*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.5        Ausblick und offene Fragen

10.5.1     Zukünftige Ziele von Global Governance

Für die Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ ist Global Governance ein Ansatz für die Bearbeitung globaler Probleme von zunehmender Komplexität und Interdependenz. Im Spannungsfeld zwischen Staaten und multinationalen Institutionen, globalisierter Wirtschaft und Finanzwelt, Medien und Zivilgesellschaft plädiert Global Governance für eine neue, kooperative Form der Problembearbeitung: Für Global Governance sind dialogische und kooperative Prozesse zentral, die über die verschiedenen Handlungsebenen subsidiär entlang der Achse lokal – global hinweg reichen sowie Akteure aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenführen und vernetzen. Global Governance setzt damit also auf das konstruktive Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in dynamischen Prozessen interaktiver Entscheidungsfindung von der lokalen bis zur globalen Ebene. Darauf zielen die Empfehlungen dieses Kapitels ab.

Substanziell setzt Global Governance auf eine am Nachhaltigkeitskonzept orientierte Ordnungspolitik für die globalisierte Marktwirtschaft und die Einbindung ökonomischer Prozesse in umfassendere gesellschaftliche Ziele über die Schaffung wirtschaftspolitischer, sozialer und ökologischer Leitlinien. So unterschiedliche Aspekte wie globaler Umweltschutz, Kampf gegen die Armut, Konfliktprävention, die Verwirklichung von Menschenrechten, Stabilität der Finanzmärkte, Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit bis hin zur Bewahrung und Weiterentwicklung sozialer Standards müssen berücksichtigt werden. Die Vertreter dieses Konzeptes sind mehrheitlich der Ansicht, dass Global Governance den Prozess der Globalisierung nicht aufhalten oder gar zurückdrehen kann und will. Jedoch soll für die sich dynamisch entwickelnden Weltmärkte ein Ordnungsrahmen geschaffen werden, der Fehlentwicklungen vermeidet und ggf. korrigiert. Diese Fehlentwicklungen haben dazu geführt, dass die potenziellen Wohlstandsgewinne der Globalisierung im Wesentlichen nur einer Minderheit von Ländern und Menschen zugute gekommen sind und demgegenüber der Abstand zwischen Arm und Reich, in vielen Regionen auch die Armut oder der Raubbau an den Naturressourcen in den 90er Jahren zugenommen haben. Globalisierung und Global Governance sind jedoch langfristige Prozesse, die ergebnisoffen und gestaltbar sind.

Strukturell setzt Global Governance auf Regelungsinstitutionen und -formen jenseits der einzelstaatlichen Ebene. Grenzüberschreitende Probleme sollten in verflochtenen Mehr-Ebenen-Systemen bearbeitet werden, in denen Nationalstaaten zwar eine wichtige Scharnierrolle übernehmen, jedoch Kompetenzen „nach oben“ (inter- und supranationale Ebenen) und „nach unten“ (lokale und regionale Politik) abgeben. Problemlösungen müssen auf der Ebene institutionell angesiedelt werden, die sachlich und organisatorisch angemessen ist und auf der Probleme daher möglichst effizient und demokratisch zu lösen sind. Die institutionellen Empfehlungen für Global Governance sollten sich nicht von der Frage leiten lassen, auf welchem Wege der Selbstbehauptung der traditionellen politischen Institutionen des Nationalstaates am besten gedient werden kann. Vielmehr sollten sich nationalstaatliche Akteure im Rahmen von Global Governance immer mehr auch mit anderen „Global Players“ verständigen, sei es mit regionalen und internationalen Institutionen oder mit privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Dabei kann dem Selbstbehauptungsinteresse der öffentlichen Akteure dadurch Rechnung getragen werden, dass sie allein das Recht auf Kompetenzallokation behalten (vgl. Wolf 2001). Die Staaten – vorzugsweise vertreten durch ihre Parlamente – sollten nach wie vor über die Kriterien und Bedingungen zu entscheiden haben, nach denen internationale Organisationen oder private Akteure bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnehmen können. Auch die Kohärenz all der Politikbereiche, die sich mit internationalen Fragen beschäftigen, muss durch die nationalen Institutionen gewährleistet werden.

Im Rahmen des Auf- und Ausbaus von Global Governance spielt die Stärkung, Reform und Demokratisierung von internationalen Institutionen eine wesentliche Rolle. Global Governance zielt auf die problemadäquate Reorganisation der internationalen Institutionenlandschaft ab. Ziel muss es sein, vorhandene ineffektive oder undemokratische Strukturen zu überwinden. Global Governance will dort, wo aufgrund drängender globaler Probleme dringender Handlungsbedarf besteht, effektive und demokratische internationale Organisationen und Regime schaffen bzw. existierende Institutionen reformieren, um eine verbesserte Handlungsfähigkeit und finanzielle Ausstattung zu erreichen. Global Governance ist nicht nur eine organisatorische oder finanzielle Frage, sondern ein politischer Prozess, bei dem auch Machtungleichgewichte, die für gegenwärtige Probleme mitverantwortlich sind, überwunden werden müssen. Internationale Organisa­ tionen sind nur so stark, wie ihre Mitgliedsstaaten sie machen: sowohl eine umsichtige Übertragung von Handlungskompetenzen als    auch eine ausreichende Ressourcenausstattung ist Voraussetzung für ihre Handlungsfähigkeit. Deutschland sollte im Verbund mit der EU zur Stärkung internationaler Organisationen beitragen, um deren Fähigkeiten zum Management grenzüberschreitender Probleme und zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zu verbessern. Dort, wo bereits rechtsverbindliche internationale Normen gesetzt werden konnten, sollte ihre Um- und Durchsetzung befördert werden. Auch regionale Kooperationsprojekte sind eine wichtige Stütze von Global Governance. Die Europäische Union, die nicht nur auf wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern auch auf politische Integration und sozialen Ausgleich zielt, ist ein positives Modell, das es weiter auszubauen und zu demokratisieren gilt. Regionen sollten ihre Zusammenarbeit im Rahmen demokratischer Regionalorganisationen verbessern und ihre außenpolitische Handlungsfähigkeit stärken. So könnten sie auch die Arbeit der UNO besser unterstützen, zu deren Demokratisierung beitragen und im UN-Sicherheitsrat – als ein wichtiger Akteur für global bedeutsame Entscheidungen – stärker mit Sitz und Stimme vertreten sein. Ansätze zur Bündelung regionaler Kräfte und Interessen könnten Entwicklungsländer dabei unterstützen, stärker als bisher von den Vorteilen der Globalisierung zu profitieren. Entwicklungspolitik sollte generell im Sinne einer internationalen Strukturpolitik konzipiert werden, um die Rahmenbedingungen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu verbessern.

Im Rahmen einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sollten Politik-netzwerke und -partnerschaften zwischen Regierungen, Parlamenten, Wirtschaft, Gewerkschaften sowie der Zivilgesellschaft unterstützt werden. Diese Zusammenarbeit sollte dazu beitragen, die Transparenz internationaler Politikprozesse zu erhöhen sowie sie auf nationaler Ebene besser vor- und nachzubereiten. Generell ist bei der Bildung transnationaler Netzwerke wichtig, auch lokale Akteure einzubinden und eine Balance zwischen den verschiedenen Beteiligten zu finden, etwa zwischen Nord und Süd, Starken und Schwachen, Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Sowohl bei den internationalen Institutionen wie auch bei diesen Netzwerken sollte darauf geachtet werden, dass Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten sind und dass frauenspezifische Belange berücksichtigt werden. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit könnten freiwillige Selbstverregelungsinitiativen bestehendes (zwischen-)staatliches Recht ergänzen und internationale Vorbildfunktion für eine angepasste und angemessene Standardsetzung haben.

Die Einrichtung der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ zeigt, dass sich das Parlament der oben angesprochenen Herausforderungen bewusst ist und nach Antworten sucht. Als demokratisch gewählter Akteur sollte das Parlament im Rahmen einer Global Governance gestärkt werden: Es muss seine Kontroll- und Gestaltungsfunktionen auch auf die internationale Ebene ausdehnen. Verbesserte Mitspracherechte in der außenpolitischen Entscheidungsfindung sowie ein verstärkter Austausch mit anderen Parlamenten und auch zivilgesellschaftlichen Akteuren auf europäischer und internationaler Ebene sind erste Schritte hierzu. Eine „Task Force“ sollte prüfen, welche weiteren organisatorischen Verbesserungen der angemessenen parlamentarischen Beschäftigung mit globalisierungsrelevanten Themen dienen.

Global Governance-Ansätze zeichnen sich durch einen politisch-praktischen, perspektivischen und normativen Charakter aus. Sie entwerfen neue Modelle der politischen Steuerung und Kooperation, in dem bestehende politische Institutionen und Akteure mit neuen Formen der Politikgestaltung von der lokalen bis zur globalen Ebene und unterschiedliche Politikfelder miteinander verbunden werden. Wo Defizite zu erkennen sind, werden Reformen gefordert und politische Instrumentarien und Prozesse auf ihre Funktionsfähigkeit im globalen Miteinander von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik überprüft. Ausgehend von der Diagnose, dass viele grenzüberschreitende Probleme nicht mehr mit den herkömmlichen Methoden und Instrumenten der nationalstaatlichen Außenpolitik erfolgversprechend bearbeitet werden können, wird Globalisierung nicht nur als ökonomischer, sondern auch als politischer und kultureller Prozess erkannt und wahrgenommen, den es zu gestalten gilt. Wenn sich die Probleme globalisieren, muss auch die Politik reagieren: Eine demokratische und handlungsfähige Global Governance soll dazu beitragen, dass die Chancen der Globalisierung für alle Menschen nutzbar sind, um möglichst breiten und nachhaltigen Wohlstand zu schaffen.




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