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Das Parlament
Nr. 28 - 29 / 11.07.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Interview

Provokation ist immer noch zentral

Publizist und Kurator Holger Kube Ventura zu politischer Kunst
Kunst provoziert, Kunst soll provozieren. Das war lange Zeit das Credo der Malerei, der Bildhauerei und später vor allem der Aktionskunst. Inwieweit kann Kunst heute noch gesellschaftliche Verhältnisse anklagen und will sie es überhaupt noch? Holger Kube Ventura, Kunstwissenschaftler und Publizist glaubt, "dass Grenzen und ihr Übertretungspotential früher leichter kalkulierbar waren. Dennoch ist Provokation nach wie vor ein zentraler Modus von politisch-künstlerischer Arbeit."

Das Parlament: Herr Kube Ventura, es scheint in der Kunst vermehrt einen Trend zu paradiesischen Idyllen und verklärten Wirklichkeiten zu geben. In der Frankfurter "Schirn" sucht Kurator Max Hollein nach der "Romantik in der Kunst der Gegenwart", Fotografen wie Thomas Struth oder Bill Henson entdecken Welten, die lange als verkitscht galten, und das, was derzeit als "Neue Leipziger Schule" durch die Medien geistert, zeichnet sich primär auch nicht durch Weltzugewandtheit aus. Ist das Politische in der Kunst in die Defensive geraten?

Kube Ventura: Es gab in den letzten Jahren stets mehrere Trends parallel und da kommt es immer darauf an, welchen man in den Blick nimmt. Sicherlich gibt es derzeit große Aufmerksamkeit zum Beispiel für die Kombination Malerei und Leipzig und sicher zeichnet sich der Großteil davon nicht unbedingt durch Gegenwarts-Realismus aus. Gleichzeitig jedoch zeigen sehr viele Ausstellungen - wie schon seit ein paar Jahren - eine starke Konzentration auf dokumentarische Ansätze und auf die Thematisierung oder Mitgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Die Bandbreite an künstlerischen Projekten mit politischer Positionierung ist meinem Eindruck nach enorm gewachsen und überhaupt nicht in der Defensive. Im Gegenteil: Es wird selbstverständlich, auch in renommierteren Ausstellungshäusern auf "kritische Interventionen" zu treffen.

Das Parlament: Wie kann politische Kunst heute aussehen, um noch authentisch zu wirken und ästhetisch nicht rückwärtsgewandt zu erscheinen?

Kube Ventura: Ich glaube, es ist heute schwieriger geworden, vorherzusehen, wann welche Schwelle zu einer Provokation übertreten wird. Einerseits ist es zuweilen selbst mit offensiv gesetzeswidrigen Aktionen nicht möglich, jene Reaktion zu provozieren, anhand derer eine bestimmte gesellschaftliche Lage und die ihr unterliegenden Politika sichtbar würden. Andererseits kann schon durch ein unvorhergesehenes Detail eine plötzliche Eskalation ausgelöst werden. Beides ist oft sehr erstaunlich. Ich denke gerade an die Kombination Flick und Kunst sowie an die eigentlich unauffällige Berliner Ausstellung "When love turns to poison", die als Verherrlichung von Pädophilie skandalisiert wurde. Ich glaube, dass Grenzen und ihr Übertretungspotential früher leichter kalkulierbar waren. Dennoch ist Provokation nach wie vor ein zentraler Modus von politisch-künstlerischer Arbeit. Die Grundrichtungen von "Kunst meets politics" - Gegenöffentlichkeit herstellen, Machtverhältnisse experimentell befragen, konkrete Interventionen initiieren - haben sich eigentlich nicht verändert.

Das Parlament: Ist eine intervenierende Kunst nicht zu vereinnahmt von politischen Bewegungen?

Kube Ventura: Ich habe den Eindruck, dass viele derzeitige künstlerisch-politische Aktionen sich tatsächlich zu sehr auf die Richtigkeit ihrer politischen Argumentationen verlassen und zu wenig auf künstlerische Ambivalenz setzen. Im Zuge der Anti-Globalisierungsbewegungen ist die politische Mitsprache sehr kreativ und darüber mobilisierungsstark geworden. Von dieser eigentlich positiven Sogkraft sollten sich künstlerische Projekte jedoch stärker absetzen, weil es eben auch noch andere, freiere Artikulationspotenziale, mit anderer Reichweite und einem anderen Adressatenkreis zu nutzen gilt. Stärker betont werden sollte wieder die Autonomie von politischer Kunst, das heißt - die Unvorhersehbarkeit ihrer Funktionen beziehungsweise die Verunmöglichung ihrer Funktionalisierung. Autonome politische Kunst erschöpft sich eben nicht bereits in ihrer politischen Positionierung und der Illustration, sondern argumentiert antagonistisch.

Das Parlament: Welche Rolle nimmt innerhalb einer politischen Kunst heute noch die Malerei ein?

Kube Ventura: Wo Kunst in gesellschaftsbezogene Handlungsprozesse führt, ist sie politisch - egal in welchem Medium. Realistische, figurative Tafelbilder können heute wie früher gesellschaftliche Themen und politische Prozesse in einem anderen Licht erscheinen lassen. Bei rein abstrakter Malerei ist ein politisches Potenzial zunächst schwerer vorstellbar, weil mittlerweile alle formalen Wege parallel möglich sind. Aber dann bleibt auch für solche Malerei immer noch das politische Einsetzen der Kunstwerke, die strategische Platzierung. Hinsichtlich politisch künstlerischer Praxis sehe ich die größten Potenziale für Malerei in Verbünden wie Raummalerei, Videomalerei, Diskursmalerei.


Das Interview führte Ralf Hanselle

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