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In keinem anderen Land der EU sind die Verbraucher so preisbewusst wie in Deutschland. Discounter machen Rekordumsätze. Der Werbeslogan „Geiz ist geil“ ist nicht nur provokant, er scheint auch den Nerv der Deutschen in Sachen Konsum zu treffen. Doch auch die Pfennigfuchserei hat ihren Preis. Denn gute Qualität ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Ende März hatte sich der Traum von den kleinen Preisen endgültig erfüllt. Mit Milch für 33 Cent den Liter warb ein großer Lebensmitteldiscounter für seinen „Größenwahn-Samstag“. Selbst den Verbraucherzentralen – nicht gerade Verfechter hoher Einzelhandelspreise – war das zu viel. Solche Kampfpreise, die kaum über dem liegen, was ein Bauer für seine Milch bekommt, schaden den Verbrauchern, kommentierte die Vorsitzende des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes Edda Müller die Aktion. Wenn für Molkerei, Verpackung, Transport und Handel nur ein oder zwei Cent übrig bleiben, dann ist der Wettbewerb ruinös und auch für viele Unternehmen gefährlich.
Der „Größenwahn-Samstag“ ist nur das krasseste Beispiel für das, was im deutschen Einzelhandel Alltag ist. Mit knallhartem Preiskampf und Rabattschlachten versuchen die Händler die Kunden zu gewinnen – und scheitern kläglich. Nie war die Kauflust der Deutschen so gering. Erst Ende April wurden uns die Auswirkungen der Konsumverweigerung wieder vor Augen geführt: Deutschland bleibt in Europa Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum, so das Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute. Der wichtigste Grund: Die Binnennachfrage kommt nicht in Schwung. Die Leute halten ihre Geldbeutel fest geschlossen, sparen eben oder kaufen billig ein.
Weil die Kaufzurückhaltung der Konjunktur schadet und die Rabattschlachten vielen Unternehmen zusetzen, hat der Preiskampf im Einzelhandel eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Schuldige werden auf allen Seiten gesucht. Einmal sind es die Handelsketten, die mit ihren Rabattkampagnen die Konkurrenz ersticken wollen, ein anderes Mal ist es die Schnäppchenmentalität der Verbraucher.
Doch wie ist es eigentlich zu diesem beispiellosen Preiskampf gekommen? Konnten früher die Händler noch über Qualität und Beratung die Kunden gewinnen, scheint das heute nicht mehr zu ziehen. „Dem Einzelhandel fällt nichts anderes ein, als über den Preis Kunden zu gewinnen“, sagt Rolf Spannagel vom Institut für Markt- und Wirtschaftsforschung in Berlin.
So hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Marktanteil der Discounter hierzulande von 18 auf 38 Prozent mehr als verdoppelt – was natürlich auch Investitionen und neue Arbeitsplätze bedeutet. Die Billigläden sind vor allem ein deutsches Phänomen. Einer von zwei Discountern in Europa steht in Deutschland. Aber es geht nicht nur um Lebensmittel. „Der Preiskampf zieht sich durch alle Produktgruppen“, sagt Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg.
Vor allem eine tiefe Verunsicherung der Verbraucher hat dazu geführt, dass der Absatz mehr und mehr über den Preis funktioniert. Viele haben Angst um ihren Arbeitsplatz und halten deshalb das Geld zusammen. Auch die zunehmende Armut und die Kosten der neuen privaten Altersvorsorge spielen eine Rolle. Nach Ansicht von Wolfgang Twardawa wirken aber noch weitere Effekte nach. So hätten die Deutschen die Umstellung auf den Euro noch immer nicht verdaut. „Der Euro wurde in Deutschland gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit eingeführt und den Menschen fehlt jetzt das Preisgerüst“, so Twardawa von der GfK. In einem solchen Fall hält man sich an vertrauenswürdige Institutionen. Bei Lebensmitteln sind das die Discounter. Die signalisierten: ?Hier wirst du nicht über den Tisch gezogen’.
In gleichem Maße habe die Streichung des Rabattgesetzes die Verbraucher verunsichert. Seit Schlussverkäufe nicht mehr an feste Termine gebunden sind, verlieren die Verbraucher vor lauter Rabattschlachten den Überblick und halten sich zurück. Und die Kunden merken langsam, dass viel Rabatt nicht immer auch einen guten Preis verheißt.
Doch es ist nicht nur das Misstrauen der Verbraucher, das dem Handel zu schaffen macht. Vielmehr haben sich die Konsumgewohnheiten in den vergangen Jahren radikal gewandelt. Neben den Billigangeboten haben davon auch die starken Marken profitiert. „Beim Bier etwa hat Öttinger für 21 Cent, aber auch Becks für 65 Cent die Flasche gewonnen“, so Twardawa. Und es ist keineswegs so, dass etwa Arbeitslose billig kaufen und Gutsituierte nur die Premiummarken. Stattdessen ist der „hybride“ Verbraucher auf dem Vormarsch, der mittags bei McDonalds isst und abends beim besten Italiener der Stadt. Federn lassen musste durch diese Entwicklung vor allem das mittlere Warensegment. „Früher gab es Spitzenprodukte, Mittelklasse und Ramsch“, so der GfK-Experte. Im Mittelklasseangebot hatten Produzenten und Händler ihr Auskommen. Heute seien die Billigangebote in der Qualität hingegen kaum schlechter als die Mittelklasse. Entsprechend orientieren sich die Verbraucher um. Hinzu kommt, dass sie gerade in Deutschland dazu erzogen wurden, Preis und Qualität genau unter die Lupe zu nehmen. „Gerade von Institutionen wie der Stiftung Warentest haben wir gelernt, dass billig nicht unbedingt schlecht sein muss“, so Twardawa. Dieses Wissen wendeten die Menschen bei ihren Kaufentscheidungen eben an.
Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind gewaltig. Vor allem in den Massenmärkten werden die Margen immer geringer. Das spürt zu allererst der Einzelhandel. Kleine Fachgeschäfte, aber auch die Kaufhäuser mit ihrem breiten Sortiment, geraten unter Druck. Zu spüren bekommen den Preiskampf auch die Produzenten, die ihrerseits mit Preisabschlägen die Preisschlachten im Einzelhandel mitfinanzieren müssen. Sie stehen immer mächtigeren Handelskonzernen gegenüber, die versuchen, beim Einkauf die Preise zu drücken.
Wer als Hersteller im Preiskampf bestehen will, der muss Kosten senken. Dafür verlagern Unternehmen ihre Produktion ins Ausland oder lassen gleich von einem Billiganbieter in Osteuropa oder China fertigen. Der Preiskampf ist damit auch ein Grund, warum Unternehmen ihre Produktion aus Deutschland an billigere Standorte verlagern – wenn auch nicht der einzige. Dass etwa Porsche seinen Geländewagen in der Slowakei zusammenbauen lässt, liegt nicht daran, dass für ein Luxusauto kein vernünftiger Preis mehr zu bekommen ist, sondern entspricht dem allgemeinen ökonomischen Zwang zur Kostenminimierung.
Wer sich als Verbraucher nicht nur den Preis als Kriterium heranziehen will, hat es gar nicht so einfach. Wer will und kann schon bei jedem Produkt prüfen, ob es zu akzeptablen Bedingungen hergestellt wurde? Gütesiegel sind ein Versuch, den Verbrauchern die Arbeit abzunehmen. Der deutsche Nachhaltigkeitsrat etwa hat einen nachhaltigen Warenkorb zusammengestellt, in dem er die verlässlichen Gütesiegel zusammenstellt. Damit ist es möglich, die schlimmsten Formen von Ausbeutung zu verhindern. Man kann, wenn man auf das richtige Siegel achtet, Fußbälle kaufen, die nicht von Kindern zusammengenäht sind oder Kaffee, bei dem den Kaffeebauern ein fairer Preis gezahlt wird. Auch die Stiftung Warentest will sich künftig nicht mehr darauf beschränken, allein die Qualität eines Produktes zu testen. Sie will auch in ihre Bewertungen einbeziehen, unter welchen Bedingungen ein Produkt gefertigt wurde.
Verbraucher sehen solche Hinweise durchaus als positiv, sind aber nicht unbedingt bereit, für diesen Mehrwert auch mehr Geld auszugeben. Dabei gibt es einzelne Erfolge. Produkte wie Eier aus biologischem Anbau laufen gut. „Da versprechen sich die Verbraucher einen Vorteil und greifen deswegen zu“, so Twardawa. Auch steigt die Zahl der Verbraucher, die sich an Gütezeichen orientiert, um einen nachhaltigen Konsumstil zu pflegen. Insgesamt liegt der Anteil aber bei nicht mehr als ein oder zwei Prozent. „Bei den meisten entscheidet eben letztlich doch der Geldbeutel“, sagt Twardawa von der GfK.
Text: Matthias Rumpf
Fotos: Picture-Alliance, Deutscher Bundestag
Grafiken: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 30. Mai 2005
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