlaubt, entführte oder als Waffe eingesetzte Flugzeuge künftig im Extremfall abzuschießen.

Als "Generalverdächtigung aller Bundesbürger" wurde die Einführung biometrischer Pässe von Kritikern bezeichnet. Am 8. Juli billigte der Bundesrat jedoch eine entsprechende Vorgabe des Innenministeriums. Ab 1. November 2005 werden nun Pässe mit Fingerabdrücken ausgestellt. Für Otto Schily ist auch dies allein ein Mittel, um die Innere Sicherheit zu erhöhen: "Ein Aspekt der Terrorbekämpfung ist die Sicherheit von Reisedokumenten", sagte er am 8. Juli - und flog anschließend nach London, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

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