*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.2.2.2   Völkerrechtliche Grundlagen einer Global Governance

Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen hat sich seit 1945 beschleunigt und muss auch künftig gefördert werden; die Gestaltung dieses Prozesses hat auf der Grundlage des Völkerrechts zu geschehen. Diese Beurteilung ist nicht selbstverständlich, denn in der Praxis sind auch Unkenntnis und Nichtbeachtung des Völkerrechts sowie Verstöße dagegen zu beklagen (Paech 2001, Dicke 2001). Einerseits wird der weitaus größte Teil der rapide anwachsenden Zahl von Regelungsvorgaben, die internationale Organisationen ausarbeiten, von den Staaten akzeptiert. Die rechtliche Umsetzung und materielle Durchsetzung lässt gleichwohl oft zu wünschen übrig. Zudem gibt es wichtige internationale Abkommen, deren Ratifikation von wichtigen Staaten verweigert wird (vgl. etwa die Akzeptanzprobleme mit Blick auf den Internationalen Strafgerichtshofs), oder es werden völkerrechtlich ratifizierte Abkommen gekündigt oder gebrochen.

Uneinigkeit besteht betreffend der Form der anzustrebenden Verrechtlichung, wobei die wesentlichen Positionen einander nicht unüberbrückbar widerstreiten. Der Dissens bezieht sich auf die Frage, ob schwerpunktmäßig die Fortbildung des konsensorientierten zwischenstaatlichen Vertragsrechts oder die Entwicklung des Völkerrechts zu einem konstitutionalisierten „Weltinnenrecht“ angestrebt werden sollte. Letzteres würde eine objektive Rechtsordnung bedeuten, deren Geltung nicht mehr von der jeweiligen Zustimmung der Staaten abhängt, sondern vielmehr legislativen Charakter annimmt (Delbrück 1998b; vgl. auch Hauchler 1999). Von den Kritikern wird eingewandt,    dass in einem solchen Modell die Eigenart und die Vorzüge des klassischen Völkerrechts verloren gehen könnten. Vorerst seien daher regional und sektoral begrenzte Schritte vorzuziehen. Einigkeit besteht dahingehend, dass sektorale Rechtsregime zum Schutz der Menschenrechte und öffentlichen Güter als vertragliche Errichtungen partieller Rechtsordnungen zukunftsweisende Elemente einer Global Governance-Struktur sind (vgl. auch Stiftung Entwicklung und Frieden 2001b).42

Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) ist ein Beispiel für ein sektorales Rechtsregime, dessen Einrichtung auch von Autoren, die eine weitgehende Hierarchisierung des Völkerrechts ablehnen, begrüßt wird: Der ICC bedeutet einen substanziellen Schritt in Richtung auf die Verrechtlichung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen; er wird zudem mit gutem Grund nicht regional beschränkt, sondern als universell konzipiert, denn die unabhängige richterliche Kontrolle und Sanktion ist eines der zentralen Elemente nicht nur des angloamerikanischen Verständnis der „rule of law“ oder des kontinental­ europäischen Konzepts der Rechtsstaatlichkeit, sondern aller Rechtskulturen.

Von völkerrechtlicher Relevanz für die Ausgestaltung von Global Governance ist auch das internationale Über-einkommen zur Beseitigung aller Formen von Frauendiskriminierung (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women, CEDAW) von 1979. Es ist das weitestgehende internationale Rechtsdokument zur Verwirklichung der Menschenrechte von Frauen und zur Herstellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. CEDAW stellt eine verbindliche Rechtsgrundlage für alle internationalen Verhandlungen und Verträge dar. Alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft­ lichen Lebens fest zuschreiben und die Umsetzung zu gewährleisten. Im Oktober 1999 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, CEDAW ein Fakultativprotokoll zur Seite zu stellen. Das Protokoll ist Ende Dezember 2000 in Kraft getreten und er­ öffnet den Weg der Individualbeschwerde. Einzelne Frauen und Frauengruppen haben so die Möglichkeit den CEDAW-Ausschuss anzurufen und Untersuchungen gegen ihre Regierungen wegen anhaltender Verletzung des Abkommens in Gang zu setzen. Der Ansatz der Frauen-Menschenrechte hat wesentlich dazu beigetragen, der Norm der Interdependenz und Unteilbarkeit von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechten internationale Anerkennung zu verschaffen (vgl. Hamm 1999: 441).

Absolute vs. geteilte Souveränität

In enger Verbindung mit dem zuvor genannten Punkt steht der Unwille von Nationalstaaten, Souveränität abzugeben. Manche Beobachter halten ein sanktionsbewehrtes Recht mit völkerrechtlicher Geltung gegenüber allen Staaten, und dessen Durchsetzung gegenüber nationalen Instanzen für eine grundlegende Voraussetzung einer globalen politischen Ordnung: Ein nur loses Netz von über 200 Nationalstaaten könne dagegen keine Handlungsfähigkeit gewinnen, sei kein geordnetes System globaler Steuerung. Ein erfolgreiches Regieren auf der globalen Ebene im Sinne einer Global Governance benötige zumindest ein teilweise globales Gewaltmonopol.43 Ob jedoch global eine Bereitschaft vorhanden ist, Global Governance als ein System von Normen und Regeln zu institutionalisieren, das die prinzipiell vorrangige Souve-ränität von Staaten ablöst, ist zur Zeit fraglich. Aus Sicht des heutigen Völkerrechts – ausgehend vom Westfälischen Frieden – ist die nationale Souveränität Ausgangspunkt und Grundlage jeglichen Vertragsrechts, Gewohnheitsrechts oder Allgemeiner Rechtsprinzipien auf der internationalen Ebene. Darauf beziehen sich nicht nur die USA; vor dem Hintergrund der Dekolonialisierung halten auch die Staaten der Dritten Welt an ihrer nationalen Souveränität fest. Auch bei internationalen Institutionen handelt es sich bislang v.a. um Kooperation und Koordination von Staaten, internationale Organisationen haben selbst nur selten Gesetzgebungsgewalt.

So wundert es nicht, dass dieses Thema Dissens pro- voziert: Die einen betrachten die staatliche Souveränität als zunehmend obsolet werdendes Element des Völkerrechts, das zumal häufig als Mittel staatlicher Macht- und Blockadepolitik missbraucht wird und auch den Schutz individueller Selbstbestimmung vereitelt. Andere dagegen verstehen staatliche Souveränität als zumindest in absehbarer Zukunft unverzichtbaren Bestandteil einer Global Governance, der vor allem dem Schutz schwacher vor mächtigen Staaten dient und insofern ein wesentliches Moment von Demokratie in den internationalen Beziehungen verbürgt. Aus dieser Sicht ist die Ambivalenz des Völkerrechts kein vermeidbarer Mangel, sondern sachlich begründet und in jedem konkreten Fall auszutarieren. Staaten, die außer ihrer Souveränität wenig in die Waagschale zu werfen haben, seien (partielle) Souveränitätsverzichte nicht ohne entsprechende und nachhaltige Kompensation abzuverlangen. Gleichwohl erkennt auch diese Position an, dass sich das Verständnis und die Inanspruchnahme von Souveränität in der Staatenpraxis in einem andauernden und tiefgreifenden Wandel befindet. Real ist dies bereits in der Europäischen Union zu beobachten und auch außerhalb Europas sind Formen „geteilter Souveränität“ in Zukunft denkbar. Einige gehen sogar so weit, nationale Souveränität heute zu definieren als „to be in a good standing with the international community“ (Chayes und Chayes 1998).

Zudem erscheint es sinnvoll, zwischen interner und externer Souveränität zu unterscheiden (Reinicke und Witte    1999, Messner 1998b). Hat in früherer Zeit die Einschränkung der staatlichen Handlungsfreiheit in erster Linie die externe Souveränität (also das Verhältnis zu anderen Staaten) betroffen, so besteht die neue Qualität der Globalisierung darin, dass sich nicht nur die Interdependenzen und wechselseitigen Verwundbarkeiten zwischen den Staaten verdichten, sondern auch die interne Sou-veränität der Regierungen (de facto) in einer zunehmenden Zahl von Politikfeldern in Frage gestellt wird. Die interne Souveränität bezieht sich auf das Verhältnis des Staates zu den privaten Akteuren einer Gesellschaft (Wirtschaft oder Zivilgesellschaft) und die Überordnung des Staates gegenüber allen anderen Akteuren innerhalb eines Staatsgebietes. Anknüpfend an Max Weber impliziert die interne Souveränität des Nationalstaates dessen Fähigkeit als Souverän, nach innen auf seinem Territorium alle politischen, sozialen und ökonomischen Probleme regeln zu können. Genau diese Spielräume der Regierungen, Politiken zur souveränen Gestaltung der Gesellschaft und zur Lösung von Problemen innerhalb der Staatsgrenzen formulieren und umsetzen zu können, schränkt die Globalisierung ein. Daher kann das „Pooling“ von externen Souveränitäten eben auch im Interesse des Nationalstaates sein, wenn auf diese Weise Probleme, die auch das eigene nationale Territorium betreffen, besser gelöst werden können und damit auch die interne Souveränität gestärkt wird.

Empfehlung 10-11    Stärkung des Völkerrechts44

Bundestag und Bundesregierung werden aufgefordert, überall dort, wo es bereits rechtsverbindliche völkerrechtliche Normen gibt, mit den zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln auf ihre Um- und Durchsetzung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene hinzuwirken. Dies ist die Voraussetzung dafür, durch rechtsverbindliche und durchsetzbare Normen langfristige und stabile Garantien für soziale, ökologische und menschenrechtliche Mindeststandards zu schaffen.

Außerdem sollte sich die Bundesregierung für die Einführung eines Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) einsetzen, durch das die Untersuchung und quasi-richterliche Entscheidung von Individualbeschwerden durch einen Sachverständigenausschuss ermöglicht werden soll.



42 Vgl. die in den anderen Kapiteln dieses Berichtes diskutierten internationalen Verträge (wie z. B. das Übereinkommen über biologische Vielfalt in 7.3.2 dieses Berichts).

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43 Vgl. Hauchler (1999), der eine Aufteilung des nationalstaatlichen Gewaltmonopols in funktionelle Teilmonopole auf die subsidiär gestaffelten Ebenen der nationalen und internationalen Politik vorschlägt.

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44 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum der CDU/CSU-Fraktion in 11.

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